Schwerpunkt Wirtschaftsraum Bodensee

Eine Willensregion um den Bodensee

Eine Willensregion um den Bodensee
Regierungsrat Alfred Stricker ist Vorsteher des Departements für Bildung und Kultur des Kantons Appenzell Ausserrhoden. 2022 ist er Vorsitzender der Internationalen Bodenseekonferenz. Vom Appenzeller Vorderland aus lässt er gerne den Blick über den Bodensee und über Grenzen hinweg schweifen.
Lesezeit: 7 Minuten

Die Internationale Bodenseekonferenz möchte aus dem Vierländereck eine Modellregion für Europa machen – oft hat sie die Werkzeuge dafür aber nicht selbst in der Hand. Vorsitzender der IBK im Jubiläumsjahr ist der Appenzell Ausserrhoder Regierungsrat Alfred Stricker, der den Austausch über Grenzen hinweg intensivieren will.

Alfred Stricker, wenn es die Internationale Bodenseekonferenz nicht gäbe: Würden wir sie vermissen?
Aber sicher! Die IBK stärkt und unterstützt grenzüberschreitende Kontakte die entscheidend sind für eine prosperierende Nachbarschaft.

Welche konkrete Wirkung hat denn eine IBK?
Um die Frage zu beantworten, müssen wir zuerst die Rollen klären. In der Regel ist es nicht an der Politik, konkrete Projekte umzusetzen, dafür haben wir im Bodenseeraum genug Fachkompetenz in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, in der Kultur. Die Politik hat die Aufgabe, der Gesellschaft und der Wirtschaft Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, die eine grenzüberschreitende Entwicklung ermöglichen. Ohne Brücken keine Zusammenarbeit. So gesehen ist die IBK auch eine Art internationale Brückenpflegerin.

Sie wollen Hürden abbauen.
Leider neigt die Politik ja oft dazu, Hindernisse zu vergrössern, als sie zu reduzieren. In der Coronazeit haben wir gesehen, was das bedeutet, wenn plötzlich ein Zaun auf der Grenze steht – und welche Spuren das in der Gesellschaft hinterlässt.

Also Zäune weg, und es passiert etwas?
Die IBK hat gezählt, wer grenzüberschreitende Aktivitäten pflegt, und kam auf mindestens 200 verschiedene Vereinigungen – von Bienenzüchtern bis zu Verkehrsvereinigungen oder Umweltschutzorganisationen. Dazu kommen auch Firmen mit Standorten in verschiedenen Regionen und Ländern. Wir müssen in erster Linie dafür sorgen, dass diese Zusammenarbeit nicht eingeschränkt wird, sondern dass sie ermöglicht wird.

Am Ursprung der IBK stand aber ein Problem, das die Politik selbst lösen musste.
Stimmt! Alle wollten sauberes Trinkwasser aus dem Bodensee holen und den See als Erholungsraum nutzen. Doch der Bodensee war viel zu stark verschmutzt. So wuchs die Erkenntnis der Anrainer, dass man dieses Problem nur zusammen lösen kann. Das war der Auslöser, warum man die IBK überhaupt gründete.

Das Problem wurde gelöst, die Struktur der IBK blieb aber bestehen.
Eine beachtliche Initiative, die später aus der IBK heraus entstand, ist die Internationale Bodensee-Hochschule IBH. Diese lose Verbindung von Universitäten und Mittelschulen im ganzen Bodenseeraum wurde jetzt in die Selbstständigkeit entlassen. Vor einigen Jahren konnten wir an einem IBK-Treffen morgens Finanzmittel für das Projekt IBH-Labs sprechen, am Nachmittag haben dann rund 30 Rektoren verschiedenster Schulen gleich Nägel mit Köpfen gemacht und abgesprochen, wie sie die Idee zusammen in die Tat umsetzen können. Hier erzielte die IBK unmittelbar Wirkung.

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Unter dem Dach der IBH sollen auch Schüleraustausche intensiviert werden.
Beim Jubiläumstreffen auf dem Säntis haben wir der vorbereiteten, elf Punkte umfassenden Gipfelerklärung spontan einen zwölften Schwerpunkt angefügt, der nun heisst: «Zukunft braucht die Jugend». Wir hatten beim Treffen einen Fokus auf die Zukunft gelegt, und diese wird von der jetzigen Jugend bestimmt. Darum müssen wir sie mehr einbeziehen.

