Die digitale Zukunft der Schweiz mitgestalten
Adrian Bossart, vor Ihrem Eintritt in das EWB als Leiter Markt & Business Development 2020 waren Sie bei der Migros, UPC und Swisscom tätig. Wie haben Sie den Wechsel von einem Gross- zu einem Kleinbetrieb erlebt?
Für mich war es definitiv eine bereichernde Erfahrung, die ich jedem empfehlen würde. Die Perspektive zu wechseln und für einen kleineren Betrieb zu arbeiten, lässt einen die Zusammenhänge im Unternehmen anders erfahren – ganzheitlicher, würde ich sagen. In einem KMU erlebt man zudem eine grössere Nähe zu den Kollegen, was für das Engagement und die Zusammenarbeit von grossem Wert ist.
Per 2022 wurden Sie dann als CEO des EWB nominiert. Eine Ihrer Hauptaufgaben besteht darin, das EWB «als marktorientierten Energiedienstleister» und dessen Provider Rii Seez Net als «kundenorientierten Kommunikationsdienstleister» zu positionieren. Wie gut ist das bisher gelungen?
Wir kommen zügig voran. Dabei achten wir darauf, dass sich die Transformation auf den verschiedenen Ebenen im richtigen Tempo und vor allem nachhaltig entwickelt. Ich vergleiche die Situation gerne mit einem Eisberg: Von aussen – für Kunden, Partner und Mitarbeiter – ist nur die Spitze sichtbar, sprich etwa die stabile Energieversorgung während der Energiekrise oder gleichbleibende Preise für Telekommunikation trotz Teuerung. Aber die Aspekte, die entscheidend sind für den langfristigen Erfolg, liegen unterhalb der Wasseroberfläche – also die tägliche Arbeit der Angestellten, die Entwicklung von Strukturen, Prozessen, Strategie und Unternehmenskultur. All dies ist zentral für den Unternehmenserfolg, aber nicht immer direkt sicht- und kommunizierbar. Als jemand, der gerne offen kommuniziert, fällt es mir oft schwer, nicht vorzugreifen.
Wo sehen Sie das EWB in zehn Jahren?
Unser Fokus in der Transformation liegt darauf, das EW Buchs zu einem etablierten, nachhaltigen und kundennahen Unternehmen zu entwickeln, das eine breite Palette an attraktiven Dienstleistungen anbietet. Wenn ich von Nachhaltigkeit spreche, meine ich das in einem ganzheitlichen Sinn – neben der Ökologie geht es auch um wirtschaftliche und soziale Aspekte. Dabei wollen wir sowohl die Traditionen und Stärken, die das EWB ausmachen, bewahren, als auch offen sein für neue Möglichkeiten und Innovationen fördern. Entscheidend ist, dass wir stets die Kundschaft im Blick behalten und uns darauf konzentrieren, ihr Vertrauen zu gewinnen und zu erhalten. Somit sehe ich das EWB in zehn Jahren als ein Unternehmen, das in der Lage ist, das Gute zu bewahren und Chancen zu ergreifen. So können wir auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene nachhaltig agieren und einen dauerhaften Mehrwert für unsere Kunden und die Region schaffen – was dem EWB dank seiner Anpassungsfähigkeit seit über 120 Jahren gelingt.
Das EWB ist dabei, eine der grössten Photovoltaikanlagen im Rheintal zu realisieren. Wo steht das Projekt?
Wir sind aktuell in der Planungsphase der neuartigen Agri-PV-Anlage. Der Name bezieht sich auf die Kombination von landwirtschaftlicher Nutzung und Solarstromerzeugung. Durch Agri-PV können Landwirte sowohl Solarstrom produzieren als auch ihre Flächen witterungsgeschützt landwirtschaftlich nutzen und profitieren so von einer «zweiten Ernte». Es ist eine nachhaltige Lösung, die Synergien zwischen Landwirtschaft und erneuerbaren Energien schafft. In der Dimensionierung ist dieses Projekt in der Schweiz und in Europa einzigartig. Wir schätzen dabei die Kooperation mit der unternehmerischen Rhein-Baumschulen Lubera AG und mit dem innovativen Technologie-Unternehmen Insolight. Wir planen den Abschluss der Bauarbeiten im vierten Quartal 2023.
Heute produziert das EWB rund 25 Prozent des Stroms, der in seinem Einzugsgebiet aus der Steckdose kommt, selbst. Wie viele werden es mit der neuen Anlage sein?
Die Anlage wird voraussichtlich etwa 800’000 kWh elektrische Energie pro Jahr produzieren. Das reicht aus, um etwa 110 Einfamilienhäuser oder 180 Fünfzimmerwohnungen mit Strom zu versorgen. Mit der Steigerung des Anteils an Solarstrom erhöhen wir die Eigenproduktion um etwa drei Prozent. Dieses Projekt trägt wesentlich dazu bei, bei der Stromproduktion sowohl lokaler als auch nachhaltiger und unabhängiger zu werden.
