Wie man trotz Fremdfinanzierung gut schlafen kann
Alexander Fust, nur gut 32 Prozent der Schweizer KMU haben einen Bankkredit. Wieso nur so wenige?
Auf den ersten Blick mag diese Zahl gering erscheinen. Auf den zweiten Blick ist sie doch beachtlich: Bei verschiedenen kleineren Dienstleistern ist der Liquiditätsbedarf im Vergleich zu Industriefirmen kleiner. Andere Firmen nutzen Darlehen von Freunden oder Familienmitgliedern. Zudem sind in den 32 Prozent die Covid-Kredite nicht enthalten. Diese machen gemäss einer aktuellen Seco-Studie weitere rund 16 Prozent aus. Somit liegt der Kreditanteil aktuell bei fast der Hälfte. 2016 lag der Anteil an KMU, die keinerlei Fremdkapitalanteil aufwiesen, noch bei über 60 Prozent. Die Gründe für die tiefe Zahl an Bankkrediten liegen aber in einer grundsätzlichen Haltung der Inhaber bezüglich ihrer Unabhängigkeit: Firmen ohne Anteil an langfristigem Fremdkapital sind unabhängiger und etwa den Banken keine Rechenschaft schuldig.
Welchen Stellenwert hat der klassische Firmenkredit damit in der Unternehmensfinanzierung?
Der Wert von 32 Prozent für die Bankkredite als Gesamtkategorie hat sich laut der Seco-Studie in den letzten fünf Jahren nicht verändert, wodurch der Stellenwert weiterhin gross ist. Bei den Bankkrediten machen gemäss der Seco-Studie die Kontokorrentkredite 22 Prozent, die Hypothekarkredite 13 und die Firmenkredite mit einem fixen Betrag zehn Prozent aus. Bei dieser Frage waren Mehrfachantworten möglich.
Was können Banken tun, um diese Hemmschwellen zu senken?
Gemäss der Seco-Studie gab ein Drittel an, dass sie keine Hindernisse für eine zukünftige Bankfinanzierung sehen. 15 Prozent gaben an, dass es zu hohe Anforderungen an Sicherheiten gebe, elf Prozent kritisierten die zu hohen Kosten/Zinssätze, acht Prozent empfanden den Kreditantragsprozess als zu mühsam – und sieben Prozent hatten eine Angst vor Kontrollverlust über ihre Firma. Das Risikomanagement der Banken gibt die Kriterien einer Kreditvergabe vor; Sicherheiten sind für Banken zentral. Unter gewissen Umständen werden auch unternehmerische Aspekte miteinbezogen, die nicht nur auf vergangenheitsbasierten Werten aufbauen, was ich zielführend finde. Oft wird dafür jedoch eine langjährige Kundenbeziehung vorausgesetzt. Einen Ansatz, die Hemmschwelle zu senken, wäre laut der Seco-Studie, den Kreditantragsprozess zu überprüfen: Was empfinden die befragten KMU als zu mühsam?
Also doch möglichst viel mit eigenen Mitteln finanzieren?
Nicht unbedingt. Es gibt einen Tradeoff zwischen Sicherheit, Rentabilität und Liquidität. Alles aus eigenen Mitteln zu finanzieren, erhöht zwar die Sicherheit, denn die Firmen sind «nur» sich selbst zur Rechenschaft verpflichtet und bleiben unabhängig. Aus Rentabilitätssicht kann aber eine gemischte Finanzierung Sinn machen, wenn z. B. Fremdkapital weniger kostet – aus Firmensicht kosten ja auch Darlehen und eingebrachtes Kapital der Inhaberschaft wegen Zinsen und Dividenden. Ein allzu starker Fokus auf die Finanzierung durch eigene Mittel kann die Liquidität reduzieren und somit stärkeres Wachstum erschweren, denn Wachstum bindet Geld. Eine tiefe Liquidität hat aber auch Vorteile, denn es erhöht den Druck, dass Rechnungen schnell gestellt werden. Viel Liquidität kann jedoch zu einem ruhigen Schlaf führen.
Ist denn fremdfinanziertes Wachstum gesund?
Es hängt vom Geschäftsmodell und der Strategie der Firmen ab. Es kann nicht per se gesagt werden, dass eine Fremdfinanzierung gesund oder ungesund ist. Die Frage stellt sich im KMU-Umfeld, wie lange es dauert, bis der Kredit durch die erwirtschafteten Cashflows zurückbezahlt werden kann. Die Höhe des Kredits hängt auch davon ab, wie fähig die Firma ist, die Summe in einer bestimmten Frist wieder zurückzahlen zu können.
Also gibt es so etwas wie die ideale Finanzierung nicht.
Nein. Es hängt immer davon ab, wofür die Finanzierung gebraucht wird und wie die Einstellung der Geschäftsführung ist. Geht es etwa um die Finanzierung von Maschinen, Immobilien, des Exports oder Wachstum? Je nach Zweck werden andere Finanzierungsquellen relevant. Zudem hängt es auch von der eigenen Haltung und Risikobereitschaft ab.
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Welche Fehler beobachten Sie in der Finanzierungspraxis immer wieder?