Was bedeutet das konkret?
Aktuell sehen wir, dass im Programm Horizon auf EU-Ebene aufgrund des gescheiterten Rahmenabkommens Beschränkungen wirksam werden, da ist richtig Sand im Getriebe, ebenso im Austauschprogramm Erasmus. Wir müssen die Austausch-Gefässe für die jungen Leute wieder besser zugänglich machen. Ich erhoffe mir, über die IBH und ihre Beziehungen ganze Klassen und wieder mehr Schulen zum Austausch bewegen zu können. Wir wollen die IBK stärker in den Köpfen der Jugend verankern. Diese jungen Leute übernehmen in zehn, zwanzig Jahren Verantwortung, so wie wir jetzt in der Verantwortung stehen. Wenn sie erst dann zum ersten Mal mit der IBK konfrontiert werden, ist es reichlich spät. Wir müssen das Verständnis, das wir in der IBK so intensiv erarbeitet haben, in der Bildung installieren. Aber die IBK selbst wird nicht Träger dieser Austauschprojekte sein. Wir können das Thema setzen und die Mitglieder der Internationalen Bodensee-Hochschule auffordern, dies umzusetzen. Gibt es Themen, bei denen die IBK nicht weiterkommt? Die Einflugschneise zum Flughafen Zürich über dem süddeutschen Raum beispielsweise

Gibt es Themen, bei denen die IBK nicht weiterkommt?
Die Einflugschneise zum Flughafen Zürich über dem süddeutschen Raum beispielsweise.

Alle wollen fliegen, niemand will Fluglärm.
Wir dürfen den Fluglärm nicht einseitig auf den Schultern einzelner Gebiete lassen. Darum braucht es Gespräche. Wir haben mit der IBK ein bestehendes etabliertes Gefäss, in dem man Themen sofort aufnehmen kann. Oft ist es ja so, dass über Jahre ein Problem besteht, dessen sich niemand annimmt. Die IBK hat eine ideale Struktur dafür.

Das Thema Flugschneisen betrifft in der IBK nicht alle gleichermassen.
Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Der gegenseitige Respekt, das Verstehen von Sorgen und gesellschaftlichen Problemen führt dazu, dass auch nicht direkt betroffene mitdiskutieren, wenn es um solche Fragen geht.

Laufen solche Diskussionen auf Augenhöhe? Hat die IBK für die verschiedenen Mitglieder den gleichen Stellenwert? Bayerische Städte wie Würzburg oder Passau sind hunderte Kilometer vom Bodensee entfernt …
Ich habe mit den enormen Grössenunterschieden der Mitgliedsländer bis jetzt nur gute Erfahrungen gemacht. Wir werden ernst genommen, man begegnet sich in der IBK tatsächlich auf Augenhöhe, auch wenn das kleinste Mitglied Appenzell Innerrhoden mit 17 000 Einwohnern um ein Vielfaches kleiner ist als das grösste Mitglied Bayern mit 13 Millionen Einwohnern. Wenn Baden-Württemberg oder Bayern aus Grössenüberlegungen heraus das Gefühl hätten, die Appenzeller braucht es nicht, dann würde die Zusammenarbeit nicht funktionieren. Und wenn wir auf die Idee kämen, Innerrhoden und Ausserrhoden könnten zusammen Baden-Württemberg überstimmen, dann wären wir auch nicht richtig unterwegs. Lösungen müssen mit dem nötigen Respekt und einer gemeinsamen Verantwortung erarbeitet werden. Das tut die IBK und das funktioniert.

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Die IBK wird 50 Jahre alt, Appenzell Ausserrhoden hat im Jubiläumsjahr das Präsidium inne. Das ist eine Chance für einen kleineren Kanton, sich auf einer Bühne zu profilieren, die man nicht jeden Tag hat.
Ja, absolut. Wir können für Ausserrhoden Ehre und Würde einlegen und wichtige Kontakte herstellen. Und wir werden uns dafür einsetzen, mit unserem Präsidium die gegenseitige Akzeptanz und die Bekanntheit des Appenzellerlandes zu verbessern. Ich bin seit 2015 in der Regierung von Ausserrhoden und bin seither die Ausserrhoder Regierungsvertretung in der Bodenseekonferenz. Das habe ich immer gerne gemacht. Weil trotz der Unterschiede zwischen den grossen deutschen wBundesländern und uns bei der Bevölkerungszahl oder der Wirtschaftskraft die Gemeinsamkeiten im Vordergrund stehen.

Welche Gemeinsamkeiten haben wir denn?
Ich geniesse gerne die Aussicht im Appenzeller Vorderland, es lohnt sich, von hier den Blick über den Bodensee und über die Grenzen schweifen zu lassen. Man versteht unweigerlich, warum in diesem Raum verschiedenste Beziehungen bestehen – seit Jahrhunderten, nicht erst, seit es die IBK gibt. Ich habe mich im Hinblick aufs Präsidium vermehrt mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Der Einfluss des einst mächtigen Bistums Konstanz war geschichtlich für uns alle prägend. Wir sprechen die gleiche Sprache, wir habe kurze Wege, wir haben kulturelle Verbindungen nach Süddeutschland, nach Vorarlberg und Liechtenstein. Überall bestehen auch Handelsbeziehungen, die Wirtschaft arbeitet unglaublich eng zusammen. Vieles läuft, das muss man gar nicht neu erfinden.

