Führung als Leadership und Coaching
Roman Büchler, Ihr erstes Buch, das Sie in Eigenregie verfasst haben, heisst «Die neue Leadership-DNA: Prinzipien für einen radikalen Umbau der Führung». Warum muss die Führung radikal umgebaut werden?
Die gesellschaftlichen Veränderungen bedingen neue Ansätze. Der Fachkräftemangel ist nur ein Thema, das Unternehmen beschäftigt. Lieferengpässe, plötzlich ändernde Kundenbedürfnisse, Stop-and-go-Projekte, kurzfristige Terminveränderungen und eine neue Generation an Arbeitskräften, die es nicht mehr prickelnd findet, Arbeit so ins Zentrum zu stellen, wie die Führungskräfte und Unternehmer sich gewohnt sind: Mit den bisherigen Ansätzen werden wir diese Herausforderungen nicht mehr bewältigen. Es braucht neue Antworten auf die aktuellen Fragen.
Was macht denn für Sie gutes Leadership aus?
Zukunftsfähige Leader lassen los, geben Raum für neue und andersartige Ansätze. Sie gestehen sich ein, dass sie nicht das Mass der Dinge sind, wie ihnen auf ihrem Karriereweg immer wieder beigebracht wurde. Ob es den Führungskräften gefällt oder nicht: Sie müssen den Markt und die Mitarbeiter in den Fokus rücken. Beziehungen zu den Angestellten werden viel wichtiger, Raus aus dem Elfenbeinturm, heisst die Devise. Gutes Leadership gibt Verantwortung ab, lässt Irrtümer und Fehler zu, es schafft ein selbstlernendes, selbtsorganisiertes System.
Führung wird also zu Leadership und Coaching.
Genau. Es ermöglicht der Organisation und den Menschen darin, sich schneller dem Markt und den Bedürfnissen anzupassen. Management wird den Mitarbeitern und den Teams übertragen, die nahe am Markt sind. Leadership gibt das grosse Zielbild vor und setzt die geeigneten Rahmenbedingungen, in denen sich die Organisation und die Menschen entwickeln können. Leadership arbeitet am System, nicht mehr im System.
Hand aufs Herz: Führen Sie Ihre Foran GmbH nach diesen Prinzipien?
Ich orientiere mich daran, denn der Weg zur neuen Leadership-DNA ist ein Prozess – ein persönlicher, bei dem die Veränderung mehrheitlich von mir ausgehen muss. Das ist oft ein Kampf mit mir selbst, weniger mit den Menschen in der Foran. Ich wäre aber nicht glaubwürdig, wenn ich diese Prinzipien nicht selbst leben und vorleben würde. Von den Prinzipien und den beschriebenen Ansätzen bin ich aus tiefem Herzen überzeugt.
Und worin drückt sich dies aus?
Wir nehmen uns Zeit, anstehende Dinge gemeinsam zu diskutieren, Lösungsansätze co-kreativ zu entwickeln, Verantwortung aktiv an Angestellte zu übertragen, Diskurse auszutragen und nach Einwänden zu suchen, warum das eine oder andere nicht funktioniert. Wir haben die Gnade, Dinge auszuprobieren, bisweilen auch direkt in Kundenmandaten. Wir treffen uns regelmässig, um zu reflektieren und rasch zu korrigieren, wenn sich das eine oder andere als Irrtum oder nicht erfolgsversprechend herausstellt.
Jetzt könnte man sagen, dass Sie noch Startup-Grösse haben und deshalb alles so schlank funktioniert …
Ja, aber wir setzen diese Prinzipien auch bei Kunden aktiv ein. Auch daraus lernen wir und können uns entwickeln. Es ist alles eine Frage des Tuns, nicht der Grösse. Für mich als Inhaber heisst das, viel mehr Zeit einräumen, gemeinsame Entscheide herbeizuführen. Ich könnte auch einfach zeitschonend für alle entscheiden. Die Konsequenz: Die Menschen ziehen nicht mit, weil sie nicht Teil der Lösung sind. Unser System würde nicht von allen gemeinsam getragen.
Sie haben grosse Erfahrung auf operativer wie auf strategischer Ebene. Gibt es einen gemeinsamen Nenner, den die meisten Unternehmen in der Führung unterschätzen oder gar falsch machen?
Ja, es ist vor allem das Thema Vertrauen übertragen. «Als Führungskraft habe ich immer die Verantwortung», höre ich oft als Ausrede. Ja, natürlich – Führungspositionen haben letztendlich immer die Verantwortung für den Erfolg der Organisation. «Wer loslässt, hat zwei Hände frei», entgegne ich dazu jeweils. Führungskräfte sind meist viel zu operativ in ihrer Organisation. Sie arbeiten lieber im System als am System. Da fühlen sie sich wohler, warum auch immer.
