Unermüdlicher Einsatz für die Berufslehre
Der Namensgeber der Hans-Huber-Stiftung ist eine Ostschweizer Industrie-Legende: Der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Hans Huber machte in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs eine Lehre als Eisenwarenkaufmann in der Eisenwarenhandlung B. Stadlers Erben. 1949 gründete er für seinen Betrieb eine Filiale in Heerbrugg. Aus dieser wuchs die SFS Group mit heute über 10 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von annähernd zwei Milliarden Franken.
Mit einem Lehrabschluss in der Tasche kann man also einen Weltkonzern erschaffen oder leiten, wie der Präsident der Hans-Huber-Stiftung, Christian Fiechter, darlegt: «Auch der heutige CEO der SFS, Jens Breu, ging nicht ans Gymnasium, sondern machte eine Werkzeugmacher-Lehre.» Freilich liess er es nicht dabei bewenden, Breu liess sich an der Fachhochschule St.Gallen zum Maschinenbau-Ingenieur ausbilden und absolvierte später an der Cleveland State University ein MBA-Programm.
Auch Christian Fiechter selbst startete in den Sechzigerjahren bei SFS mit einer kaufmännischen Lehre, wurde Topmanager und war schliesslich 1997 im Verwaltungsrat dabei, als Hans Huber 70 Jahre alt wurde und sein Ausscheiden aus dem Gremium bevorstand. Quasi als Abschiedsgeschenk gründeten SFS und Hans Huber gemeinsam die Stiftung, die sich um die Berufslehre kümmert.
Die Stiftung sollte ihre Tätigkeit eigentlich aus dem Ertrag des Stiftungskapitals finanzieren, das die SFS und Hans Huber einbrachten. Das funktioniert aufgrund der tiefen Zinsen schon länger nicht mehr, weshalb die SFS und die private Holding Huwa-Beteiligungen des 2018 verstorbenen Hans Huber jährlich einen sehr namhaften Betrag beisteuern.
Als es noch Lehrstellenmangel gab
«Hans Huber war seit je her ein Verfechter der Berufslehre», sagt Christian Fiechter, «auch, weil das Wachstum von SFS hier in der Region ohne eigene Ausbildung nie möglich gewesen wäre. All die Polymechaniker – Werkzeugmacher, wie sie früher noch hiessen – hätten wir nie auf dem Markt gefunden.»
Als die Hans-Huber-Stiftung «zur Förderung der dualen Berufsbildung» als einzigem Stiftungszweck gegründet wurde, sah man zwei Probleme, wie Christian Fiechter erklärt: Dass es zu wenig Fachleute aus der Berufslehre geben könnte, aber auch, dass es einen Lehrstellenmangel geben könnte. «Es gab damals Jugendliche, die keine Lehrstelle fanden. Zu jener Zeit war der Lehrlingsmarkt bei Weitem noch nicht so gross wie heute.» Inzwischen sieht das ganz anders aus: Lehrstellen gibt es zur Genüge, es wird aber zunehmend schwierig, alle zu besetzen. Und deshalb fokussiert sich die Stiftung darauf, Jugendliche zu motivieren, eine Berufslehre als möglichen Ausbildungsweg ins Auge zu fassen.
Aufgrund der demografischen Entwicklung sinkt die Zahl der Jugendlichen, die sich überhaupt für eine Berufslehre oder den Weg an eine Maturitätsschule entscheiden können. Die Geburtenraten steigen zwar wieder, bis aber wieder mehr Jugendliche an der Schwelle der Berufsausbildung stehen, dauert es noch gute 15 Jahre.
Maturität absorbiert mehr Jugendliche
«Es liegt uns fern, Maturität und Lehrstellen gegeneinander auszuspielen», betont Christian Fiechter mehr als einmal im Gespräch. «Es braucht beides – in einem vernünftigen Verhältnis.» Sicher brauche es mehr Leute aus der Berufslehre als Akademiker. Dieses Verhältnis kippe langsam, in manchen Regionen schon sehr stark: «Es macht uns Sorgen, dass der Weg zur Maturität immer mehr Schüler absorbiert und die Kantonsschulen wachsen.»
Insbesondere in der Agglomeration Zürich seien Nachhilfekurse zur Vorbereitung der Kanti-Aufnahmeprüfungen eine regelrechte Industrie geworden. «Da geben Eltern tausende von Franken aus, um ihre Kinder durch die Aufnahmeprüfung zu bringen», sagt Christian Fiechter. «Das ist ein Blödsinn, denn sie bestehen wohl die Prüfung, fliegen aber oft danach raus und sind gar nicht studierfähig.»
Den Drang an die Mittelschulen erklärt sich Christian Fiechter auch mit herrschenden Vorurteilen: Jemand, der die Matura geschafft hat, verdiene später mehr. «Das stimmt so nicht», wendet Christian Fiechter ein. Allenfalls sei der Lohn im Moment des Lehrabschlusses oder des Schulabgangs höher, wenn ein Lehrling im Alter von 20, ein Student aber im Alter von 25 Jahren einsteige. «Wenn der HSG-Absolvent in eine Bank geht, verdient er in diesem Moment sicher mehr», sagt Fiechter, «aber im Verlauf der Zeit ändert sich das, das kann man nachweisen.» Wenn ein Lehrabgänger sich bemühe und nicht 50 Jahre das Gleiche mache, sondern sich weiterbilde, dann glichen sich die Saläre aus – «man übersieht, wie viele Manager aus der Lehre kommen».
«Du hast das Zeug für die Kanti»
Christian Fiechter beobachtet, dass gerade Eltern, die selbst Akademiker sind, ganz selbstverständlich wollen, dass auch ihre Kinder Akademiker werden. Zudem heisse es auch in den Schulen sehr oft «du hast ein gutes Zeugnis, du hast das Zeug für die Kanti». Was Christian Fiechter ärgert: «Der Spruch ist einfach falsch. Damit sagt man: Wenn du das Zeug nicht hast, kannst du ja immer noch eine Lehre machen. Nur schon dieser Satz wertet die Lehre ab!» Es sei ein Fehler, Lehrer daran zu messen, wie viele Schüler sie an die Kanti bringen und nicht, wie viele eine sinnvolle Anschlusslösung haben.
Vielen Jugendlichen wiederum fehlten die Entscheidungsgrundlagen, wie Christian Fiechter sagt: Wenn man Schülerinnen und Schüler frage, warum sie das Gymnasium gewählt haben, antworte ein hoher Prozentsatz, sie hätten nicht gewusst, was machen.
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Zuzüger kennen Lehre nicht
Ein Problem gebe es auch bei Zuzüger aus Ländern, die keine Berufslehre kennen. Viele Eltern verstünden die Berufslehre nicht, deshalb sei es beispielsweise für viele deutsche Eltern klar, dass ihr Kind zwingend ans Gymnasium gehen müsse.
Dass in der Schweizer Wirtschaft immer mehr ausländische Führungskräfte wirken, die ebenfalls die Berufslehre nicht kennen, sei ein weiteres Problem: «Die bevorzugen eher die Maturitätsabgänger.» Christian Fiechter kennt sogar einen Fall, als ein ausländischer Manager in seinem industriell geprägten Betrieb die Berufslehre ganz abschaffen wollte, weil das nur Geld koste und nichts bringe. «Zum Glück hat ihn dann der Verwaltungsrat zurückgepfiffen.»
In der SFS läuft das noch anders, wie der frühere SFS-Manager sagt: «Wenn bei uns ein Bewerber von der ETH und einer von einer Fachhochschule kommen, dann sind die grundsätzlich gleichwertig ausgebildet – und dann nehmen wir den von der Fachhochschule», erklärt Fiechter. «Der hat schon gelernt, zu arbeiten, der weiss, wie es in einem Betrieb funktioniert. Jemand, der aus einem Studium kommt, weiss das noch nicht.»
Das führt dazu, dass in der SFS die Berufslehre in sämtlichen Bereichen sehr stark vertreten ist, auch bei den Ingenieuren kommen die meisten aus einer Fachhochschule, «vor allem Buchs ist für uns ein wichtiges Reservoir», sagt Fiechter. Die SFS motiviert ihrerseits ihre guten Lehrabgänger, an eine Fachhochschule zu gehen, und unterstützt sie: Das Studium können sie auch berufsbegleitend absolvieren, dafür bekommen sie die Möglichkeit, reduziert zu arbeiten.
Tiefe Maturaquote im Rheintal
Im Rheintal ist die Maturaquote mit rund zehn Prozent sehr tief, der Wert entspricht nicht einmal der Hälfte des Schweizer Durchschnitts von 22 Prozent und liegt auch tiefer als sonst im Kanton St.Gallen, wo etwas über 15 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine Gymnasiale Matur ablegen.