Nicht alles läuft. Beim Verhältnis mit der EU kommt die Schweiz nicht vom Fleck, nachdem das Rahmenabkommen vom Bundesrat versenkt wurde.
Der Bodenseeraum ist nicht die ganze Schweiz und auch nicht die EU. Eine gute Zusammenarbeit wie im Bodenseeraum stärkt im Umkehrschluss auch die politische Selbstständigkeit der jeweiligen Staaten. Die EU profitiert von der Schweiz und umgekehrt. Diese Erkenntnis sollte zuweilen wieder mehr ins Zentrum der Verhandlungen gestellt werden.

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Regierungsrat Alfred Stricker brachte die IBK am Jubiläum auf den Säntis.
Regierungsrat Alfred Stricker brachte die IBK am Jubiläum auf den Säntis.

Das Zusammenleben in der Nachbarschaft kann aber unter Spielregeln leiden, die in fernen Hauptstädten gemacht werden.
Unser Jahresmotto lautet «Beziehungspflege und Austausch». Wir haben als Schweizer Kantone erkannt, dass wir den Dialog mit Bundesbern intensivieren und die Wahrnehmung der IBK in Bern stärken müssen. Es war für uns deshalb ein schönes Zeichen, dass unser Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis zum IBK-Jubiläum auf den Säntis kam und einen ganzen Tag für uns investiert hat.

Die Ostschweiz muss im Gegensatz zu ihren Partnern in der IBK Bern bemühen, um in Brüssel Gehör zu finden.
Liechtenstein ist klein, aber ein Staatsgebilde, das ganz direkt Zugang hat zu Brüssel hat. Die Länder Vorarlberg, Bayern und Baden-Württemberg müssen den Austausch mit Wien oder Berlin pflegen, weil sie aber in der EU zusammengeschlossen sind, kommen sie aber nicht darum herum, auch selbst einen Draht nach Brüssel herzustellen. So funktioniert es.

Entscheidend dürfte sein, dass die IBK-Mitglieder überall dieselben Anliegen vertreten.
Das ist absolut richtig. Wenn wir in diesem Gebilde die verschiedenen Rollen richtig verstehen, können wir uns als Willensregion um den Bodensee profilieren. Das ist in den Köpfen der IBK-Verantwortlichen fest verankert: Wir wollen beweisen, dass es geht, die Grenzen zu überwinden. Immer dann, wenn man die Grenzen zu stark abgezäunt hat, hat dies auf alle Seiten Schaden erzeugt.

Wenn die IBK Grenzen überwinden will, dann muss sie Verkehrspolitik betreiben. Das kann die Politik nicht privater Initiative überlassen.
Wir können in der IBK Ideen entwickeln und diese in unseren jeweiligen Ländern und Kantonen installieren, umsetzen können wir sie nicht. Es ist Aufgabe der IBK, dafür zu schauen, dass man nicht immer an den Landes- und Kantonsgrenzen ansteht. Ein aktuelles Beispiel ist die Verlängerung der S-Bahn von Romanshorn über Rorschach nach Lindau.

Sie können Wünsche formulieren, aber bei der Umsetzung ist die IBK Bittsteller?
Nicht Bittsteller, sondern Brückenbauerin. Die IBK kann versuchen, die Grenzen aufzuweichen, die Akteure zusammenzubringen. Am Schluss geht es aber um Geld, und da liegen die Zuständigkeiten nicht mehr bei der IBK.

Bald wird eine Regierungskommission der Bodenseeanrainerstaaten aus der Taufe gehoben. Soll diese die mangelnden Zuständigkeiten kompensieren?
Das Zusammenspiel der Regierungskommission und der IBK ist noch nicht im Detail geregelt. Der Kanton St.Gallen hat die Aufgabe übernommen, eine Konferenz dazu durchzuführen. Wir glauben, dass dieses neue Format wertvoll sein kann. Der Bundesrat will es jedenfalls aktiv nutzen, wie Bundespräsident Ignazio Cassis auf dem Säntis darlegte. Entscheidend wird sein, wie viel politisches Engagement investiert wird.

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«Am Schluss geht es um Geld, und da liegen die Zuständigkeiten nicht mehr bei der IBK.»

Ein wichtiger Schritt für Sie?
Wir heben diese Konferenz im Jubiläumsjahr aus der Taufe. Es zeigt, dass wir als IBK in Bern angekommen sind, wenn der Bundespräsident selbst das Gefäss nutzt. Er muss Gespräche mit EU wieder in Gang bringen, die neue Konferenz ist eine Chance dazu. Für uns wäre es eine Auszeichnung, wenn man zum Schluss kommt: «Es funktioniert, wenn man es so macht wie die IBK». Denn bei aller Bescheidenheit dürfen wir durchaus selbstbewusst versuchen, eine Modellregion in Europa zu werden.

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