Wirtschaft

Thurgauer Lösungen für die ganze Welt

Thurgauer Lösungen für die ganze Welt
Michael Krueger
Lesezeit: 5 Minuten

Der «Hidden Champion» aus Eschlikon hat den Thurgauer Wirtschaftspreis 2024 gewonnen: Seit 1991 wurden über eine Billion von Corvaglia entwickelte Verschlüsse hergestellt. Weltweit sind heute 20 Prozent aller PET-Flaschen mit Deckeln «Made im Thurgau» bestückt. CEO Michael Krueger skizziert die Erfolgsgeschichte der Corvaglia-Gruppe.

Michael Krueger, wie gross ist die Chance, dass der Verschluss meines Rivellas oder meines Eistees aus Eschlikon kommt
Rivella beliefern wir aktuell nicht. Beim Eistee ist die Chance aber je nach Marke relativ gross; bei den Weithals-Verschlüssen für Säfte und Eistees haben wir in den vergangenen Jahren viele Kunden dazugewonnen.

Sie haben 2015 die Nachfolge von Gründer und Eigentümer Romeo Corvaglia angetreten. Wie kam er 1991 auf die Idee, ausgerechnet PET-Verschlüsse zu produzieren?
Romeo Corvaglia hat sich schon während seiner Lehrzeit mit Verschlüssen und Spritzgiessformen zu deren Herstellung beschäftigt. Das war die Keimzelle für seine lebenslange Passion, Verschlüsse immer weiter zu perfektionieren. Und Romeo hatte schon sehr früh die Vision, nicht nur Verschlüsse zu entwickeln, sondern sie eines Tages auch selbst zu produzieren.

Wie hat sich Corvaglia in dieser Zeit entwickelt?
Der rote Faden durch die Unternehmensgeschichte ist sicherlich die Vertiefung der Wertschöpfungskette. Als Einmann-Unternehmen 1991 lag der Fokus auf Verschlussentwicklung, Formkonstruktion und Projektabwicklung. 1997 konnte Romeo einen Formenbau ins Unternehmen integrieren und ab 2003 dann eben die Verschlussproduktion. In dieser Zeit ist der Professionalisierungsgrad des Unternehmens natürlich auch kontinuierlich gestiegen.

«Der rote Faden durch die Unternehmensgeschichte ist die Vertiefung der Wertschöpfungskette.»

Hat sich auch in Bezug auf Ressourcen- und Energieverbrauch pro PET-Deckel etwas verändert?
Natürlich, und zwar massiv! Auch das hat Romeo von der Unternehmensgründung weg in die Unternehmens-DNA eingebettet: das permanente Streben nach Gewichtseinsparungen unter Beibehaltung der von Kunden geforderten Eigenschaften. Eine Gewichtsreduktion bedeutet eine Material- und Energieeinsparung. Dazu haben wir natürlich auch permanent in Energieeffizienz und Verringerung unseres ökologischen Fussabdrucks investiert. Zum Beispiel beziehen wir am Standort Eschlikon zu 100 Prozent Energie aus regenerativen Quellen.

Wo werden die PET-Verschlüsse von Corvaglia überall hergestellt?
Neben der Verschlussproduktion am Mutterhaus in Eschlikon noch in Ixtlahuaca, in der Nähe von Mexiko City und in Newnan, in der Nähe von Atlanta.

Sie stellen nicht nur Verschlüsse her, sondern auch Formen und Maschinen, mit denen Sie auch Mitbewerber beliefern. Weshalb?
Getränkeverschlüsse haben gemessen an Ihrem kommerziellen Wert ein ziemlich grosses Volumen. Darum werden Transportkosten schnell zum Killerkriterium, sodass man von unseren drei Standorten aus nicht die ganze Welt beliefern kann. Damit unsere Verschlüsse aber auch beispielsweise in Asien oder Afrika verwendet werden können, arbeiten wir mit Partnerunternehmen in der ganzen Welt zusammen, die mit unseren Formen und unserer Technologie «Corvaglia-Verschlüsse» herstellen.

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Zu Ihren Kunden gehören auch die ganz Grossen der Getränkeindustrie wie Coca-Cola, Pepsi oder Nestlé. Was gab bei diesen den Ausschlag für einen «kleinen» Schweizer Produzenten?
Wir mögen zwar ein «kleines» Schweizer Unternehmen sein, aber unser Einfluss auf die Industrie ist nicht zu unterschätzen. Es gibt weltweit nur zwei weitere Unternehmen ausser uns, die Getränkeverschlüsse herstellen und gleichzeitig die Technologie dazu, d. h. die Verschlussentwicklung und die Spritzgiessformen, im eigenen Haus herstellen. Das wird von den grossen Marken geschätzt, weil es zu schnelleren und besseren Ergebnissen führt.

