Insektenburger sind gut für Mensch und Planet
Mehlwürmer, Wüstenheuschrecken und Ameisen: Wer diese Insektennamen hört, dem dürfte wohl nicht als Erstes das Wasser im Mund zusammenlaufen. Dennoch gibt es bereits viele Menschen, die diese kleinen Tiere essen. Auch in der Schweiz. «Insekten enthalten von Natur aus viele wertvolle Proteine, Vitamine wie B12 und Mineralien und lassen sich bei geringem Ressourcenverbrauch züchten», sagt Christian Bärtsch.
Der 33-Jährige ist Geschäftsführer und Mitgründer der Schweizer Firma Essento, die Spezialitäten aus essbaren Insekten entwickelt, produziert und vermarktet. Das Unternehmen ist vor knapp zehn Jahren als Start-up aus der HSG entstanden, wo Bärtsch und seine beiden Mitgründer studierten. «Für uns war schon damals klar: Insekten haben als Lebensmittel ein grosses Potenzial – für eine bessere Gesundheit und eine nachhaltigere Ernährung.»
Burger, Riegel und Snacks aus Insekten
Mittlerweile ist Bärtsch der alleinige Geschäftsführer von Essento, die beiden anderen sind nicht mehr im Team. Das Unternehmen mit insgesamt fünf fix angestellten Mitarbeitern sowie mehreren Angestellten im Stundenlohn bietet heute sieben Produkte mit essbaren Insekten an: ein Burger, Meat Balls, zwei Proteinriegel – einer mit Schokolade, einer mit Cranberrys – und drei verschiedene Snacks als Alternative zu Kartoffelchips.
«Bei den Snacks gibt es die ganzen Insekten geröstet und verfeinert, in den Riegeln sind sie minimal verarbeitet zu finden.» Verkauft werden die Produkte im eigenen Onlineshop und seit 2017 auch in über 200 Coop-Filialen schweizweit. «Dass wir es in den Detailhandel geschafft haben, macht uns stolz», sagt der Geschäftsführer. Denn vor allem zu Beginn habe man den Jungunternehmern wenig Hoffnung auf Erfolg gegeben. «Vor allem, weil da dieses Gesetz war, das zunächst geändert werden musste.» Den Anstoss dafür gaben die Essento-Gründer mit ihrer Geschäftsidee, was jedoch kein leichtes Unterfangen war.
Gesetzesänderung mitbestimmt
In der Schweiz durften Insekten lange Zeit nur für den Eigengebrauch gesammelt, gezüchtet und gegessen werden. Der Verkauf war verboten. Im Rahmen der Anpassung des Lebensmittelgesetzes an die EU-Normen brachten die Jungunternehmer auch das Thema Speiseinsekten aufs Tapet. Ihr Ziel: Die gesetzlichen Vorgaben für den Verzehr und Vertrieb von Insekten zu lockern. Sie setzten sich mit den Behörden zusammen und leisteten Aufklärungsarbeit. Sie vernetzten sich mit Politikern und brachten ihnen gar Mehlwurm-Burger zum Probieren ins Bundeshaus. Mit Erfolg. Seit 2017 sind Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken in der Schweiz unter Auflagen als Lebensmittel zugelassen.
Damit sei die Schweiz das erste westliche Land, das drei Insektenarten für den menschlichen Verzehr zulasse, so Bärtsch. «Es war eine intensive, aber auch sehr spannende Zeit. Wir leisteten enorm viel Pionierarbeit.» Und sie tun es immer noch. Nicht nur in der Schweiz. Mittlerweile sitzt der Jungunternehmer auch im Vorstand der International Platform of Insects for Food and Feed (IPIFF) mit Sitz in Brüssel. Dies ist eine gemeinnützige EU-Organisation, welche die Interessen des Insektenproduktionssektors gegenüber der EU-Politik vertritt.
