«Krisenerfahrung haben die Wenigsten»
Roger Huber, Sie werden als Krisenkommunikations-Spezialist oft von Firmen gerufen, die selbst Kommunikationsabteilungen haben. Wieso?
Ein Unterstellter wird seinem Chef nie das Gleiche sagen können wie jemand, der auf Augenhöhe mit diesem redet. Praktisch alle Medienstellen sind nur Berater, aber sie entscheiden nicht.
Dann läge ein Führungsproblem vor. Ein guter Chef fordert doch genau Anfechtungen seines Tuns heraus. Soll ich dem Chef sagen, dass er nicht gut rüberkommt, oder soll ich mein Maul halten und dafür den Job behalten?
Es passiert immer dasselbe: Die Leute schweigen. Interne Medienstellen sind kastriert. Zudem haben wir gerade in der Ostschweiz zu wenig grosse Unternehmen, die sich überhaupt eine gut ausgebaute Kommunikationsabteilung leisten können.
Die Zahl der Mitarbeiter in Kommunikationsabteilungen nimmt doch stetig zu, in der Privatwirtschaft wie in der Verwaltung.
Meistens sitzen dort Leute, die vorher bei den Medien selbst waren. Das sind nicht die, die als Berater auftreten können. Das sind gute Ausführer, die man holt, weil sie gute Kontakte in die Medien haben sollen. Nur weil man mal auf der einen Seite, den Medien, war, weiss man noch nicht, wie man mit den Kollegen umgehen muss, wenn man auf der anderen Seite steht. Zudem funktioniert die Welt anders. Viele ehemalige Medienleute begreifen nicht, in welchem Umfeld sie tätig sind. Von Wirtschaft haben sie vielfach wenig Ahnung, von Politik bestenfalls etwas mehr. Aber Krisenerfahrung haben die Wenigsten davon; in einer stürmischen See waren sie noch nicht. Sie haben höchstens als frühere Medienleute einmal eine stürmische See ausgelöst.
Und Sie helfen Ihren Kunden, in stürmischer See zu navigieren?
Gerade habe ich ein Krisenkommunikationstraining mit einer grossen NGO gemacht. Das war rein journalistisch aufgebaut; ich habe denen alle möglichen Geschichten um die Ohren gehauen, wir haben eine Pressekonferenz durchgespielt. Es war ein Drama! Eine Verantwortliche klappte zusammen, und der Mediensprecher machte alle Fehler, die man sich wünschen kann.
Ziel erreicht …
Das war perfekt, ja. Das nächste Training ist schon aufgegleist. Krisen muss man üben, um zu sehen, was falsch laufen kann. Es zeigt sich immer wieder: Menschen, die das Gefühl haben, in normalen Zeiten kommunizieren zu können, finden sich im Krisenfall in einer anderen Welt wieder.
Was ist denn so anders in dieser Welt? Letztlich muss man Fragen richtig beantworten, auch wenn es falsche oder dumme Fragen sind. Allerdings in einer Stresssituation.
Man muss im Krisenfall stets potenzielle Reputationsverluste einberechnen. Damit haben interne Stellen Schwierigkeiten, weil sie zu sehr im eigenen Biotop schwimmen. Externe Agenturen bringen den nötigen Aussenblick. Sie versuchen, die Fragen vorauszusehen, die kommen können, die eigentlich kommen müssten.
Ist also alles eine Frage der Vorbereitung?
Unbedingt. Krisenkommunikation ist Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung. Auch wenn das manchmal frustrierend sein kann. Ich unterstützte damals den zuständigen Oberjugendanwalt im berühmt gewordenen Fall «Carlos». Im Hinblick auf eine Medienkonferenz haben wir alle erdenklichen schwierigen Fragen durchgekaut und nicht weniger als 50 «Nasty Questions» vorbereitet. An der Medienkonferenz wurden gerade einmal vier davon angesprochen. Manchmal darf man die Journalisten auch nicht überschätzen.