Und Sie können preislich international mithalten?
Unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit am Standort Mexiko ist natürlich schon noch etwas besser als am Standort Schweiz. Aber durch Investitionen in einen hohen Automatisierungsgrad haben wir den Nachteil der hohen Lohnkosten hier einigermassen kompensiert. Was anderseits ein klarer Vorteil des Standorts Schweiz ist, ist die Nähe zur Produktentwicklung und zum Formenbau, die, wie vorher dargestellt, zu schnelleren und besseren Markteinführungen neuer und innovativer Produkte führt. Das wird von den grossen Marken eben geschätzt.

Mit rund 160 Personen am Standort Eschlikon ist Corvaglia ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. Wie sehen Sie die nähere Zukunft – Ausbau oder Reduktion?
Grundsätzlich befinden wir uns als Gruppe auf Wachstumskurs. Wir sind in den vergangenen Jahren mit der Verschlussproduktion in der Schweiz stark gewachsen. Das Niveau wollen wir halten und unsere Wachstumsanstrengungen für die kommenden Jahre stattdessen auf die Märkte in Nordamerika konzentrieren.

«Es gibt weltweit nur zwei weitere Unternehmen, die Getränkeverschlüsse und gleichzeitig die Technologie dazu herstellen.»

Auf das laufende Jahr hin musste der Betrieb bei Corvaglia umgestellt werden. Grund dafür ist eine neue EU-Richtlinie, die vorschreibt, dass die Verschlüsse von Getränkeflaschen nicht mehr komplett vom Behälter getrennt werden sollen. Was halten Sie persönlich von der neuen Lösung, die beim Schweizer Publikum schlecht ankommt?
Über den Sinn dieser Anforderung aus der EU-Richtlinie kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Der positive Effekt – hauptsächlich, dass Meeresvögel Verschlüsse, die an der Flasche bleiben, nicht verschlucken können – ist schon eher klein im Verhältnis zu Aufwand und Kosten, die die Anforderung generiert hat. Aber immerhin. Was bei den Schweizer Konsumenten primär schlecht ankommt, sind die nicht optimalen Lösungen, die in den Markt eingeführt wurden. Unsere guten Lösungen werden praktisch alle in die EU exportiert (lacht). Ich denke, dass es da in den kommenden Jahren zu einer Konsolidierung der Designs auf konsumentenfreundlichere Lösungen kommen wird. 

Aber für Corvaglia ist die neue Regelung wohl ein Segen?
Segen und Fluch zugleich. Den personellen und finanziellen Aufwand, den wir leisten mussten, um die neuen Produkte zu entwickeln und dann die gesamte Produktion darauf umzustellen, hätten wir gerne in andere Innovations- und Transformationsprojekte gesteckt, die ebenfalls einen guten Return on Investment gegeben hätten. Aber dadurch, dass wir die Chance schnell ergriffen und schneller als unsere Wettbewerber gute Lösungen für angebundene Verschlüsse an den Markt gebracht haben, haben wir auch Chancen wahrnehmen können, die vorher so nicht vorhanden waren.

Welche Innovationen aus dem Hause Corvaglia dürfen wir nach den «Tethered»-Produkten in nächster Zeit erwarten?
Einerseits haben wir noch ein neues Tethered-Konzept in  der Hinterhand, das unseres Erachtens in der Handhabung wesentlich konsumentenfreundlicher ist als die heutigen Lösungen. Da warten wir noch auf den Zeitpunkt, an dem der Markt bereit dafür ist. Ansonsten steht noch eine weitere regulatorische Änderung an, auf die wir uns vorbereiten. Wenn Konsumenten Ihre Flaschen ordnungsgemäss entsorgen, werden die Verschlüsse zu 100 Prozent rezykliert. In Europa allerdings zum heutigen Tag nicht wieder in neue Getränkeverschlüsse, sondern in andere Anwendungen. Dies, weil in Europa heute die Verwendung von sogenanntem «post-consumer»-rezykliertem HDPE (High Density Polyethylen) in Anwendungen mit Lebensmittelkontakt nicht zulässig ist. In den USA machen wir das schon in geringerem Massstab, weil dort die rechtlichen Rahmenbedingungen anders sind. In Europa wird sich die Zulassungspraxis möglicherweise bald ändern. Und dann werden wir wieder mit einer guten Lösung parat sein.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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