Corona ist Geschichte
Wie haben unsere MICE-Profis das Event-Jahr 2023 erlebt? «Der erhoffte Aufwärtstrend aus dem Jahr 2022 hat sich 2023 bestätigt. Dies gilt sowohl für Messen, Kongresse, Corporate Events als auch Kulturveranstaltungen. Wir haben unser Geschäftsjahr besser abgeschnitten als budgetiert, sind allerdings noch nicht auf vor Corona-Niveau», sagt Ralph Engel, Abteilungsleiter CongressEvents bei den Olma-Messen St.Gallen.
Was 2023 sowohl seine Kunden als auch die Olma-Messen als Location forderte, sind die generellen Preissteigerungen «bei der Energie, beim F&B oder bei den Personalkosten, welche das Eventbudget belasten», so Engel. Diese Kosten machen nicht nur ihm zu schaffen: «Was die Stimmung ein wenig trübt, sind neben vermehrten No-Shows von angemeldeten Teilnehmern die stetig steigenden Kosten in sämtlichen Bereichen», so auch Anissa Kuster, Leiterin Marketing & Kommunikation des Startfelds am Switzerland Innovation Park Ost, und Rhema-Messeleiter Michael Dietrich unisono.
Aber: Die Besucher sind gewillt, an Veranstaltungen teilzunehmen, werden aber stets anspruchsvoller und setzen mehr Wert auf die Qualität des Events. «Wir hatten ein intensives, aber auch abwechslungsreiches 2023 mit unglaublich vielen Events, die teilweise sogar parallel stattgefunden haben», so Kuster. Die Stimmung bei den Veranstaltern sei dementsprechend gut – nur spüre man natürlich die Herausforderung, bei der Fülle an spannenden Events Teilnehmer zu bekommen und ein qualitativ hohes Programm auf die Beine zu stellen. Das merke man auch auf Kundenseite – die Gäste fühlte sich manchmal gar etwas «erschlagen von der Eventflut» und ignorierten als Folge Einladungen, weil sie ihre Zeit einteilen wollen – oder müssen, gibt Kuster zu bedenken.
Gregor Wegmüller, Geschäftsführer der Messe Weinfelden, hat das 2023 sehr positiv erlebt, «alle unsere Veranstaltungen haben hohe Besucherzahlen verzeichnet». Die Aussteller seien dankbar, dass sie wieder persönlich Kunden begegnen können. «Weil dieser Kontakt für sie wichtig ist, um ihr Produkt oder ihr Unternehmen präsentieren zu können», so Wegmüller. Auch die Kunden freuten sich. Das spiegelt sich auch in den Besucherzahlen wider: «Die hohe Besucherzahl von 140´000 Besuchern liegt deutlich über den bisherigen Schätzungen von 100´000 Besuchern. Damit ist die WEGA nun auch offiziell die zweitgrösste Messe der Ostschweiz.»
Auch Michael Dietrich ist mit dem vergangenen Jahr zufrieden: «Wir durften 2023 an der Rhema deutlich über 40´000 Besucher begrüssen, was ein ungebrochenes Interesse an Regionalmessen zeigt.»
So sieht es auch Chiara Rossi, Leiterin des St.Gallen Convention Bureaus: «Das St.Gallen Convention Bureau darf auf ein erfolgreiches Jahr für unseren Kongress-, Messe- & Eventstandort St.Gallen zurückblicken. 2023 haben wir 44 verschiedene Anlässe und Geschäftsgruppen unterstützt. Darunter befanden sich 14 Kongresse und 16 Grossveranstaltungen.» Die Stimmung unter den Veranstaltern sei durchwegs positiv. Auch für die kommenden Kongresse und Veranstaltungen seien die Organisatoren optimistisch, so Rossi.
Auch Ralph Engel beobachtet bei den Kunden eine Aufbruchstimmung: «Das Bedürfnis nach dem Live-Erlebnis ist zurück. Egal, ob Messe, Kongress oder Event – der direkte und persönliche Austausch wird mehr als geschätzt.» Die wahrgenommene Stimmung vor Ort, der Austausch mit Veranstaltern und Ausstellern, aber auch systematisch durchgeführte Umfragen belegen: «Der Aufwärtstrend aus dem Jahr 2022 hat auch 2023 angehalten. Fachmessen und die meisten Kongresse sind zurück wie in früheren Jahren, andere auf dem besten Weg dazu», so Engel. Doch nicht überall hat man sich erholt: «Man spricht noch von einem Angebotsübergang bei Kulturevents von zehn bis 15 Prozent», so Engel.
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Ist Corona also vorbei?
«Wir haben aus dieser Krise sehr viel gelernt», so Engel. «In unserem Fall spüren wir noch das Finanzloch, das Corona hinterlassen hat.» Das geht Gregor Wegmüller ähnlich: «Leider sind wir auf der Ertragsseite bei allen unseren Veranstaltungen noch nicht wieder auf dem Niveau von vor der Corona-Krise.» Und Michael Dietrich konstatiert: «Corona hat vielen vor Augen geführt, was man alles innert kürzester Zeit verlieren kann und wie vielfältig unsere Region ist.»
Chiara Rossi macht auf eine Kehrseite der Medaille aufmerksam. «Oftmals sind beliebte Daten in St.Gallen bereits im Vorfeld ausgebucht. Daher ist die Suche nach einem passenden Veranstaltungsort eine Herausforderung.»
Anissa Kuster ergänzt: «Bei der Flut an Events, die in der Nach-Corona-Zeit herrscht, ist es eine Herausforderung für jeden Organisator, genügend Teilnehmer für seinen Anlass zu finden. Deshalb werden begeisternde Themen und Formate immer wichtiger.» Differenzierung ist hier also das Schlagwort. Und Kuster bringt noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: «Es gilt abzuwägen, ob man eine Veranstaltung kostenlos durchführen will und damit Aussicht auf mehr Gäste – aber auch auf mehr No-Shows – hat. Oder ob man sie kostenpflichtig macht, damit weniger No-Shows, aber tendenziell auch weniger Teilnehmer hat.»
Immer wieder werden aber Stimmen laut, die behaupten, grössere Messen oder Kongresse seien nicht mehr zeitgemäss. Haben sie recht? «Für uns ist klar, dass Messen und Kongresse nach wie vor wichtig sind. Diese erlauben, Produkte und Dienstleistungen einem breiten (Fach-)Publikum zu präsentieren. Dabei eröffnen sich viele Wege für die persönliche Interaktion zwischen Besuchern und Ausstellern. Für einen Kongress-, Messe- und Eventstandort sind solche Veranstaltungen essenziell, denn sie katapultieren St.Gallen auf die gleiche Stufe wie etablierte Veranstaltungsorte wie Frankfurt oder Barcelona», ist Chiara Rossi überzeugt. Ralph Engel sieht das ähnlich: «Wir sehen Live-Events als wertvolle Ergänzung zur Vielzahl von Online-Kontakten. Echte Beziehungen müssen immer noch persönlich aufgebaut und gepflegt werden. Ansonsten verkümmern sie.»
Dem pflichtet Gregor Wegmüller bei: «Die Wega verzeichnete 2023 wohl so viele Besucher wie noch nie. Diese Aussage kann also nicht ganz stimmen.» Mit den Corona-Einschränkungen wurden zwar Stimmen laut, dass sich Events zukünftig wohl mehrheitlich nur noch digital abspielen würden. Das habe sich aber gemäss Wegmüller überhaupt nicht bewahrheitet. «Ganz im Gegenteil: Viele sind den rein digitalen Begegnungen bereits überdrüssig geworden, sowohl im geschäftlichen Kontext, noch mehr aber im privaten Umfeld.»
«Der Bildungsinhalt einer Veranstaltung ist zentral», sagt Engel. «Wie sagt man so schön – in den Gängen, beim Anstehen oder auf der Toilette findet Meinungsbildung statt; hier fallen die wahren Entscheide. Spass bei Seite: In der so technisierten und schnelllebigen Zeit wird der Erfahrungsaustausch immer wichtiger, um die richtigen Entscheidungen fällen zu können oder im entscheidenden Moment auf eine Expertenmeinung zurückzugreifen.»
