Innovationen für den nachhaltigen Umbau der Ernährungswirtschaft
Zwei Milliarden Menschen essen jeden Tag Lebensmittel, die mit Know-how von Bühler hergestellt wurden. Das Familienunternehmen mit Hauptsitz in Uzwil ist in 140 Ländern präsent und beschäftigt 12’700 Mitarbeiter. Bühler kann auf 160 Jahre Geschichte zurückblicken, doch lieber blicken die Verantwortlichen voraus: Bühler hat eine herausragende Stellung als Ausrüster der weltweiten Ernährungswirtschaft, daraus leitet der Chief Technology Officer von Bühler auch eine besondere Verantwortung ab: «Wir müssen in ein künftig nachhaltigeres Lebensmittelsystem investieren», sagt Ian Roberts.
Ernährungswirtschaft nachhaltig umbauen
«Bis zum Jahr 2050 müssen wir zwei Milliarden weitere Menschen auf dem Planeten ernähren, und wir müssen das mit etwa 35 Prozent weniger Land schaffen», erklärt Ian Roberts – weil der Rest des Landes für Wiederaufforstung und Artenvielfalt reserviert werden müsse. «Das ist eine sehr grosse Herausforderung.»
Der promovierte Chemieingenieur weist darauf hin, dass seit seiner Geburt im Jahre 1970 fast 70 Prozent der Artenvielfalt auf der Erde zerstört wurden. 1970 war auch das Jahr, in dem der Tag der Erdüberlastung («Earth Overshoot Day») erstmals auf den 31. Dezember, also ins laufende Jahr, fiel. Die Menschen konsumieren seither mehr, als die Ökosysteme der Erde erneuern können. Inzwischen liegt das Datum, an dem die Erneuerung eines Jahres verbraucht wurde, Anfang August; die Schweiz allein betrachtet hat bereits Mitte Mai mehr konsumiert, als erneuert werden kann.
Dabei spielt das Ernährungssystem eine wichtige Rolle. Bühler setzt sich deshalb dafür ein, die Ernährungswirtschaft nachhaltig umzubauen, und zwar so, dass die lokale Wirtschaft angekurbelt und die jeweilige Tradition und Gesellschaft respektiert werden.
Effizientere Proteinumwandlung
Bühler hat insbesondere die Produktion von Protein im Auge. Ian Roberts weist darauf hin, dass 62 Prozent der weltweiten Landwirtschaftsflächen für die Viehzucht genutzt würden. «Es ist ein offensichtliches Ziel, dieses Land effizienter zur Proteinumwandlung zu nutzen.» Bei der Umstellung auf eine nachhaltigere Ernährung könne Bühler einen Teil dazu beitragen, «aber wir können das Problem nicht allein lösen», betont Roberts, «wir müssen eine massive Zusammenarbeit vorantreiben.»
Beim Übergang zu einer nachhaltigen Ernährung stünden nicht nur die Technologie, der Geschmack und die Akzeptanz vor einer Herausforderung, «wir müssen einen völlig neuen Markt schaffen.» Eine solche Umstellung laufe in jedem Land anders ab, doch sei der Prozess fast immer langsam: «Eine Ernährungsumstellung dauert normalerweise eine Generation.»
Gegenwärtig gebe es eine spürbare Begeisterung für alternative Proteinen, doch für Ian Roberts bleibt ein grosses Fragezeichen ist: «Können wir solche Szenarien schnell genug skalieren, um die erforderliche Wirkung – das Lebensmittelsystem in kurzer Zeit nachhaltig zu machen – zu erzielen?»
Insekten als Tierfutter
Um eine rasche Wirkung bei der Verringerung des CO₂-Fussabdrucks zu erzielen, müssen gemäss dem Bühler-CTO auch Verbesserungen in bestehenden Prozessen erreicht werden. «Alles, was getan werden kann, um den CO₂-Fussabdruck des Fleischkonsums zu reduzieren, lässt sich viel schneller skalieren als der Aufbau einer neuen Kategorie in der Lebensmittelindustrie», sagt Ian Roberts.
Es gehe also nicht nur darum, Fleisch und Milchprodukte zu ersetzen, sondern gleichzeitig auch darum, die Tierhaltung klimafreundlicher zu gestalten. Ansätze dazu gibt es etwa durch den Einsatz von Insekten.
«Mit Soldatenfliegen lässt sich ein exemplarisches Modell von Kreislaufwirtschaft realisieren. Diese Insekten werden mit landwirtschaftlichen Abfallprodukten und Lebensmittel-Seitenströmen gefüttert, die schnell wachsenden Fliegen wiederum werden an Hühner und Fische verfüttert», erläutert Ian Roberts. So wird der CO₂-Fussabdruck von Huhn und Fisch verringert. Für Bühler sind solche Modelle keine Theorie, das Unternehmen erstellt auch industrielle Insektenanlagen für Kunden, die eine solche Anlage betreiben wollen.
