Schwerpunkt Ernährungswirtschaft

Jeder fünfte Patient im Spital ist mangelernährt

Jeder fünfte Patient im Spital ist mangelernährt
Robert Schreiber
Lesezeit: 4 Minuten

Der Lehrstuhl für Entrepreneurship an der HSG erweitert sein Forschungsgebiet von FoodTech auf HealthTech. Als ein wesentlicher Faktor für die Gesundheit bleibt die Ernährung weiterhin im Fokus der Forscher.

Der Wirbel um alternative Proteinquellen war gerade riesig, als vor dreieinhalb Jahren an Dietmar Grichniks Lehrstuhl für Entrepreneurship das FoodTech Lab aus der Taufe gehoben wurde, zusammen mit den strategischen Partnern Nestlé und Unilever. Als Teil der Food Innovators Challenge hatten Start-ups die Möglichkeit, mit Unilever am Campus Thayngen ihre Idee zu einer marktreifen Lösung voranzutreiben. «Am Lehrstuhl für Entrepreneurship haben wir jedes Semester sechs bis acht Food-Tech Start-ups ausgesucht und gecoacht, um deren Produktideen zur Marktreife zu bringen», sagt der damalige Doktorand Robert Schreiber, der Teil des Teams war.

Goldenes Dreieck Bewegung-Ernährung-Schlaf

Inzwischen arbeitet der Neurowissenschaftler zu 50 Prozent im Healthspan Lab am HSG-Lehrstuhl für Entrepreneurship, der Bereich Ernährung ist darin aufgegangen und weiterhin ein aktuelles Thema: «Wir forschen im Goldenen Dreieck Bewegung-Ernährung-Schlaf – Faktoren, die eine grosse Rolle für die Gesundheit haben», erklärt Robert Schreiber.

Gesundheit und Ernährung hätten eine direkte Korrelation, hält Robert Schreiber fest, wobei aus einer wirtschaftlichen Perspektive die Gesundheit ein grösserer Markt als die Ernährung sei – nicht zuletzt, seit das Thema Longevity, Langlebigkeit, immer grössere Bedeutung bekommt. «Sobald es um Gesundheit und Langlebigkeit geht, sind die meisten Menschen bereit, eine vergleichsweise hohe Geldsumme zu bezahlen.»

«Wenn ein Patient im Spital mangelernährt ist, treten 20 Prozent mehr Komplikationen auf und Spitalaufenthalte fallen zu 30 Prozent länger aus.»

Mangelernährung hat teure Folgen

Neben seinem Engagement an der HSG ist Robert Schreiber im ETH-Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie tätig, auch dort befasst er sich unter anderem mit Ernährungsthemen. Ein Aspekt, den er nicht nur erforscht, sondern auch als Unternehmer beackert, ist die Mangelernährung: Robert Schreiber hat auch das Start-up AlpineWell für Ergänzungsnahrung für Menschen mit Mangelernährung gegründet.

Mangelernährung ist insbesondere bei rekonvaleszenten Personen ein unterschätztes und oft nicht erkanntes Problem. «Bund und Krankenkassen erwachsen daraus Kosten von über 500 Millionen Franken im Jahr», sagt Robert Schreiber. «Jeder fünfte Patient, der in ein Spital eintritt, ist mangel-ernährt. Dabei handelt es sich vor allem um ein Defizit von Protein und Mikronährstoffen.»

In bereits 40 verschiedenen grossen Kliniken der Schweiz werden die Produktentwicklungen getestet. Der entwickelte Tracker erkennt vollautomatisch und in Bruchteilen einer Sekunde, ob der Patient ausreichend gegessen hat, und kann so frühzeitig Mangelernährung detektieren. Der Tracker ist eine einfache Subtraktion auf Hightech-Niveau: Eine 3D-Kamera nimmt das Menu eines Patienten auf, so wie es aus der Küche kommt, dabei werden mit Laserstrahlen die Volumina berechnet und anhand 30’000 Referenzbildern erkennt die künstliche Intelligenz die Art der Speisen und kann die vorhandenen Nährwerte bestimmen. Nach der Mahlzeit wird das Tablet mit dem Teller von einer identischen Kamera erfasst, aus der Differenz der Volumina dadurch kann berechnet werden, was der Patient zu sich genommen hat. Die verwendeten 3D-Kameras gibt es schon länger am Markt, «der Wert des Food-Trackers liegt ganz klar in der Software», wie Robert Schreiber sagt.

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Mangel kompensieren

Erkennt der Food-Tracker, dass ein Patient zu wenig gegessen hat, kann dies mit Nahrungsergänzungsmitteln gezielt kompensiert werden. Der individuelle Bedarf der jeweiligen Patienten wird von Ernährungsberatung und Ärzten errechnet. «Jeder Mensch hat einen anderen Bedarf, das hängt unter anderem von Alter und Geschlecht, vom Gewicht und einer allfälligen Erkrankung ab», erklärt Robert Schreiber. «Bei einer Wundheilung benötigt ein Patient mehr Protein und bestimmte Mineralstoffe.» 

Der Forscher geht davon aus, dass die meisten Patienten viel zu wenig für eine gute Genesung essen. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen: «Wenn ein Patient im Spital mangelernährt ist, treten 30 Prozent mehr Komplikationen auf, und die Wundheilung verläuft um 20 Prozent länger», erläutert Robert Schreiber. Somit werden in den Spitälern kritische Betten länger belegt, «das Spital muss das aus Fallpauschalen selbst bezahlen».

«Macht es einen Unterschied, wenn ein Unternehmer sich gesund ernährt hat?»

HSG-Untersuchung an Unternehmern

Ernährung, Bewegung und Schlaf wirken sich auf Leistungsvermögen von Menschen aus – wie genau, möchte ein von Robert Schreiber geleitetes HSG-Forschungsprojekt herausfinden. Dazu werden 300 Unternehmer in ganz Europa in eine detaillierte Langzeituntersuchung eingebunden. Allen Probanden gemeinsam ist, dass sie ein Unternehmen selbst gegründet haben und nun performen müssen. Die Unternehmer werden für drei Monate mit einem Wearable Device am Handgelenk ausgerüstet, das verschiedene digitale Biomarker wie Puls, Hauttemperatur, Stress, aber auch physische Bewegung und Schlaf misst. Weiter erhalten die Probanden einen Blut-Glukose-Tracker, ein Patch wie bei Diabetes-Patienten, damit kann man permanent die Blutglykose-Werte erheben. Schliesslich wird auch das Mikrobiom analysiert.

Jedes Mal, wenn die Unternehmer eine Mahlzeit zu sich nehmen, müssen sie ein Bild davon machen, das dann mit künstlicher Intelligenz analysiert wird. Täglich müssen die Probanden auch verschiedene standardisierte kognitive Aufgaben lösen, «basierend darauf kann ihr Leistungsvermögen eingeschätzt werden», erklärt Robert Schreiber.

In einer Folgestudie möchten die Forscher dann gezielte Interventionen einbauen, um die Gesundheit und die Entscheidungen von Unternehmern zu verbessern. «Wir möchten herausfinden, welchen Effekte das hat», sagt Robert Schreiber: «Macht es einen Unterschied, wenn ein Unternehmer sich gesund ernährt hat, viel geschlafen hat, sich regelmässig bewegt hat? Hat das einen Effekt auf die kognitive Performance, auf das Risikoverhalten, und letztlich auch auf den Umsatz des Unternehmens?» Die Studien erstrecken sich über eineinhalb Jahre und werden aus dem Grundlagenforschungsfonds der Universität St.Gallen HSG finanziert.

Text: Philipp Landmark

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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