Auch wenn andere Fragen gestellt werden: Dadurch, dass kritische Fragen und die Logik der Antworten trainiert wurden, fühlen sich Kunden sicher.
Krisenkommunikation ist der Zehnkampf der Kommunikation. Das muss man trainieren. Gut vorbereitete Leute treten viel lockerer auf und erschrecken nicht gleich. Dadurch wirken sie wiederum glaubwürdiger.
Wer muss im Krisenfall vor die Medien stehen?
Jeder Fall ist einzigartig. Man muss miteinander das Gefühl entwickeln, was eine adäquate Massnahme wäre. Die Frage ist: Wurde mal ein Medientraining, ein Kamera-Training mit den wichtigsten Leuten gemacht? Es ist nicht billig, regelmässig ein, zwei Tage Medientraining zu machen. Aber es lohnt sich. Die Kommunikationsverantwortlichen müssen wissen, wen sie im Team haben, wen sie bei schwierigen Sachen vor die Medien, vor eine Kamera hinstellen können.
Idealerweise die verantwortliche Person.
Bei wirklich schwierigen Sachen muss der Chef hinstehen. Und der muss das vorher geübt haben.
Oft werden Sie aber erst gerufen, wenn die Krise schon da ist.
Als externer Berater muss ich dann dem Kunden zuerst aufzeigen, was schon passiert ist und was noch passieren kann. Den Worst Case skizzieren. Idealerweise lässt sich die interne Medienstelle als Verbündete gewinnen. Ich sage jeweils «Ich bin Euer Aussendienstler, ich nehme Euch nicht den Job weg». Nach einem halben Jahr braucht es mich nicht mehr, dann sind mich die Internen wieder los. Aber vorerst braucht es eine Rollenklärung. Meistens bin ich ja da, weil der Chef auf die internen Leute nicht hört. Die Externen bringen aber auch ihr Netzwerk und ihre Erfahrung rein.
Welche Erfahrungen bringen Sie rein, wen man Sie frühzeitig holt, also bevor es brennt im Dach?
Um eine mögliche Krisenkommunikation vorzubereiten, gehe ich mit den Kunden eine Checkliste durch …
… die Sie freundlicherweise auch auf Ihrer Website Huber Media Consulting veröffentlichen.
Da finden Sie sogar zwei Dutzend Checklisten! Da geht es oft um eine Lagebeurteilung: Wo bin ich verletzlich, wo bin ich angreifbar? Ich frage den Chef eines KMU beispielsweise, ob er die fünf für ihn wichtigsten Journalisten kennt. Zwei, drei Lokaljournalisten und Leute aus Fachmedien, die auf die Firma zukommen könnten, wenn etwas Aussergewöhnliches läuft.
Passiert denn so viel Aussergewöhnliches?
Das braucht nicht allzu viel Fantasie. Nehmen wir an, ein Mitarbeiter eines Handwerkbetriebs baut einen Unfall und das verunfallte Auto mit dem Firmenlogo ist im Fernsehen oder auf Sozialen Medien zu sehen: Das ist keine positive Werbung. Ich frage den Chef, ob er, wenn jemand zu Schaden gekommen ist, allenfalls Angehörige verständigen könnte, ob er wüsste, wie ein Care-Team aufgeboten werden kann. Dasselbe gilt beispielsweise bei einem Angriff auf das IT-System: Weiss der Chef, wie er nun mit den Kunden kommunizieren kann? Auf solche Szenarien versuche ich, die Leute zu sensibilisieren. Vorbereiten heisst Vorausschauen: Natürlich darf ein Chef für einen Fotografen mit Zigarre und Harley-Davidson posieren. Ich weise ihn aber darauf hin, dass das Bild bei einem Verlustgeschäft schnell wieder aus dem Archiv gezaubert wird, dieses Mal mit der Bildlegende «Chef fährt Firma an Abgrund». Beim Antizipieren möglicher Probleme muss man aber wirklich nicht weit denken, denn in 80 Prozent aller Fälle lösen eigene Mitarbeiter eine Krise aus. Leute, die sich schlecht behandelt fühlen, die frustriert sind. Die gehen mit irgendetwas an die Medien, weil sie intern nicht abgeholt werden. Beispiele dafür sind fast täglich zu sehen. Derzeit bei einer ehemaligen Redaktorin des «Magazins» des «Tagesanzeigers».