Christian Fiechter sieht in diesen Zahlen kein Problem, hingegen in den Bestrebungen, die Maturaquote zu erhöhen: «Per se mehr Leute an die Mittelschule bringen zu wollen, ist nicht sinnvoll. Bestimmen muss das der Markt.» Auch auf diesem Markt ist die Rheintaler Wirtschaft sehr erfolgreich, wie Fiechter nicht ungerne einräumt: «Ein Grund für die tiefere Maturitätsrate im Rheintal sind sicher die Aktivitäten unserer Stiftung, in erster Linie aber das hervorragende Lehrstellenangebot im Rheintal.»
Neben der Hans-Huber-Stiftung gibt es im Rheintal weitere Organisationen, die sich für die Berufslehre stark machen, etwa der Verein Chance Industrie Rheintal, zu dem sich 13 grössere Unternehmen zusammengeschlossen haben, die zusammen rund 400 Lernende beschäftigen. Am jährlichen Berufsevent (dieses Jahr am 17. und 18. November in St.Margrethen) können sich Schülerinnen und Schüler über verschiedenste Berufe informieren lassen – auf Augenhöhe, direkt von Lernenden der jeweiligen Betriebe.
Image der Lehre verbessern
Heute verfolgt die Hans-Huber-Stiftung vor allem zwei Ansätze. Um die Berufslehre in der Allgemeinheit besser bekannt zu machen und um ihr Image zu verbessern, verleiht die Stiftung verschiedene Preise. Mit dem Hans Huber Anerkennungspreis werden jedes Jahr zwei Persönlichkeiten aus dem Kerngebiet der Stiftung ausgezeichnet. Dieses Kerngebiet um-fasst die Kantone Thurgau, St.Gallen und beide Appenzell sowie das Fürstentum Liechtenstein und das österreichische Bundesland Vorarlberg. «Für den Arbeitsmarkt Rheintal ist der Rhein keine Grenze», erklärt Christian Fiechter, allein bei SFS würde rund 300 Grenzgänger arbeiten. «Wir sind auf den Arbeitsmarkt Vorarlberg angewiesen.» In Vorarlberg sei auch die Bedeutung der Lehre mindestens so gross wie im Rheintal, im Gegensatz zum übrigen Österreich.
Bei den ausgezeichneten Persönlichkeiten handelt es sich oft um Geschäftsführer, die sich um die Berufslehre verdient gemacht haben, dabei kommt neben einem grösseren stets auch ein kleinerer Betrieb zum Zuge. «Wir wollen die Bedeutung vom Gewerbe als Ausbilder aufzeigen.» Fallweise wurden auch schon Berufsschullehrer ausgezeichnet.
An der grossen Veranstaltung in den Räumlichkeiten der SFS werden gleichzeitig die Hans Huber Förderpreise vergeben: Damit werden Trainer, die Teilnehmer der alle zwei Jahre abgehaltenen Berufsweltmeisterschaften zu Medaillen geführt haben, gewürdigt. Unabhängig von der Stiftung vergibt im Rahmen dieser Veranstaltung die SFS einen Lehrlingspreis an die besten Lernenden aus dem ganzen Rheintal aus Berufen, die auch SFS ausbildet.
Seit rund zehn Jahren kommt mit dem Nationalen Bildungspreis eine dritte Auszeichnung der Hans-Huber-Stiftung dazu, die auf die ganze Schweiz ausgerichtet ist. Ausgezeichnet werden damit Unternehmen, die möglichst als Leuchttürme wirken. Wenn die Chefin oder der Chef dieses Unternehmens selbst eine Berufslehre gemacht hatte, strahlt der Preis natürlich noch mehr. «Weil man uns in der Schweiz noch nicht kannte, vergeben wir diesen Preis gemeinsam mit FH Schweiz, dem Verein aller Fachhochschulabgänger», sagt Christian Fiechter. «Unterdessen ist der Preis eine Marke.» Dieser Preis wird an wechselnden Orten in Fachhochschulen verliehen.
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Jugendliche selbst ansprechen
Die verschiedenen Auszeichnungen bringen der Berufslehre mediales Echo. Die Stiftung unterstützt aber auch Aktivitäten, um die Jugendlichen direkt anzusprechen. Mit dem Programm «Fit für die Lehre», das vom Arbeitgeberverband Rheintal vor bald 20 Jahren lanciert wurde, erhalten alle Oberstufen im Rheintal die Möglichkeit, einen halbtägigen Informationsanlass über das Thema Berufslehre anbieten zu können. Ursprünglich war das als einmalige Jubiläumsaktion des Arbeitgeberverbands gedacht. Die Schulen waren vom Angebot begeistert, weshalb daraus nun ein verstetigtes Angebot wurde: Jedes Jahr werden von Rheineck bis Oberriet über ein Dutzend Workshops abgehalten.