Michael Dietrich doppelt nach: «Es geht nicht zwingend um Grösse oder Besucherzahlen. Schlussendlich ist entscheidend, dass der Aussteller qualitativ hohe Gespräche führen und so sein Unternehmen positionieren kann resp. seinen Verkauf ankurbelt oder neue Mitarbeiter gewinnt. Nachhaltig gesehen sind nachgelagerte Besucher- und Ausstellerumfragen als Erfolgsindikatoren viel höher zu werten als reine Besucherzahlen oder verkaufte Standflächen.» Eine Herausforderung liege darin, die Messe als traditionelles Modell mit neuen Trends und Möglichkeiten verfliessen zu lassen.
Anissa Kuster sieht hier etwa einen Trend zu einem Rahmenprogramm: «Messen, die zusätzlich zu den Ausstellern auch noch weitere Angebote bieten (Input-Referate, Workshops oder Möglichkeiten für Meetups), werden geschätzt.»
Chiara Rossi macht auf weitere Tendenzen aufmerksam: «Wir sehen aktuell Trends zu mehr Produktivität und Sinnhaftigkeit bei Business Events. Nicht mehr das Erlebnis einer Konferenz steht im Vordergrund, sondern die persönliche Weiterentwicklung der Teilnehmer. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen und dieses zu fördern sind wichtige Grundaspekte von Veranstaltungen.»
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Für eine erfolgreiche Organisation jeder Veranstaltung ist auch die Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt.
«Ja, heutzutage geht es nicht mehr ohne, sondern nur noch mit der gezielten Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen», bestätigt Chiara Rossi. Das Thema Nachhaltigkeit ist auch für Ralph Engel wichtig. «Gemeinsam mit den Leading Events St.Gallen sind wir etwa daran, die Integration des öffentlichen Verkehrs neu aufzugleisen. Als Kooperation können wir hier Synergien nutzen und einiges bewirken.»
Die Digitalisierung wurde in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Thema für die Branche. Es wurde prognostiziert, dass künftig mehr Events hybrid stattfinden würden. Hat sich das bewahrheitet? « Es gibt bereits zahlreiche gute Beispiele für hybride Events. Das perfekte Konzept scheint aber noch nicht gefunden worden zu sein. Es wird in Zukunft sicherlich mehr hybride Events geben – wird aber auch Platz haben für die klassischen Events», sagt Michael Dietrich.
«Reine Input-Referate/Vorträge: Eher ja, aber tendenziell ist das Online-Angebot gefühlt wieder rückläufig. Events, bei welchen das Netzwerken ein wichtiger Teil ist, werden weiterhin physisch durchgeführt», bringt es Anissa Kuster auf den Punkt.
Denn der Kontakt von Mensch zu Mensch erleichtert eine spätere – auch digitale – Kontaktnahme im Netzwerk ungemein. «Wir wollen Leute treffen und begegnen, das ist und bleibt ein menschliches Bedürfnis. Gute Live-Events schaffen Tiefgang und bleibende Erinnerungen, was der meist oberflächliche Konsum von Social Media kaum zu leisten vermag», gibt Engel zu bedenken. «Und seien wir ehrlich, tolle Erinnerungen sind viel wert», so Engel. «Meine These nach Corona war folgende: Je internationaler und je stärker der Bildungscharakter der Veranstaltung, desto eher hat sich die hybride Durchführung etabliert. Je regionaler und je stärker der Netzwerkcharakter einer Veranstaltung, desto schneller wurde die hybride Durchführung wieder verworfen. Diese These hat für mich noch heute Gültigkeit.»
Das sieht auch Chiara Rossi so: «Aus der Zeit der Pandemie ist aus meiner Sicht die Bereitschaft für hybride Veranstaltungen geblieben. Gerade bei Grosskongressen ist dies ein gern genutztes Mittel, um den internationalen Teilnehmern einen Einblick in die Messehallen der Stadt oder sogar in den Operationssaal des Kantonsspitals zu verschaffen.» «Vielleicht finden heute im Beruflichen vermehrt Online-Sitzungen oder -Kongresse statt. In unserem Geschäftsfeld der Publikumsveranstaltungen haben sich aber hybride Anlässe nicht durchgesetzt», bestätigt Gregor Wegmüller.