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Bei der Krisenbewältigung zeigen Firmen oft erstaunliche Energie, doch die Kommunikation bleibt dann gerne auf der Strecke.
Das ist ein strukturelles Problem, denn vielfach sind gerade bei KMU die Kommunikationsleute dem Marketing unterstellt. Und das sind definitiv die falschen Vorgesetzten. Ein Marketingleiter versteht von der Materie in der Regel viel zu wenig, um die Notwendigkeit von Massnahmen beurteilen zu können Die Kommunikation müsste immer direkt der Geschäftsleitung unterstehen. Denn es geht immer um Reputation – die wieder herzustellen, ist schwierig.
Weil die bösen Medien draufhauen?
Es menschelt doch überall. Alle Leute lesen gerne Boulevard-Geschichten bis sie selbst einmal Teil davon sind.
Muss der Krisenkommunikator gleich nervös agieren wie der Boulevard-Journalist?
Nein. Aber umgekehrt sieht man etwa an der HSG, dass da jemand nicht begriffen hat, wie die Medien funktionieren.
Ist die Plagiats-Affäre an der HSG eine Mediengeschichte oder HSG-Geschichte?
Beides. Es ist nicht das erste Mal, dass die HSG in jüngster Zeit negativ wahrgenommen wird. Im aktuellen Fall hat erst die «NZZ am Sonntag» recherchiert und dann hat das «Tagblatt» die Geschichte gepusht – aus journalistischer Sicht muss man sagen: Sie haben das gut gemacht, sie sind drangeblieben.
Und aus Sicht der HSG?
Von aussen betrachtet scheint es, als ob das HSG-Rektorat und die Medienstelle vom Tempo überfordert waren.
Die Geschwindigkeit ist gestiegen.
Ja, in den vergangenen 30 Jahren haben sich die Medien extrem verändert, es gibt viel mehr Kanäle, und alles wurde viel schneller. Aber als Angegriffener darfst du nicht über den Druck der Medien motzen, du musst damit umgehen können. Wenn es eine Geschäftsleitung nicht selbst kann, muss sie Spezialisten vertrauen können.
Externen Spezialisten, vermutlich?
Meine Erfahrung zeigt: Wir haben es oft mit Leuten zu tun, die Schönwetterkapitäne sind. Verwalter sind aber in der Krisenkommunikation nicht am richtigen Ort.
Weil es zackig gehen muss?
Schnell – und einfach. In Deutschland gibt es neuerdings auch für Krisenmanagement eine DIN-Norm. Und die ist interessanterweise angelehnt an den Stabsbefehl der Schweizer Armee, weil ein Kollege vom Schweizer Verband für Krisenkommunikation da mitgearbeitet hat.
Also, Tagesbefehl: Schnell, Chef, Wahrheit!
Die Formel ist nicht verkehrt. Aber manchmal gibt es eine Situation, in der einem nichts anders übrigbleibt, als den Kopf einziehen und zu warten, bis der Sturm durchgezogen ist.
Sie empfehlen, nichts zu tun, statt zu versuchen, die Reputation zu retten?
Nur in ganz bestimmten Situationen. Dann, wenn egal, was du macht, du nichts an dem Sturm ändern kannst. Nur dann. Als im Fall «Carlos» die Summe von 29'200 Franken im Monat für das Sondersetting bekannt wurde, war die Empörung riesig. Argumente hatten gegen den medialen Sturm keinen Bestand. Also haben wir den Sturm abklingen lassen und dann versucht, die Dinge verständlich darzulegen.
Text: Philipp Landmark
Bild: Marlies Thurnheer