Die Hans-Huber-Stiftung bietet dasselbe Programm ihrerseits zusammen mit der Förderstiftung Polaris in der ganzen Deutschschweiz an, zwischen 10 und 15 solcher Informationsveranstaltungen werden jährlich durchgeführt.
Eignungen und Neigungen zählen
Christian Fiechter betont, dass es nicht darum gehe, einfach möglichst viele Jugendliche in die Berufslehre zu bringen. «Wir sagen nicht: ‹Ihr müsst eine Lehre machen›. Wir sagen: ‹Ihr solltet etwas machen, was Euren Eignungen und Neigungen entspricht›.»
Manchmal entdecken Jugendliche diese Neigungen erst später. Deshalb seien auch Kanti-Abgänger ein gutes Reservoir für die Berufslehre, erklärt Christian Fiechter. «Es gibt etliche Kanti-Abgänger, die nicht mehr weiter in die Schule wollen.» Nicht jeder Lehrling müsse 15-jährig sein, «das spielt doch keine Rolle, wenn jemand schon 20 ist». Diesen Jugendlichen müsse man aber eine andere Lehre anbieten, einen Kanti-Abgänger könne man nicht in die normale KV-Lehre schicken. «Allgemeinbildung haben sie schon drauf, das kann man streichen», meint Christian Fiechter, «die brauchen eine verkürzte Lehre, nur mit den praktischen Inhalten.»
Im Bereich KV gibt es solche Angebote, wenn es nach Christian Fiechter geht, sollte das für viele weitere Berufe auch erreicht werden. «Im Bereich Polymechaniker sind wir mit verschiedenen Unternehmen und dem Standort Buchs der Fachhochschule OST daran, ein Programm zu erstellen, um eine verkürzte Lehre anbieten zu können», sagt Christian Fiechter. «Der Staat muss aber nachziehen, damit wir auch diesen Lernenden ein Fähigkeitszeugnis geben können – sonst ist es ein Schuss in den Ofen.»
Eine Lehre fürs Leben
Der Präsident der Hans-Huber-Stiftung betont gerne, dass Jugendliche mit einer Berufslehre grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten wie mit einer Matura hätten. Er relativiert aber: «Wir können ja nicht alle zu Ingenieuren oder Finanzfachleuten weiterbilden. Es braucht auch noch Leute, die Maschinen bedienen, jemanden, der die Büroarbeit macht.» Deshalb müsse man den potenziellen Lernenden aufzeigen, dass der eigentliche Beruf interessant sei und dass die Ausbildung interessant sei. «Nach einer Lehre hat man einen interessanten Job, der nicht immer gleich ist.» Zudem erleichtere das breite Ausbildungsprogramm einer Berufslehre im Laufe des Berufslebens auch den Wechsel in einen anderen Beruf.
Interessant sei die Berufslehre auch deshalb, weil sich hier Jugendliche soziale Kompetenzen aneignen könnten. Wer ein Gymnasium und ein Studium absolviere, bewege sich bis 25 nur unter seinesgleichen. «Das ist ein Riesenvorteil der Berufslehre», hält Christian Fiechter fest: «In einer Lehre trifft man vom ersten Tag an andere Leute aus allen Altersklassen und unterschiedlicher sozialer Herkunft, mit denen man zusammenarbeiten muss. Die Berufslehre ist darum auch eine Lebenslehre.»
Die Tendenz, dass zunehmend Berufe akademisiert werden, ist für Christian Fiechter ein Ärgernis. «Wenn Pflegende im Gesundheitswesen oder Kindergärtnerinnen eine Matura brauchen, ist das völlig daneben.» Eine Gefahr sieht er auch darin, dass durch Reformen wie aktuell im KV in den Berufslehren das Praktische immer mehr an Bedeutung verliere. «Das kann dann dazu führen, dass kleine Betriebe nicht mehr ausbilden, weil der Aufwand zu gross wird.» Das wäre dann ein echtes Problem, denn die meisten Lehrabgänger kommen aus kleineren Betrieben, wie Christian Fiechter sagt, ganze drei Viertel kämen aus KMU.