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Kleine Schritte zum grossen Wurf

Kleine Schritte zum grossen Wurf
Der Leiter des Amts für öffentlichenVerkehr des Kantons St.Gallen in Rorschach vor einer S7 nach Bregenz und Lindau.
Lesezeit: 7 Minuten

Grenzüberschreitende Projekte des Öffentlichen Verkehrs sind komplex und langwierig. In der IBK scheinen der politische Wille und das Durchhaltevermögen inzwischen gross genug, um neue Projekte umzusetzen. Der Leiter des Amts für öffentlichen Verkehr des Kantons St.Gallen, Patrick Ruggli, kann ein Lied davon singen.

Neue Eisenbahn-Angebote lassen sich nicht von heute auf morgen einführen, vor allem dann nicht, wenn auch neue Eisenbahn-Infrastrukturen zu bauen sind. Noch einmal potenziert wird die Komplexität solcher Vorhaben, wenn die Angebote über Landesgrenzen hinweg realisiert werden sollen.

«2045» ist kein Druckfehler

Patrick Ruggli, Leiter des Amts für öffentlichen Verkehr des Kantons St.Gallen, ist Vorsitzender der Kommission Verkehr der Internationalen Bodenseekonferenz, die ein gemeinsames Zielbild für den schienengebundenen Öffentlichen Verkehr im Bodenseeraum erarbeitet hat: Bodanrail 2045 heisst das Dokument, die Ziffern stehen tatsächlich für die Jahreszahl. «Es braucht einiges an Durchhaltevermögen in der ÖV-Planung», sagt Ruggli. Wenn bis in 20 Jahren ein besseres ÖV-Angebot die Menschen rund um den Bodensee verbinden soll, dann müssen heute Projekte aufgegleist und vorangetrieben werden. Bodanrail 2045 wurde gerade in der IBK-Kommission verabschiedet, nun müssen alle Beteiligten das Papier vom zuständigen Minister des Bundeslandes oder dem zuständigen Regierungsrat absegnen lassen. Im Kanton St.Gallen will die Regierung als Gremium das Zielbild verabschieden.

Kümmerer ohne Kompetenzen

Die IBK sei «der Kümmerer in der Sache», sagt Patrick Ruggli, sie hat aber selbst keinerlei Kompetenzen. «Sie ist auf Goodwill und Absprachen angewiesen und muss mit Anliegen in die gewohnten Gremien zurückgehen. Das ist nicht immer einfach.» Vor allem dann nicht, wenn ein IBK-Anliegen schon bei einem Mitglied auf der Strecke bleibt. Wenn die IBK-Mitglieder Bodanrail 2045 genehmigt haben, muss es auch noch vom ständigen Ausschuss und von der Regierungschefkonferenz der IBK genehmigt werden. Das dürfte Formsache sein. Dann aber muss das Vorhaben auch in den jeweiligen Ländern Schweiz, Deutschland und Österreich in die nationale Planung integriert werden.

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Randlage wird spürbar

Für alle Länder gilt gleichermassen, dass sie ungern in Infrastrukturen an der Peripherie investieren, auch in der Schweiz: «Die Post geht zwischen Zürich, Bern und Basel sowie am Genfersee ab», bestätigt Patrick Ruggli. Die Ostschweiz liege tatsächlich am Rande der Schweiz. Ruggli weist aber auch darauf hin, dass in den anderen Grenzräumen Tessin, Genf und Basel der grenzüberschreitende Öffentliche Verkehr sehr viel weiterentwickelt sei, die Ostschweiz stecke dazu im Vergleich noch in den Kinderschuhen. «Vielleicht hat bis jetzt auch einfach der politische Wille gefehlt, das wirklich voranzutreiben.» Wenn sich die Politik in der Grenzregion einig ist, dann ist das ein wertvoller erster Schritt, realisiert ist von einem Zielbild dann aber noch gar nichts. Die Umsetzung von grenzüberschreitenden ÖV-Projekten ist unglaublich komplex, aktuelle Vorhaben zeigen, dass nicht nur der Teufel oft im Detail steckt, sondern dass es auch eine schier endlose Zahl an Details zu klären gilt.