Futter aus organischem Abfall
Entwickelt und produziert werden die Produkte am Hauptsitz von Essento in Zürich. Noch heute ist der gebürtige Winterthurer aber mit der HSG stark verbunden. «Wir pflegen einen regelmässigen Austausch mit der HSG und den Leuten vom früheren Foodtech Lab.» Die in den Essento-Produkten enthaltenen Mehlwürmer entstammen der mit Bio Suisse zertifizierten Insektenzucht Ensectable im aargauischen Endingen, weitere essbare Insekten kommen aus dem EU-Raum. «Sie werden gemäss unseren strengen Vorgaben produziert», betont der Geschäftsführer, «was wir auch kontrollieren.»
Gefüttert werden die Insekten mit organischen Seitenströmen. «Damit steht das Futtermittel für Insekten nicht in Konkurrenz mit unseren Lebensmitteln.» Beispiele solcher Seitenströme sind Weizenkleie, das bei der Getreideverarbeitung in Unmengen anfällt, oder Ausschussgemüse, das die Menschen nicht essen. «Damit können wir einen Beitrag an ein zirkuläres Ernährungssystem leisten, was uns ein grosses Anliegen ist.»
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Hundertmal weniger Wasser
Aber nicht nur wegen der kreislaufwirtschaftlichen Produktion seien Insekten nachhaltiger als pflanzliche Ersatzprodukte, sondern auch wegen des geringeren Wasser- und Energieverbrauchs. «Die Zucht von Insekten benötigt bis zu hundertmal weniger Wasser als die Produktion von Rindfleisch.» Es gibt aber auch Kritik aufgrund des angestiegenen Insektensterbens weltweit. «Unsere Insekten stammen aus zertifizierten, abgeschlossenen Zuchtbetrieben und stehen deshalb nicht in Verbindung mit den Insekten aus freier Wildbahn.»
Essbare Insekten sind laut Bärtsch aber nicht nur für den Planeten gut, sondern auch für den Menschen. «Mehlwürmer beispielsweise sind reich an tierischen Proteinen und enthalten zudem besonders viele essenzielle Aminosäuren, die der Körper benötigt und besser verwerten kann als pflanzliche Eiweisse.»
In diesem Zusammenhang arbeitet das Unternehmen auch immer wieder mit der ETH Zürich und der Hochschule in Winterthur (ZHAW) zusammen. Dabei wurde beispielsweise untersucht, ob der Mensch das Eisen aus den Insektenprodukten aufnehmen kann. «Das kann er», sagt Bärtsch. «In der Studie konnte das Eisen, das sich im Futter der Insekten befindet, im menschlichen Blut nachgewiesen werden.» Aktuell läuft eine ähnliche Untersuchung über die Aufnahme von Proteinen.
Expandieren und neue Produkte
Die Geschäftstätigkeit von Essento findet zu 80 bis 85 Prozent in der Schweiz ändern. Das soll sich aber in naher Zukunft ändern. «Wir wollen auch den internationalen Markt erobern», so der Geschäftsführer. Als Erstes ist Deutschland an der Reihe. Vor zweieinhalb Jahren wurde hier ein Joint Venture gegründet, das auf die Zucht von Mehlwürmern spezialisiert ist und mittels Anlagen, die selbst entwickelt wurden, automatisiert arbeitet. «Aktuell haben wir die Pilotanlage in Betrieb genommen. Zeitnah planen wir, eine Anlage in industrieller Dimension zu bauen.»
Zudem möchte das Unternehmen seine Produktpalette ausbauen und dabei den Fokus auf den Sportbereich verstärken. «Wir haben bereits zwei Proteinpulver in der Pipeline», verrät Bärtsch. Eines seiner grossen Anliegen ist auch die Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung. «Wir sind ein Pionierunternehmen und möchten die Änderung unseres Ernährungsverhaltens vorwärtstreiben. Das Insektenessen in Europa soll salonfähig werden.»
Text: Marion Loher
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer, zVg