Führung wird da nicht als Kernaufgabe gesehen?
Nicht immer, denn dann wären die Schwerpunkte auf Strategiearbeit, Beziehungspflege zu den Mitarbeitern und Kunden, Schaffen von zukunftsfähigen der geeigneten Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Organisation und Freiräume generieren für die eigene Weiterentwicklung – Leadership und Coaching eben. Nein, man fokussiert lieber auf operatives Management, das favorisierte Handwerk. Dabei verhindert Management die strategisch notwendige Weiterentwicklung der Organisation.
Sie nennen sich «die Business-Gefährten». Brauchen wir auf dem Weg zur Exzellenz in Leadership wirklich Gefährten, nicht vielmehr Coaches?
Wir favorisieren den Begriff der Gefährten. Wir begleiten die Kunden bei der Bewältigung ihrer Aufgaben und befähigen im gemeinsamen Prozess Führung und Organisation, ihre Aufgaben selbstständig besser zu bewältigen als vorher. Befähigen bedeutet für uns den Kunden vom Wissen ins Handeln zu bringen. Denn die Lösungen für die Probleme einer Organisation sind meist in der Organisation und ihren Menschen bereits vorhanden.
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Nehmen Sie selbst auch Coaches in Anspruch, persönlich und fürs Unternehmen?
Ich bin inzwischen 53. Bis vor wenigen Jahren war ich überzeugt, alles selbst stemmen zu können. Weit gefehlt! Ich habe heute einen Business-Gefährten meines Vertrauens, der mir hilft, strategische Entscheide und Entwicklungen zu reflektieren. Seit rund einem Jahr arbeite ich zusätzlich mit einem Mental-Coach, der mich vor allem, aber nicht nur bei meinem Buchprozess intensiv unterstützt hat. Einen weiteren Coach habe ich für meine Key-Notes und Referate. Er sorgt dafür, dass die Botschaften bei der Zielgruppe ankommen. Sie sehen, ich habe ein ganzes Set an vertrauten Gefährten, die mich begleiten. Ich nenne sie so, weil sie nicht einmalige Coaches für ein Thema sind. Sie sind fixer Bestandteil meines persönlichen Wegs und meiner Entwicklung.
Mit welchen Problemen treten Ihre Kunden aktuell vor allem an Sie heran?
Unsere Kundschaft kommt aus der öffentlichen Verwaltung, produzierenden Industrie und dem Handel. Aktuell erleben wir im Markt ein Strategie-Revival: Die Kunden möchten sich neu orientieren und ein neues strategisches Zielbild erarbeiten, um den aktuellen Aufgaben, insbesondere den Marktentwicklungen und der Digitalen Transformation gestärkt zu begegnen. Zunehmend werden wir auch beigezogen, um neue organisatorische Ansätze und die damit einhergehenden Veränderungsprozesse zu begleiten. Die Aufträge werden von der obersten Führungsebene vergeben. Oft ergibt sich daraus auch ein Entwicklungsprozess der ganzen Führungs-Crew, die wir begleiten. Wie gesagt: Die notwendigen organisatorischen Veränderungen müssen von der obersten Führung ausgehen. Ansonsten sind die neuen Ansätze wenig erfolgsversprechend.
Gibt es einen Indikator für Sie, der Ihnen sofort sagt, woran ein bestimmtes Unternehmen krankt?
«Man höre, was die Leute sagen», heisst eine meiner simplen Regeln. So erkennen wir schnell, ob wir mit Lippenbekenntnissen konfrontiert sind oder die Führungskräfte es tatsächlich ernst meinen. Aussagen wie «Wir sollten schon länger…» oder «Na, dann lassen Sie es uns versuchen…» sind Indizien, dass sich die Auftraggeber noch nicht sicher sind. Im Moment ist im Markt eher noch spürbar, dass ein Schritt vor und zwei zurück gemacht werden. Wehe, ich habe mir mit neuen Methoden schon die Finger verbrannt! Dann stelle ich vieles wieder zurück und mache wieder «Business as usual». Das ist der Anfang vom Ende eines erfolgreichen Veränderungsprozesses!
Und wann können Sie mit gutem Gewissen sagen: Hier braucht es uns gar nicht?
Das erkennen wir oft schon am ersten Gespräch, wenn potenzielle Kunden uns glaubhaft mitteilen, dass sie auf gutem Weg sind. Wenn es bereits Prototypen neuer Organisationsformen gibt, regelmässige Reviews und Retrospektiven gibt, die prüfen, ob die eingeleiteten Massnahmen Wirkung zeigen oder nicht und welche Schlüsse man daraus zieht für die nächste Iteration.
Text: Stephan Ziegler
Bild: zVg