Der letzte Patron
Wie so viele Schweizer Maschinenfabriken ist auch die Starrag ein Kind der Textilindustrie: 1897 gründete der Elsässer Henri Levy in Rorschach ein Unternehmen zur Fabrikation und zum Vertrieb einer neuartigen Fädelmaschine für Sticknadeln. Lange konnte die Firma aber nicht vom Stickereiboom profitieren: Schon 1914, mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, befand sich die Textilindustrie in einer tiefen Krise. Levy musste umsatteln und entschloss sich, in den Werkzeug-Maschinenbau einzusteigen.
Von der Starrfräsmaschine zum Präzisions-Werkzeugmaschinenhersteller
Im neuen Metier fasste er schnell Fuss. Zum Meilenstein wurde die «Starrfräsmaschine», die 1920 auf den Markt kam. Das besondere Gestell der Maschine gab dem Unternehmen dann sogar den Namen. Man wollte damit auf ihre Präzision hinweisen: Die «starre» Verbindung von Werkstück und Fräse ermöglichte ein sehr genaues Arbeiten. Mit der Firma ging es aufwärts: 1921 wurde das Unternehmen in eine AG umgewandelt, 1925 zog man nach Rorschacherberg, weil man grössere Räumlichkeiten benötigte. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich die Starrag mit einer Reihe von bahnbrechenden Entwicklungen zu einer bedeutenden Maschinenfabrik mit über 1’200 Mitarbeitern – davon 200 in Rorschacherberg – und Produktionsstandorten in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Indien sowie Vertriebs- und Servicegesellschaften in den wichtigsten Abnehmerländern. Die Starrag Group stellt heute Präzisions-Werkzeugmaschinen zum Fräsen, Drehen, Bohren und Schleifen von Werkstücken aus Metall, Verbundwerkstoffen und Keramik her. Zu den Kunden zählen Unternehmen in den Abnehmerindustrien Aerospace und Turbines, Industrial und Transportation sowie Luxury Goods und Med Tech. Die Dachmarke Starrag verbindet die Produktbereiche Berthiez, Bumotec, Dörries, Droop+Rein, Ecospeed, Heckert, Scharmann, SIP, Starrag, TTL und WMW. Die Namensaktien der Starrag Group Holding AG sind an der SIX Swiss Exchange kotiert.
Ingenieur und Investor
Walter Fust (*1941), dessen Name dank seines gleichnamigen Elektrofachhandels schweizweit bekannt ist, zeigte schon an der Kanti St. Gallen Verkaufstalent: Der gebürtige Uzwiler handelte mit gebrauchten Mofas und Autos. Später, Mitte der 1960er-Jahre an der ETH, wo er Maschinenbau studierte, zog er nebenbei einen Versandhandel für Elektroapparate auf. Wenige Jahre später war dieser etwa gleich gross wie das Ostschweizer Handelsgeschäft seines Vaters August – der dem Junior seine Firma 1969 verkaufte. Ab diesem Zeitpunkt ging es mit der fusionierten Dipl. Ing. Fust AG steil nach oben, sodass Walter Fust sie 1987 an die Börse bringen konnte. Weil keines seiner drei Kinder Interesse zeigte, verkaufte er 1994 seinen Anteil an der inzwischen börsenkotierten Firma an Jelmoli und wurde im Gegenzug Grossaktionär des Warenhauskonzerns. Doch Jelmoli stand finanziell schlecht da, es kam zu Umschuldungsverhandlungen mit den Banken. 1996 wurde Fust zum Nothelfer und übernahm die Gruppe für 270 Millionen Franken. Unter ihm fand Jelmoli mit dem grossen Immobilienbestand wieder Tritt. Walter Fust selbst bekam gesundheitliche Probleme und verkaufte seine Anteile ab 2002 schrittweise an Georg von Opel, der damals bei Jelmoli das Sagen hatte. Jelmoli wiederum verkaufte Fust 2007 für eine knappe Milliarde Franken an Coop.
Faszination für Maschinen
Als studierter Maschinenbauer war Walter Fust auch immer schon an der Maschinenindustrie interessiert, schon 1970 kaufte er seine ersten Starrag-Aktien – die Firma war ihm bekannt, weil der Vater eines Schulkollegen dort arbeitete. In den Verwaltungsrat der Firma trat er Mitte der 1980er-Jahre ein. Von 1992 bis 2020 präsidierte er das Gremium, seither wirkt er als Vizepräsident. Ende der 1980er-Jahren übernahm er die Mehrheit, «es waren Investitionen nötig», begründete er gegenüber dem «Tagblatt». Zehn Jahre später wurde ihm klar: Rorschacherberg allein reicht nicht, die Starrag braucht ein Standbein im EU-Raum. 1998 wurde deshalb der deutsche Maschinenbauer Heckert übernommen. Später kamen die Genfer SIP und 2011 die deutsche Dörries Scharmann dazu. «Werkzeugmaschinen haben mich immer interessiert. Die Geschichte der Starrag war wirtschaftlich gesehen nicht immer berauschend. Aber die Technik ihrer Maschinen war und ist hervorragend», zieht Walter Fust in der «NZZ» Bilanz. Gegenüber früher habe sie sich volumenmässig deutlich gesteigert. Es braucht auch im Werkzeugmaschinenbau gewisse Stückzahlen, um Erfolg zu haben. «Unsere Fabriken sind voll.» Allerdings verschweigt er auch nicht: «Immer wieder gab es bei Starrag Führungsprobleme. Jede Firma steht und fällt mit der Qualität des Managements.» Aktuell ist die Starrag einmal mehr auf der Suche nach einem neuen CEO, weil sich Christian Walti, der den Maschinen- bauer seit Juni 2018 führte, per Ende 2023 «aus persönlichen Gründen» verabschiedet hat. Fust hat eine klare Vorstellung, was dieser alles mitbringen muss: «Er muss ein Unternehmer sein. Er muss die Firma führen, wie wenn es seine eigene wäre. Er braucht Führungsqualitäten und technisches Wissen. Er muss Visionen haben, die Firma in ein Wachstum führen. Und er muss rechnen können», sagte er zum «Tagblatt».
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Nachfolge nicht in Sicht
Doch langsam will sich Walter Fust von seinem Engagement in Rorschacherberg lösen, er konzentriert sich mittlerweile auf das aktive Verwalten seines Vermögens (die «Bilanz» schätzt es auf 750 Millionen), das auch dank eines grösseren Immobilienbesitzes zustande kam – zeitweise besass er über 1’000 Wohnungen, von denen er einen Grossteil aber wieder verkauft hat, weil er davon ausgehe, «dass die Preise nicht weiter steigen». Nachfolgeprobleme bei seinen Firmen und Beteiligungen beschäftigen den Industriellen schon seit geraumer Zeit. Seine drei Kinder haben unabhängig von ihrem Vater eigene Wege gewählt, als Architekt, Bauphysiker und Werberin. Enkel Till Fust biete sich schon eher an, seine Nachfolge anzutreten. Er sitzt bereits im Verwaltungsrat von Tornos, der zweiten grossen Industriebeteiligung von Walter Fust neben der Starrag. Die Gruppe aus Moutier ist eines der weltweit führenden Unternehmen für die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb von Langdrehautomaten und Mehrspindelmaschinen. «Ein Käufer bekäme mit Starrag eine gute Sache», sagte er allerdings zur NZZ auf die Frage, ob er bei einem Angebot gesprächsbereit wäre. Was allerdings ausgeschlossen ist: ein Verkauf nach China. «Für die Starrag wäre es sehr schädlich, wenn Chinesen das Sagen hätten», sagte Walter Fust zur «Handelszeitung» deutsch und deutlich.
Text: Stephan Ziegler
Bild: zVg