Ein bisschen Bodensee-S-Bahn

Als Vorbote einer künftigen «S-Bahn Bodensee» wird die S7 Romanshorn–Rorschach zur Drei-Länder-S-Bahn befördert und über St.Margrethen und Bregenz bis nach Lindau verlängert. Vorerst verkehrt diese S-Bahn allerdings nur am Wochenende, im Zwei-Stundentakt, und nur bis Lindau-Reutin. «Das ist ja etwas lächerlich», räumt Patrick Ruggli ein, «aber immerhin, wir haben es geschafft, der Zug fährt!» Es sei kaum vorstellbar, welche Probleme es bei der Realisierung dieser Verbindung alles gab. Rund um den See gibt es 15 Organisationen wie Nationalstaaten, Bundesländer, Kantone, die ÖV-Leistungen bestellen, deshalb sei es so schwierig, ein Angebot zu gestalten. Ein durchgehendes Billett von Rorschach nach Ravensburg kann man online nach wie vor nicht lösen. «Das ist unglaublich, wir sind doch im 21. Jahrhundert. Ich verarge es niemandem, wenn er mit dem Auto nach Lindau fährt, es ist einfacher», sagt der Leiter des St. Galler Amts für öffentlichen Verkehr.

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Hindernis vor Lindau

«Immerhin haben wir überall Schienen in normaler Spurbreite, und auch das Stromsystem ist gleich, dann hören die Gemeinsamkeiten aber auf.» Grundsätzlich müsste die neue S-Bahnlinie in Bayern und in Vorarlberg ausgeschrieben werden, in der Schweiz ist das nicht zwingend. Es liess sich dann aber eine Lösung mit einer Ausnahmeregelung finden, dass eine Ausschreibung nicht nötig wurde. Den Betrieb der S7 stellt nun die Ostschweizer SBB-Tochter Thurbo sicher. Für die Fahrt unter deutschen und österreichischen Oberleitungen muss sie ihre Gelenktriebwagen mit einem zusätzlichen Stromabnehmer mit breiterer Wippe ausrüsten. Und da in Österreich ein Aussenlautsprecher für Notfälle vorgeschrieben ist, mussten die auf der S7 eingesetzten Gelenktriebwagen mit solchen nachgerüstet werden. Das alles waren lösbare Probleme für die Thurbo, ein lokalpolitisches und rechtliches Problem in Lindau ist es nicht: Der Bahnübergang Hasenweidweg auf dem Zugang zum Hauptbahnhof in der Altstadt auf der Insel Lindau darf nicht mit mehr Zügen als heute befahren werden. Bis die Stadt Lindau dort eine Unterführung gebaut haben wird, kann ein Teil der Züge, auch die S7, nur bis zum neuen Durchgangsbahnhof im Stadtteil Lindau-Reutin auf dem Festland verkehren. Was für Fernverkehrszüge aufgrund des Zeitgewinns sogar gewollt ist, ist insbesondere für die nur am Wochenende verkehrende, touristisch interessante neue S-Bahn ein schlechter Witz.

Patrick Ruggli ist Vorsitzender der Kommission Verkehr der Internationalen Bodenseekonferenz.
Patrick Ruggli ist Vorsitzender der Kommission Verkehr der Internationalen Bodenseekonferenz.

Stündlich nach München

Dennoch überwiegt bei allen Beteiligten die Freude, dass es überhaupt gelungen ist, diesen Zug aufs Gleis zu stellen. Die Fahrplanlage und der Zwei-Stunden-Takt sind kein Zufall: Die S-Bahn fährt jeweils dann, wenn der EC Zürich–München über St.Gallen–Lindau nicht fährt. Ab Dezember 2023 soll nach heutigen Plänen die S7 Rorschach–Bregenz–Lindau auch unter der Woche verkehren. «Damit besteht dann eine stündliche Verbindung aus dem Raum St.Gallen in Richtung Bregenz und Lindau», erklärt Patrick Ruggli, und erwähnt den Nebeneffekt, dass damit auch das Trassee «besetzt» ist. Sonst könnte nämlich auch ein Dritter den Trassee-Zugang beantragen. Das würde aber weitergehende Pläne der IBK durchkreuzen, insbesondere für St.Gallen und Vorarlberg ist nämlich klar, dass der EC Zürich–München dereinst im Stundentakt verkehren soll, auch wenn diese Fernverbindung im deutschen Bundesverkehrswegeplan weiterhin als Zwei-Stunden-Takt festgehalten ist. Zwischen Lindau und München wurde die Strecke inzwischen durchgehend elektrifiziert, auch dank einem Zustupf von 75 Millionen Franken aus der Schweiz. Damit können nun statt der konventionellen Züge, die in Lindau mit Dieselloks bespannt wurden, elektrische Astoro-Triebzüge der SBB eingesetzt werden. Aber auch dort, wo die Astoro fahren, kann die versprochene Fahrzeitreduktion von viereinhalb auf dreieinhalb Stunden nur bedingt realisiert werden. Denn ein Teil der Züge hat technische Probleme, weil in jedem Land verschiedene Sicherheitssysteme gefordert werden und dafür in kurzen Abständen die Software runter- und wieder hochgefahren werden muss. Theoretisch sollte das während der Fahrt möglich sein, das klappt bis jetzt aber nicht. Dann trägt auch noch eine Baustelle zwischen Lustenau und Bregenz das ihre dazu bei, dass die Züge alles andere als pünktlich verkehren.