Jetzt wird Ihnen eine besondere Ehre zuteil; Sie sind in den Vorstand von Suissedigital berufen worden. Was bedeutet diese Wahl für Sie?
Persönlich bin ich sehr dankbar. Meine künftige Rolle sehe ich als Chance, die Interessen der Mitglieder aus unserer Region einzubringen und gemeinsame Anliegen voranzutreiben. Ich habe auch Gelegenheit, mich mit anderen Branchenexperten auszutauschen und zusammen die digitale Zukunft der Schweiz mit zu gestalten.
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Und fürs EWB?
Im Vorstand von Suissedigital vertreten zu sein, ermöglicht es uns, der Region eine Stimme zu geben und sicherzustellen, dass ihre Interessen bei der Gestaltung der digitalen Landschaft der Schweiz berücksichtigt werden. Zudem unterstreicht es die Rolle, die das EWB und Rii Seez Net bei der Förderung der digitalen Infrastruktur und Services in unserer Region spielen. So können wir auch an der nationalen Diskussion über digitale Innovation und Entwicklung teilnehmen.
Wie werden Sie sich im Verband einbringen?
Meine Schwerpunkte sind Vielfalt, Regionalität und der Aufbau von persönlichen Kundenbeziehungen. Es wird matchentscheidend sein, die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Regionen zu verstehen und aus den persönlichen Kundenbeziehungen zu lernen. In meiner Zeit bei Swisscom und UPC konnte ich wertvolle Einblicke in die Herausforderungen und Möglichkeiten im nationalen Kontext gewinnen, während meine aktuelle Rolle bei Rii Seez Net als Provider und dem EWB als Kabelnetzbetreiber eine neue Sicht auf die regionalen Bedürfnisse bietet. Diese Kombination von verschiedenen Perspektiven erlaubt es mir, mich in die Diskussion um eine erfolgreiche digitale Strategie einzubringen.
Wo sehen Sie bezüglich Digitalisierung noch Nachholbedarf in der Schweiz – und speziell in der Ostschweiz?
Die Basis der Digitalisierung ist die Vernetzung. Hier leisten die rund 180 Mitglieder von Suissedigital einen entscheidenden Beitrag, indem sie ihre Festnetzinfrastrukturen laufend modernisieren, erweitern und passende Dienstleistungen anbieten. Im Übrigen gilt: In den Unternehmen ist die Digitalisierung weit fortgeschritten; Digitalisierungspotenzial besteht dagegen noch oft im öffentlichen Sektor.
Suissedigital und die Swisscom sind die beiden grössten Anbieter der Schweiz. Die Verbandsmitglieder von Suissedigital konnten 2022 rund 150’000 Abonnenten dazugewinnen, Wachstumstreiber waren Breitbandinternet und Mobilfunk. Gingen die auf Kosten der Swisscom?
Grundsätzlich sind wir in einem Verdrängungsmarkt mit verschiedenen Marktteilnehmern und kompetitiven Angeboten – dies geht meist zulasten eines Anbieters. Davon profitieren alle Kunden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Bevölkerung in der Schweiz weiterhin wächst. Im Gleichschritt dazu wächst auch der Telekommunikationsmarkt.
In welchem Bereich sehen Sie sonst noch Wachstumschancen?
Viele unserer Mitglieder sind nicht nur Netzbetreiber, sondern auch Anbieter einer breiten Palette an Telekommunikationsdiensten. Wachstumsmöglichkeiten gibt es also nicht nur, indem eine bessere Auslastung der Netzinfrastrukturen angestrebt wird, sondern auch, indem neue Dienste entwickelt werden, etwa in den Bereichen Smart City, Smart Home oder Cybersecurity.
Zum Schluss: Suissedigital bietet auch einen Cybersecurity-Check für KMU an. Wie schätzen Sie die Cybersicherheit in unseren Unternehmen ein?
Auf der Basis einer ersten Auswertung können wir sagen, dass die grössten Defizite bei den Unternehmen in den Bereichen des Detektierens und Reagierens liegen. Zudem gilt: Der grösste Unsicherheitsfaktor ist und bleibt der Mensch. In diesem Sinne ist kein Unternehmen vor Cyberattacken gefeit. Umso wichtiger ist es, die Öffentlichkeit und insbesondere auch die arbeitstätige Bevölkerung für Cybersicherheit zu sensibilisieren. Der Cybersecurity-Check von Suissedigital leistet hier einen wichtigen Beitrag.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Gian Kaufmann