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Start-ups sind wichtig für Innovation
Auch im Bereich von pflanzenbasierten Proteinen – Fleischersatzstoffe, Milchersatzstoffe – bietet Bühler die notwendige Technologie an. «Pflanzliches Fleisch erfreut sich einer steigenden Beliebtheit», sagt Ian Roberts und verweist auf die Erfolgsgeschichte des 2019 gegründeten Start-ups Planted AG, das eng mit Bühler zusammenarbeitet. Das junge Unternehmen produziert in Kemptthal pflanzliches Fleischersatzprodukte, aktuell auch ein «Pouletfilet», das sowohl im Einzelhandel als auch in der Gastronomie erhältlich ist.
Im Mainstream angekommen sind solche Produkte bisher nicht, «es ist immer noch eine Nische», sagt Ian Roberts, doch: «Einige der weltweit führenden Lebensmittelunternehmen treiben die pflanzenbasierte Agenda sehr stark voran.»
Am Anfang solcher Entwicklungen stünden aber meistens Start-ups, «niemand sonst will der Erste in einem neuen Gebiet sein.» Innovative Start-ups würden deshalb eine entscheidende Rolle bei der Transformation und Umwälzung der Ernährungswirtschaft spielen. Grosse Unternehmen mit grossen Investitionen folgen und können neue Entwicklungen skalieren. «Das ist dann der Wendepunkt.»
Beim Insektenmarkt sieht Ian Roberts diesen Punkt gekommen. Für Start-ups ein heikler Augenblick, sie geraten oft in ein Dilemma, wenn sie etwa einem Fischproduzenten plötzlich Liefergarantien für mehrere zehntausend Tonnen Fischfutter geben müssen. «Ein Unternehmen muss rasch die erforderliche Grösse erreichen, um die Wertschöpfungskette bedienen zu können.»
Pouletbrust aus dem Bioreaktor
Am früheren Maggi-Standort Kemptthal arbeitet Bühler daran, Prozesse zur Herstellung von kultiviertem Fleisch in einem kommerziell interessanten Massstab herstellen zu können – mit zwei grossen Partnern: Migros und Givaudan. Hier entsteht unter Laborbedingungen richtiges Fleisch, im Prinzip wird eine Muskelzelle eines Tieres stetig vermehrt. «Ich habe in Bioreaktoren hergestellte Pouletbrust gegessen. Es ist Pouletbrust, nichts anderes, darüber gibt es keine Diskussion. Hätte ich nicht gewusst, dass dafür kein Huhn geschlachtet wurde, hätte ich den Unterschied nicht bemerkt», sagt Ian Roberts.
Das Prinzip funktioniert, es gibt aber noch viele technologische Herausforderungen – Effizienz, Skalierung und Kosteneffektivität. Noch sei es schwierig, sicherzustellen, dass Sie die Fleischzellen konstant und unter optimalen Bedingungen wachsen lassen können. «Aber das ist alles lösbar», gibt sich Ian Roberts überzeugt. «Eines Tages, in drei oder eben sieben Jahren, wird es gelöst sein.» In dieser Zeit gilt es dann auch, regulatorische, also politische Fragen zu lösen.
Die heranwachsenden Fleischzellen werden mit einem Nährmedium gefüttert, das noch sehr teuer ist. Die Forscher sind aber überzeugt, die Kosten dereinst drastisch senken zu können. Die Ausgangsstoffe für das Nährmedium können dann aus der Landwirtschaft stammen.
Herausforderungen gemeinsam angehen
Für Ian Roberts ist das kultivierte Fleisch ein Beispiel dafür, dass niemand die grossen Herausforderungen der Ernährungswirtschaft allein lösen wird. «Wir verfügen über verfahrenstechnisches Wissen, aber grossartiger Geschmack und eine richtige Textur für ein gutes Gefühl im Mund – das ist Givaudan. Und ein Produkt ins Regal bringen, die Zusammenarbeit mit den Verbrauchern – das ist Migros.»
Wenn weltweit hundert Unternehmen an solchen Entwicklungen tüfteln, dann benötigen sie je bis zu 50 Millionen Franken, um einen skalierbaren Produktionsprozess zu entwickeln. «Aus Kapitalsicht ist dies ein chronisch ineffizienter Einsatz von Mitteln. Es ist nicht nötig, hundertmal 50 Millionen aufzubringen, um ein ähnliches Problem zu lösen.»
Diese Überlegung hatten die Bühler-Verantwortlichen im Kopf, als das Unternehmen das Konzept der Anwendungs- und Trainingscenter forcierte. «Wir bauen Einrichtung auf, die anderen Unternehmen bei der Lösung ihres Problems helfen. Sie können ihr geistiges Eigentum behalten, ihr Eigenkapital im Unternehmen halten und uns einfach für die Dienstleistung bezahlen.»
Wird Innovation in solchen Partnerschaften gefördert, könne die Branche ihre Prozesse schneller umstellen, «weil sie weniger auf einen massiven Kapitaleinsatz angewiesen ist, bis es zur vollständigen industriellen Fertigungsphase kommt.»
Text: Philipp Landmark
Bild: zVg Pixabay