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«Ich verarge es niemandem, wenn er mit dem Auto nach Lindau fährt, es ist einfacher.»

Schweizer Studie zeigt deutsche Nadelöhre

Eine schöne Anekdote wäre es natürlich, wenn die SBB gelegentlich auch auf dieser Strecke ihre neuen Mehrsystem-Züge Giruno einsetzen würden, um die technischen Probleme in den Griff zu bekommen, denn diese sind nicht nur einiges komfortabler, sondern sie werden auch in Bussnang, mitten im IBK-Raum, gebaut. Soll der EC nach München in einigen Jahren tatsächlich stündlich verkehren, dann müssten mehrere Dutzend Millionen Euro in die Infrastruktur investiert werden. Im Allgäu gibt es nämlich noch sehr lange Einspurabschnitte, kurz vor München besteht zudem ein Nadelöhr. Wo nun in Deutschland Doppelspurinseln oder ein Ausbau von zwei auf vier Gleise nötig wäre, wird eine Studie aus der Schweiz aufzeigen: Das Bundesamt für Verkehr hat aus Bern einen parlamentarischen Auftrag gefasst, den notwendigen Infrastrukturbedarf aufzuzeigen.

Potenziale abgeschätzt

Beim Entwerfen des Zielbilds Bodanrail 2045 haben die IBK-Mitglieder nicht bei Null angefangen, sondern die Planung der jeweiligen Länder als Grundlage genommen und diese möglichst intelligent verknüpft. «Dafür haben wir einfache Potenzialabschätzung gemacht», erklärt Patrick Ruggli. Die Kommission hat Verbindungen identifiziert, bei denen es etwas bringen würde, wenn man mit dem ÖV schneller wäre. «Wir wollen ja einen Teil der Leute vom Auto auf den Zug bringen.» Der Nachteil gegenüber einem Raum wie Basel: Es gibt rund um den Bodensee zwar grosse Grenzströme, darunter viele Einpendler vor allem aus Vorarlberg und auch aus Deutschland, die in den Kanton St.Gallen kommen. Aber sie haben nicht dasselbe Ziel. Viele grosse Arbeitgeber sind beispielsweise über das ganze Rheintal verteilt angesiedelt. Das macht es schwieriger, diesen Pendlern ein passendes ÖV-Angebot zu schneidern.

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Über Konstanz nach Basel

Das «etwas abgespeckte und realistische Zielbild» der IBK ist in den Augen von Patrick Ruggli eine pragmatische Lösung. Deshalb enthält Bodanrail 2045 aus Schweizer Sicht auch nicht ein Feuerwerk an Neuigkeiten, aber doch einige substanzielle Verbesserungen. Neben der bereits gestarteten S7 und dem stündlichen EC nach München wird ein stündlicher Zug von Wil über St.Gallen nach Dornbirn sowie ein Halbstundentakt Konstanz–St.Gallen postuliert. Die S3 Bregenz–St.Margrethen soll nach St.Gallen oder allenfalls bis Wil verlängert werden. Dazu kommt eine neue Direktverbindung Basel–Schaffhausen–Singen–Konstanz–St.Gallen, die deutsche Hochrheinstrecke wird dafür – wiederum mit Schweizer Beteiligung – elektrifiziert. Die Finanzierung der Infrastruktur wird bei all diesen Ausbauschritten stets ein Thema sein, ebenso die konkrete Ausgestaltung der Tarife. Im IBK-Raum bestehen heute vier unterschiedliche Tarifverbünde, und die Leistungserbringer werden in den vier Staaten nach unterschiedlichen Prinzipien abgegolten. Wenn sich also im Öffentlichen Verkehr etwas bewegen soll, dann braucht es einen grossen politischen Willen und einen langen Atem. Viel verspricht sich Patrick Ruggli von der neuen Regierungskommission der IBK-Staaten: Diese könne vielleicht mit einem Auftrag von oben viele der Krämpfe auf den unteren Ebenen lösen.

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