Nicht alle KMU kennen die verschiedenen Finanzierungsarten und ihre Vor- und Nachteile. So ist Crowdlending noch immer nicht allen Firmen ein Begriff. Auch die patronale Haltung verhindert teilweise bessere Entscheide: Es geht darum, das Beste für die Firma zu erreichen. Es stellt sich somit die Frage, ob das Ausschliessen einer Fremdfinanzierung aufgrund der Haltung des Patrons gegenüber der Aufnahme von Fremdkapital wirklich das Beste für die Firma ist. Schliesslich habe ich – vor allem bei kleineren Firmen – schon erlebt, dass nach einem gefühlt guten Jahr etwa eine Schreinerei eine CNC-Maschine aus eigenen Mitteln kaufte und Jahre danach noch Liquiditätsprobleme hatte. Deshalb ist es wichtig, den zukünftigen Liquiditätsbedarf zu erfassen und dann zu entscheiden, wie dieser finanziert werden soll. In jenem Fall wäre ein Leasing aus Liquiditätssicht die bessere Option gewesen.
Was braucht es für eine erfolgreiche Bankfinanzierung?
Wichtig ist, dass verstanden wird, wie die Banken entscheiden. Für sie sind z. B. Sicherheiten oder Jahresabschlüsse wichtig. Auch ist ihnen das Wissen wichtig, wofür das Geld gebraucht wird. Ein Businessplan kann hier helfen. Auch ein vorgängiges Gespräch mit einem Kundenberater lohnt sich, um die Anforderungen zu kennen. Falls der Schwellenwert bezüglich der Eigenkapitalanforderungen der Firmen aus Bankensicht nicht eingehalten werden kann, können Bürgschaften helfen: Bürgschaftsgenossenschaften verbürgen einen bestimmten Beitrag, wodurch die Bank eine zusätzliche Sicherheit erhält. Es lohnt sich, frühzeitig mit den Bürgschaftsgenossenschaften (z. B. BG OST-SÜD für die Ostschweiz) in Kontakt zu treten.
Stichwort Ukrainekrise: Wie kann man in der aktuellen Situation Kapitalengpässen wirksam vorbeugen?
Mir scheint die Analyse der wesentlichen Risiken zentral. D. h., wie wahrscheinlich sind welche Risiken und wie hoch könnte der potenzielle Schaden dieser Risiken sein? Wie betroffen ist die Firma oder könnte sie werden von den Folgen des Kriegs in der Ukraine? Zu nennen sind Auswirkungen auf die Materialverfügbarkeit, Lieferzeiten von Materialien, Energie- und Transportpreise etc. Bei Preiserhöhungen bei den Materialien gilt es, möglichst früh diese Kosten angemessen weiterzuverrechnen, was jedoch nicht immer einfach ist. Lieferengpässe sind noch schwieriger zu bewältigen, sie bedürfen einer sehr guten Planung. Wenn aufgrund von Lieferengpässen keine Produkte mehr verkauft werden können, dann ist die Liquiditätssicherung zentral. Dazu kann etwa auch eine zusätzliche Finanzierung sinnvoll sein.
Werfen wir noch einen Blick auf Alternativen: Wie wichtig sind oder werden nachhaltige Finanzierungen?
Es wird diskutiert, dass in der Zukunft ESG-Kriterien (Kriterien in den Bereichen Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung) bei der Kreditvergabe wichtiger werden, sie werden also miteinbezogen werden, um die Höhe der Zinsen zu bestimmen. Jedoch scheint die Anwendung dieser Kriterien in der Praxis noch nicht stark vorhanden zu sein, zumindest habe ich noch nicht von Beispielen gehört. Je nach Strategie der Banken in Bezug auf Nachhaltigkeit können solche nachhaltigen Finanzierungen aber wichtiger werden.
Und digitale, also etwa Lending- oder Crowdfunding-Plattformen?
Auch wenn die Zahl noch tief ist (gemäss der Seco-Studie liegt der Anteil bei unter zwei Prozent), gehe ich von einem weiteren Wachstum dieser Finanzierungsformen aus. In der Erhebung von 2016 nutzte noch kein befragtes Unternehmen Lending- oder Crowdfunding-Plattformen.
Wie sehen Sie aktuell die Wichtigkeit von Factoring und Leasing?
Ich kenne verschiedene Firmen, die Factoring und insbesondere Leasing nutzen. Factoring wird jedoch laut der Seco-Studie nur selten benutzt (ein Prozent der befragten Unternehmen beanspruchen Factoring). Leasing hingegen wird von einem Viertel der befragten KMU in Anspruch genommen. Leasing hat den Vorteil, dass die eigene Liquidität kurz- und mittelfristig geschont werden kann und die regelmässig anfallenden Kosten des Leasings die Refinanzierung bewusst machen.
Und von Beteiligungskapital?
Gemäss der Seco-Studie gaben rund zwei Prozent der befragten KMU an, dass sie Private Equity als Finanzierungsquelle nutzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Anteil zunehmen könnte. So werden etwa Nachfolgelösungen tendenziell weniger häufig familienintern geregelt – und dadurch werden Finanzinvestoren relevanter.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Reto Martin