Wirtschaft

Wie man Arbeitsausfälle vermeidet

Wie man Arbeitsausfälle vermeidet
Stephan Melliger
Lesezeit: 4 Minuten

Die Zunahme der Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen betrug im letzten Jahr 20 Prozent – ein neuer Rekord. Die Folgen davon sind gravierend und stellen Betroffene und Unternehmen vor Herausforderungen. Stephan Melliger ist Leiter des CAS Case Management an der OST und erklärt, was Unternehmer jetzt tun können.

Stephan Melliger, 2022 gab es so viele Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen wie noch nie. Warum?
Die Quote der Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von psychischen Erkrankungen war bereits in den vergangenen Jahren hoch. Die Gründe dafür sind vielfältig und es greift zu kurz, dies einzig der Pandemie zuzuschreiben. Die gesundheitlichen Folgen von Stress am Arbeitsplatz sind mit mehreren Studien belegt. So beschreibt etwa die Stress-Studie 2022, dass drei von zehn Erwerbstätigen (28,2 Prozent) einen Job-Stress-Index im kritischen Bereich aufweisen. Diese Erwerbstätigen berichten über deutlich mehr Belastungen als Ressourcen. Das Erleben von Zeitdruck, weniger Handlungsspielraum, geringe Wertschätzung sowie Konflikte am Arbeitsplatz kann zu einer emotionalen Erschöpfung und zu Arbeitsausfällen führen. 

Die Werte waren in den vergangenen Jahren ähnlich hoch?
Ja, allerdings hat die Pandemie bei vielen Menschen Verunsicherung ausgelöst, sowohl bei der Arbeit als auch im persönlichen Umfeld. Strukturen gingen verloren. Die Auswirkung dieser Stresserfahrung zeigte sich v. a. gegen Ende der Pandemie und darüber hinaus in Form von Erschöpfungszuständen. Nebst psychosozialen Belastungen im Alltag steigen die Anforderungen und das damit verbundene Stressempfinden zudem auch am Arbeitsplatz.

Welche Branchen und Berufe trifft es?
Die BSV-Erhebung 2022 zeigt eine generelle Erhöhung in allen Wirtschaftsabschnitten, daher lässt sich keinen eindeutigen Trend nachweisen. Tatsache ist, dass Branchen, die während der Pandemie besonders gefordert waren, die Nachwirkungen bis heute spüren. Dazu zählt unter anderem das Gesundheits- und Sozialwesen. Diese Branche hat neben Personalausfällen mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Diese beiden Faktoren können einander negativ beeinflussen.

 

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«Branchen, die während der Pandemie besonders gefordert waren, spüren die Nachwirkungen bis heute.»

Und wie sieht es bei der Verteilung der verschiedenen Altersgruppen aus?
Die BSV-Erhebung 2022 weist im Vergleich zu den Vorjahren in allen Alterssegmenten eine Erhöhung der Absenzquoten aus. Dies deckt sich mit meinen Erfahrungen in der beruflichen Integration. Betroffen sind Angestellte in allen Lebensabschnitten. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen oft in einer Kombination von privaten und beruflichen Belastungen. Ich stelle jedoch fest, dass zunehmend auch Auszubildende von belastenden Situationen mit Auswirkungen auf Leistung, Verhalten und Präsenz betroffen sind.

Im Durchschnitt betragen die Absenzen elf Monate. Das ist gravierend. Was bedeutet das für Arbeitgeber?
Wenn ein Teammitglied über Monate nicht zur Arbeit erscheinen kann, muss dies durch Kollegen kompensiert werden. Nebst den direkten Ausfallkosten kommen also die indirekten Kosten dazu, etwa für die Umdisposition (z. B. Einsatzpläne), Überstunden im Team, Temporäreinsätze mit Suche und Einarbeitung, Teamkonflikte und nicht zuletzt die Erhöhung der Versicherungskosten. Nicht zu unterschätzen sind die Kurzabsenzen bis zu drei Tagen: Diese beeinflussen die Planungssicherheit massiv; Vorgesetzte verlieren viel Zeit. Diese fehlt dann für ihre wichtigste Aufgabe: die Führung.

Sie sagen, dass eine Früherkennung wichtig ist. Welche Warnzeichen gibt es?
Warnzeichen sind vielfältig und oftmals subtil. Grundsätzlich können Leistungsveränderungen, Präsenzfähigkeit und Veränderung im Verhalten oder im Erscheinungsbild beobachtet werden. Diese zeigen sich beispielsweise darin, dass ein Teammitglied den gemeinsamen Znüni meidet oder gereizter reagiert als sonst. Die Gründe können unterschiedlich sein und es sollten keine Mutmassungen angestellt werden. In Führungsschulungen zum Thema «Gesunde Führung» ist daher meine zentrale Botschaft an Führungskräfte: Hinschauen, Ansprechen der Beobachtungen – aber sich nicht für die Lösung allein verantwortlich fühlen. Hierfür gibt es Unterstützung von Fachleuten und Fachstellen.

 

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«Erwerbstätige berichten über deutlich mehr Belastungen als Ressourcen.»

Hält dieser Trend an oder liegt es daran, dass wir mit Corona & Co. einfach schwierige Zeiten hinter uns haben?
Dies lässt sich zurzeit noch nicht abschätzen. In meiner Tätigkeit im Case Management zur beruflichen Eingliederung habe ich das Jahr 2022 intensiv erlebt. Der Berufsalltag ist vielerorts anspruchsvoll und ich gehe davon aus, dass die Absenzen infolge psychischer Erschöpfung oder Erkrankung auch in Zukunft einen signifikanten Anteil der Gesamtquote ausmachen. Umso wichtiger ist daher, in die Prävention zu investieren. 

Was können Unternehmen tun, dass es gar nicht so weit kommt und ihre Mitarbeiter so lange ausfallen?
Ich empfehle, in ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) zu investieren. Dies mit dem Ziel, die Belegschaft in ihrer Arbeitsfähigkeit nachhaltig zu unterstützen und zu fördern. Diese Haltung betrifft ein Unternehmen als Ganzen und beeinflusst ihre Kultur. Angestellte schätzen diese Unterstützung, was einen positiven Einfluss auf die Bindung an den Betrieb hat. Ein ganzheitliches BGM umfasst Massnahmen und Unterstützungsangebote zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit. Nebst den klassischen Präventions- und Gesundheitskampagnen stellen Führungsschulungen, eine betriebliche Sozialberatung sowie eine Anlaufstelle für sexuelle Belästigung und Mobbing wichtige Elemente im BGM dar. Zur Früherkennung ist ein gut funktionierendes Absenzmanagement zentral sowie ein Case Management zur strukturierten Prozessbegleitung bei der beruflichen Integration. Letzteres kann betriebsintern oder extern organisiert sein.

Wie blicken Sie diesbezüglich in die Zukunft?
Ich blicke zuversichtlich in die Zukunft, denn ich beobachte, dass viele Unternehmen aus den Erfahrungen der letzten zwei Jahren Schlüsse gezogen haben: Das betriebliche Gesundheitsmanagement hat an Bedeutung gewonnen.

Text: Miryam Koc

Bild: Urs Bucher

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