Die Buchhaltung kann kulinarische Träume trüben
Für die Ostschweizer Spitzengastronomie gab es rund um den Jahreswechsel wieder viele Punkte, lobende Worte und Sterne. Auch in unserer Gegend gibt es Restaurants, die gemäss dem guten alten Guide Michelin «einen Umweg wert» sind.
Die Szene erlebte aber auch einen heftigen «Schock!», wie es der Gastro-Führer Gault Millau formulierte: «Funkes Fernsicht muss schliessen.» Ende dieses Februars gehen in Heiden die Lichter aus – sowohl im mit 18 Gault-Millau-Punkten und zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant Incantare als auch in den angegliederten Betrieben (Swiss Alpine Restaurant und Fondue Chalet, Hotelzimmer, Bar und Fumoir). Küchenchef Tobias Funke trifft man damit vorerst nur in seinem neuesten Lokal, dem Multertor im Globus St.Gallen, an. Grund für die Schliessung: Die Besitzer der Liegenschaft, das Unternehmerpaar Fredy und Sabine Grossauer, hat die lange, aber erfolglose Suche nach Nachfolgern eingestellt, wie auf der Website des Betriebs zu lesen ist: «Der Fachkräftemangel und die erfolglose Suche für eine Nachfolge von Fredy und Sabine Grossauer führten zu dieser endgültigen Entscheidung. Das Team um Tobias Funke bedauert das, versteht aber den Entschluss und schaut stolz auf das Erreichte zurück.»
Ein Leuchtturm in der Ostschweiz
In Heiden wird nun zum grossen Finale angerichtet: «Wir freuen uns auf viele bekannte Gesichter, die uns noch einmal besuchen.» Anstossen können Gäste und Mitarbeiter auf eine spannende gemeinsame Wegstrecke. «In den neun erfolgreichen Jahren hat das Team rund um Tobias Funke die Fernsicht zu einem gastronomischen Leuchtturm in der Ostschweiz gemacht.»
Ob nach der Schliessung allenfalls schon neue Pläne für die Liegenschaft in Heiden bestehen, wollte Fredy Grossauer auf Anfrage des Leaders nicht darlegen. Ebenso wollte er sich nicht dazu äussern, ob das Restaurant und die weiteren Betriebe rentabel waren.
Ein Jahr nach dem Umbau der alten Fabrikantenvilla und der Eröffnung als Gourmetrestaurant besuchte im Frühjahr 2016 das Magazin «Salz & Pfeffer» die Fernsicht – um das Besitzerpaar Fredy und Sabine Grossauer als «Mäzene der Kochkunst» zu porträtieren. Das impliziert einmal mehr, dass Spitzengastronomie nicht gerade das rentabelste Geschäft auf Erden ist. Beispiele zeigten auch in diesem Artikel: Manche Betriebe haben finanzkräftige Gönner im Hintergrund, die eine aufwendige Gastronomie überhaupt erst ermöglichen.
Die Investitionen in die Fernsicht hatten die Unternehmer damals abgeschrieben; der Betrieb solle aber eine schwarze Null erreichen, lautete 2016 die Vorgabe; .wir sind aus tiefstem Herzen Unternehmer., sagte Fredy Grossauer seinerzeit dem Magazin. Die Frage, ob die Fernsicht in diesem Punkt erfolgreich war, bleibt offen; in kulinarischer Hinsicht war sie definitiv ein Erfolg: Die G.ste kamen, das Restaurant musste ausgebaut werden. Und die Kritiker geizten nicht mit Lob, Punkten und Sternen.
Viele Topadressen in der Ostschweiz
Der Gastro-Führer Gault-Millau Schweiz, der bei Ringier erscheint, hat sich mit seinem flächendeckenden Bewertungsraster zu einem Referenz-System für Top-Restaurants entwickelt. In der neuesten Ausgabe sind 880 Restaurants, 100 Gourmet-Hotels und 150 Winzer aufgelistet. 107 der aufgeführten Köche sind aufgestiegen, 41 Chefs verlieren einen Punkt «und müssen wohl über die Bücher», wie die Kritiker süffisant anmerken. In der Ostschweiz wurden (inklusive Fernsicht) fünf Lokale mit sehr hohen 18 Punkten ausgezeichnet; weitere sechs Restaurants spielen in der Liga mit 17 Punkten mit. Ein eigentlicher Hotspot ist das Grand Resort Bad Ragaz, das mit gleich fünf Spitzenrestaurants (mit 13 bis 18 Punkten) im Ranking vertreten ist.
Teures Vergnügen
Das Bonmot, wonach in der gehobenen Restauration die Zahl der Überstunden hoch, die Margen jedoch tief liegen, scheint sich oft zu bewahrheiten, gerade auch in einer Zeit, in der die Wirtschaft durch eine Pandemie, gerissene Lieferketten und neue Kriege verunsichert wird. Vielen Gästen sitzt das Portemonnaie nicht mehr so locker. Gleichzeitig müssen die Restaurants den Lieferanten höhere Preise zahlen, ihre schwer zu findenden Fachleute erwarten höhere Löhne. Dass das Menu heute mehr kostet, leuchtet den Gästen ein. In Top-Restaurants können fünf oder sechs Gänge gegen 300 Franken kosten, dazu kommen noch passende Tranksame. Kenner leisten sich das Vergnügen, aber sie tun es weniger oft als früher.
Wenn sich die wirtschaftliche Lage wieder entspannt und vor allem die allgemeine Stimmung wieder etwas aufhellt, dürfte die Nachfrage nach Kochkünsten auf höchstem Niveau wieder anziehen. Denn die Erfahrung zeigt, dass es in der Ostschweiz eigentlich viele Gourmets gibt, die sich gerne kompetent verwöhnen lassen.
Text: Philipp Landmark
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer