«Modularität in kleinem Massstab»
Guido Cozzi, wie funktioniert die digitale Unternehmensfinanzierung?
Sie ermöglicht schnelle und umfassende Dienstleistungen, die von kleinen mobilen Zahlungssystemen bis hin zu ausgefeiltem Portfolioaufbau reichen. Darüber hinaus erweitern innovative Portfolios – die Kryptowährungen, Stablecoins und die künftigen digitalen Währungen der Zentralbanken einbeziehen – die Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmenswelt.
Für welche Unternehmen ist diese Art der Finanzierung geeignet?
Alle Arten von Unternehmen werden daran interessiert sein. Grosse Unternehmen und Unternehmen des Finanzsektors können den Umfang und die Qualität ihrer Aktivitäten verbessern. Dies aber gilt auch für kleine landwirtschaftliche Betriebe, selbst in ländlichen Gegenden. Nehmen wir als Beispiel einen Bauernhof, der Eier an ein Netz lokaler Kunden verkauft: Die Möglichkeit von Twint-Zahlungen kann ihn mehr und mehr von Barzahlungen unabhängig machen. Diese Variante ist sicherer und die Kunden vor Ort müssen nicht immer Bargeld dabeihaben.
Was sind die Hauptunterschiede zur klassischen Bankfinanzierung? Welchen Mehrwert bietet die digitale Unternehmensfinanzierung?
Sie ist schneller, wettbewerbsfähiger und birgt weniger regulatorische und bürokratische Hindernisse. Digitale Plattformen ermöglichen eine Modularität in kleinem Massstab, aber auch eine schnelle Skalierung der Aktivitäten. Sobald ein erfolgreiches Risiko-/Ertragsprofil ermittelt wurde, lassen sich die Möglichkeiten schnell vervielfachen.
Das erfordert aber neue Kompetenzen und mehr Aufmerksamkeit, da das Risiko einer Fehlentscheidung höher ist.
Das ist richtig. Idealerweise sollten solche Plattformen deshalb auch mit den bestehenden Banken zusammenarbeiten. Banken können die zusätzliche Erfahrung und Sicherheit bieten, die den Unterschied zwischen einem Erfolg und einem Abenteuer ausmachen.
Worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie über solche Plattformen Kapital aufnehmen wollen? Wo gibt es möglicherweise Stolpersteine?
Der Umfang der Tätigkeit unterliegt noch normativen Änderungen. Der derzeitige Rechtsrahmen befindet sich noch im Aufbau. Ausserdem kann sich das Wettbewerbsumfeld durch den Eintritt neuer Akteure verändern. Daher würde ich den Unternehmen empfehlen, ihr Personal angemessen zu schulen oder die Dienste kompetenter Personen und Unternehmen in Anspruch zu nehmen. Der Mangel an hochgradig zuverlässigem Humankapital ist kritisch, weil es in diesem Sektor wenig spezialisierte Ausbildung und angewandtes Learning-by-Doing gibt.
Es braucht also nach wie vor Menschen, um eine digitale Unternehmensfinanzierung mit möglichst wenig Risiken aufzugleisen?
Absolut! Ich möchte die Unternehmen davor warnen, sich nur auf die Unterstützung durch Chatbots oder ähnliche Abkürzungen zu verlassen. Andernfalls könnten sie bereuen, dass sie sich nicht an den traditionellen Bankensektor gewendet haben, um sich besser beraten zu lassen.
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Wie sehr verändern digitale Finanzierungsplattformen das Kreditgeschäft? Sind sie eine ernsthafte Konkurrenz für traditionelle Banken?
Sie stellen eine ernsthafte Konkurrenz für rückwärtsgewandte Banken dar. Allerdings waren einige Schweizer Banken schon immer Vorreiter in Sachen Innovation. Twint zum Beispiel ist aus der Zusammenarbeit von Postfinance, UBS und der Zürcher Kantonalbank hervorgegangen. Anders als man erwarten würde, waren der öffentliche Sektor und die etablierten Banken hier die innovativen Zentren. Deshalb denke ich, dass sie es schaffen werden, auf der Fintech-Welle zu surfen.
Fortschrittsorientierte Banken werden also gewinnen …
Ja, denn die Komplementarität von Innovation und Reife ist der Schlüssel zum Erfolg in einer sich schnell verändernden und turbulenten globalen Wettbewerbsarena. Daher wer-den wir eine Auswahl von Akteuren und eine Umverteilung von Ressourcen hin zu innovativeren Banken erleben, die in der Lage sind, sich zu verjüngen. Dieses durch Umverteilung bedingte Wachstum wird sich positiv auf die Gesamtwirtschaft auswirken.
Text: Patrick Stämpfli
Bild: Reto Martin