Digitale Hautdiagnose im Höhenflug

2016 wurde OnlineDoctor als Spin-off der Universität St.Gallen gegründet. Das Telemedizinunternehmen entwickelte sich von einem Start-up zu einem erfolgreichen Scale-up und hatte seinen Sitz mehrere Jahre im Startfeld St.Gallen (heute Innovationspark Ost). Heute befindet sich der Hauptsitz in der St.Galler Innenstadt, mit weiteren Büros in Zürich und Hamburg. Nun haben die Gründer einen Meilenstein erreicht: OnlineDoctor wird vom deutsch-österreichischen Konzern Lohmann & Rauscher übernommen.
Die Entscheidung, das wohl bekannteste Telemedizinunternehmen der Ostschweiz zu verkaufen, sei das Ergebnis eines langen Überlegungsprozesses gewesen, sagen Philipp Wustrow und Tobias Wolf: «Wir haben uns lange überlegt, was der nächste Wachstumsschritt sein soll. Dabei haben wir auch mit möglichen Käufern geredet. Wir suchten einen strategischen Partner, der zu uns passt und der uns unterstützt, nachhaltig zu wachsen und ein integraler Teil des weltweiten Gesundheitswesens zu werden. Genau das erlaubt die Übernahme durch Lohmann & Rauscher.» Das deutsch-österreichische Unternehmen führte mit OnlineDoctor die erste Akquisition eines Digital-Health-Start-ups überhaupt in seiner Geschichte durch.
«Wir haben einen strategischen Partner gesucht und gefunden, der zu uns passt.»
200 Jahre Erfahrung
Die Integration in L&R biete zahlreiche Vorteile: Das Unternehmen ist das Ergebnis einer Fusion der Familien Lohmann und Rauscher, die gemeinsam fast 200 Jahre Erfahrung mit medizinischen Produkten haben. Zudem ist L&R weltweit in verschiedenen Ländern tätig und verfügt über umfassende Expertise in der Integration neuer Unternehmen. Besonders wichtig war den OnlineDoctor-Gründern, dass die familiäre Kultur von L&R zu ihrer Start-up-Mentalität passt. «Es hat sich einfach richtig angefühlt», so Tobias Wolf.
Ein Verkauf von OnlineDoctor sei bereits länger eine strategische Option gewesen, da es darum ging, langfristig und nachhaltig zu wachsen, insbesondere in einem stark regulierten Markt wie dem Gesundheitswesen. «Unser Ziel war immer, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für unser Wachstum zu schaffen und sicherzustellen, dass wir weiterhin Innovationen vorantreiben. Die Zusammenarbeit mit L&R bietet uns genau diese Möglichkeiten», sagt Philipp Wustrow.
Strategisch gesehen gehe es darum, die Kompetenzen beider Unternehmen zu verbinden. Während L&R über internationale Standorte und regulatorische Expertise verfügt, bringt OnlineDoctor umfassende Technologie- und Plattformkompetenz im Bereich Telemedizin mit. «Gemeinsam können wir die Skalierung komplexer und digitaler Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen über die Schweiz und Deutschland hinaus in weitere internationale Märkte vorantreiben», so Wolf weiter.
Marke bleibt bestehen
Durch die Integration in die L&R-Gruppe erhalten die OnlineDoctor-Gründer Zugang zu einem starken internationalen Netzwerk, das den Eintritt in neue Märkte erleichtert. Zudem kann das digitale Know-how von OnlineDoctor mit der medizinischen Kompetenz und dem globalen Vertrieb von L&R kombiniert werden. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Weiterentwicklung des Unternehmens und innovative Services im Bereich der Telemedizin. «Der Fokus der zukünftigen Entwicklung liegt dabei auf der Verknüpfung physischer und digitaler Dienstleistungen und der Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit», sagt Wustrow. Gleichzeitig seien diese Prozesse komplex, die Abstimmung entsprechend anspruchsvoll.
Trotz der Übernahme wird OnlineDoctor als eigenständige Marke mit eigenem Team bestehen bleiben. «Wir werden auch weiterhin unsere agile, innovationsgetriebene Unternehmenskultur bewahren. L&R unterstützt uns bewusst dabei, unsere Start-up-Mentalität zu erhalten, weil sie wissen, dass genau das unsere Stärke ist», betont Wolf. Auch bestehende Partnerschaften mit Apotheken, Krankenhäusern und Krankenkassen würden unverändert bleiben. «Die Übernahme hat somit keine direkten Auswirkungen auf bestehende Partnerschaften. Längerfristig ermöglicht uns die grössere Reichweite von L&R aber, potenziell neue strategische Partnerschaften zu erschliessen», so Wustrow.
«Medizinische Diagnosen erfordern nicht nur eine technische, sondern auch eine menschliche Komponente.»
Nicht ersetzen, sondern unterstützen
Ein wichtiger Aspekt der Zukunftsstrategie von OnlineDoctor sei die Künstliche Intelligenz. Bereits 2022 hat man mit der Übernahme des Start-ups A.S.S.I.S.T. einen wichtigen Grundstein für den Einsatz von KI in der Dermatologie gelegt. «In Zukunft wollen wir KI-gestützte Assistenzsysteme entwickeln, die Dermatologen unterstützen, Diagnosen schneller und präziser zu stellen. Wir wollen die Qualität der telemedizinischen Versorgung immer weiter verbessern», sagt Tobias Wolf.
Dabei gehe es nicht darum, Ärzte zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen. «Medizinische Diagnosen erfordern nicht nur eine technische, sondern auch eine menschliche Komponente – insbesondere bei komplexeren Fällen», so Philipp Wustrow. KI könne helfen, die Erkennung von Hauterkrankungen zu beschleunigen und Ärzte mit zusätzlichen Daten zu unterstützen, aber sie werde die ärztliche Expertise nicht ersetzen – zumindest vorerst.
Die Expansion in weitere europäische Märkte sei ein klares Wachstumsziel. L&R ist in knapp 30 Ländern vertreten und verfügt über das regulatorische Know-how sowie das Netzwerk, um den Markteintritt in neue Länder zu erleichtern. Derzeit analysiere man verschiedene strategische Optionen. «Wann, wo und ob ist im Moment aber noch offen», sagt Wolf.
Langfristig bleibt das übergeordnete Ziel von OnlineDoctor, jedem Menschen – unabhängig von seinem Wohnort – schnellen und direkten Zugang zu einem Facharzt zu ermöglichen. «So bringen wir medizinische Expertise dorthin, wo sie gebraucht wird – einfach, sicher, kostengünstig und zuverlässig», sagt Wustrow. Die Gründer sehen weiterhin grosses Potenzial im Bereich Telemedizin und sind überzeugt, dass sie mit OnlineDoctor einen wichtigen Beitrag zur digitalen Transformation der Gesundheitsversorgung leisten können.
Text: Stephan Ziegler
Bild: zVg