Letztlich ist die digitale Welt mit hybriden Technologien ein weitverbreiteter Trend in der MICE Branche
Aber «nur durch die physische Begegnung kann ein Teilnehmer den Wert einer Veranstaltung erkennen und mit in sein Umfeld mitnehmen», ist Rossi überzeugt. Auch Anissa Kuster sieht im Netzwerken eine USP eines physischen Events: «Die Möglichkeit zum Netzwerken ist teilweise wichtiger, als das Eventthema selbst.» Sie beobachtet teilweise eine «grosse Teilnahme von Vertretern, die gar nicht am Event teilnehmen wollen, sondern darauf aus sind, die übrigen Event-Teilnehmer als Kunden zu gewinnen».
Nachhaltiger wäre es vielleicht, Kongresse und Seminare online abzuhalten. Warum plädieren Sie trotzdem für physische Veranstaltungen? Chiara Rossi muss nicht lange überlegen: «Weil der persönliche Austausch und das Networking bei einem Kongress immer noch sehr zentral sind! Daher wünschen wir uns physische Veranstaltungen, um diese sinnstiftenden Begegnungen zu zelebrieren. Die Nachhaltigkeit bezieht sich allerdings nicht mehr nur auf die Anreise der Gäste zum Veranstaltungsort, sondern vielmehr auf alle Aspekte der Eventplanung (Location, Verpflegung, Give-aways, Werbung, Vermächtnis).»
«Ja, der persönliche Austausch und das In-die-Augen-Schauen werden vermehrt gesucht von den Leuten. Nähe schafft Vertrauen. Wir sitzen in der heutigen Zeit schon so viel vor dem Computer und schauen ständig in unser Smartphone, dass wir den Ausgleich sehr schätzen und suchen», sekundiert ihr Michael Dietrich. Das kann Gregor Wegmüller nur bestätigen: «Wir Menschen sehnen uns nach persönlichen Begegnungen, wir sind per se gesellige Wesen. ‹Nur› online fehlt eben etwas. Die Corona-Einschränkungen haben dazu geführt, dass man tatsächlich auf reine Online-Veranstaltungen umschwenkte, aber viele sind dessen bereits überdrüssig geworden. Es ist toll, dass man heute eine Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten hat.»
Ralph Engel rechnet auch für 2024 mit einer Fortsetzung des Erfolgs.
«Einerseits, weil die Bedürfnisse der Kunden und der Markt dies versprechen. Andererseits, weil die Strategie der Olma-Messen auf Wachstum und Innovation ausgerichtet ist. Mit der neuen SGKB-Halle haben wir nicht nur mehr Raum, sondern auch die Möglichkeit, unser Gelände intelligent einzuteilen und Parallel-Veranstaltungen durchzuführen.»
Auch das St.Gallen Convention Bureau von Chiara Rossi rechnet mit einer umsatztechnischen Steigerung bei den betreuten Veranstaltungen – sei es ein Kongress oder eine Grossveranstaltung –im Vergleich zu 2024. Michael Dietrich blickt ebenso positiv in die Zukunft: «Ich gehe davon aus, dass ein ebenfalls gutes Jahr bevorsteht. Aber einen so deutlichen Anstieg wie vergangenes Jahr schätze ich als schwierig ein.» Mit den steigenden Ansprüchen, den höheren Kosten und der immer kurzfristiger entscheidenden Gesellschaft werde es für Veranstalter immer herausfordernder, ihre Anlässe gewinnbringend abschliessen zu können. Auch verhalten zuversichtlich sind Anissa Kuster und Gregor Wegmüller: «Wir rechnen mit einem geringfügigen Anstieg des Umsatzes für die Branche. Aber noch nicht alle Veranstalter erreichen bereits jetzt schon wieder das Niveau der Jahre vor Corona», so Wegmüller. Und das Startfeld geht von einem gleichen Umfang wie 2023 aus. «Wir glauben, der Markt ist nun gesättigt.»
Text: Stephan Ziegler
Bild: zVg, Pixabay