Ein Fussballfest mit einem Vermächtnis
Innert kürzester Zeit hat Céline Bradke in der Ostschweiz Prominenten-Status erreicht – «dabei will ich das gar nicht», sagt sie und lenkt das Gespräch sofort wieder auf den Kern ihrer Mission: «Ich möchte, dass der Frauenfussball präsent ist und den Leuten bewusst wird, dass nächstes Jahr die Frauenfussball-EM in St.Gallen stattfindet.»
Dass Céline Bradke als Chefin das regionale Organisationskomitee des Grossanlasses St.Gallen leiten und damit das Gesicht der Host-City wird, war nicht geplant. Aber es passt. Denn die Frau, die gerade ihr Masterstudium in internationalen Beziehungen abgeschlossen hat, spielt von Kindesbeinen an Fussball – vom Kicken mit dem Vater im Garten brachte sie es bis in die Women’s Super League.
An das Projekt der Host-City St.Gallen wurde sie langsam herangeführt; sie stieg ein als rechte Hand des ursprünglichen Projektleiters Roger Hegi. Mit der Zeit wurden ihr mehr Aufgaben übertragen, ihre Verantwortung wuchs. Als Hegi gesundheitlich bedingt von seinem Posten zurücktrat, war sie die logische Nachfolgerin. «Ich habe gemerkt, dass mir die Aufgabe grossen Spass macht und es auch gut läuft, sowohl die Zusammenarbeit im Team in St.Gallen wie auch mit den anderen Host-Cities.» In ihrer neuen Rolle wurde die junge Frau von Anfang an respektiert, was nicht selbstverständlich sei, wie sie sagt. Als Fussballerin betont sie aber auch: «Die Host-City bin nicht nur ich, da steht ein zwölfköpfiges Team hinter mir.»
«Wir wollen Mädchen früher in Kontakt mit Fussball bringen.»
Nachhaltige Wirkung
Um die Fussballerinnen, die im Juli 2025 um Titelehren kämpfen werden, muss sich Céline Bradke freilich nicht kümmern – die Turnierorganisation ist Sache der Uefa. Céline Bradkes Job ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Host-City St.Gallen von ihrer besten Seite präsentiert und der Event ein nachhaltiges Vermächtnis hinterlässt.
«Legacy» nennt sich deshalb die nationale Mission, welche die EM nutzen will, um dem Frauenfussball Schub zu verleihen. Die Ziele des Projekts stehen in einer langen Liste von Formulierungen mit «mehr»: Die Legacy will auf allen Ebenen mehr Spielerinnen im Breitenfussball, soll die Zahl der lizenzierten Mädchen und Frauen verdoppelt werden, deshalb braucht es auch mehr Trainerinnen und Schiedsrichterinnen. Auf Eliteebene soll der Frauenfussball deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten und die Frauen-Nationalmannschaften sollen sich regelmässig für die grossen Turniere qualifi zieren. Frauen sollen auch mehr Schlüsselpositionen in den Strukturen des Schweizer Fussballs besetzen.
Mädchen zum Fussball bringen
«Die Legacy ist sowohl ein schweizweites als auch ein regionales Programm», sagt Céline Bradke. Der wichtigste Hebel, um den Frauenfussball nachhaltig zu fördern, ist klar: «Wir wollen Mädchen früher in Kontakt mit Fussball bringen.»
Bei Buben scheint es selbstverständlich zu sein, dass sie auf dem Schulhof tschutten, doch die Mädchen sind meistens nicht dabei. Mit einem freiwilligen Angebot in den Schulen über Mittag oder am schulfreien Mittwochnachmittag könnten auch die Mädchen erreicht werden. Im Projekt drehen sich die Gedanken momentan nicht ausschliesslich um Fussball: «Wir wollen auch insgesamt Bewegungsförderung machen», sagt Céline Bradke. Deshalb sollen auch andere Sportarten Einzug in die Planungen halten. Nach einem ersten Kontakt sollen sich interessierte Mädchen nicht gleich für den Sport verpflichten müssen. Wer in einem Verein Fussball spielen möchte, muss einen Mitgliederbeitrag zahlen und sich eine Ausrüstung zulegen, was abschreckend wirken kann. Deshalb will das Projekt Mädchen niederschwellige Angebote machen, über die sie Fussball besser kennenlernen können. Wenn es einem Mädchen gefällt und es regelmässig kommt, kann man es an einen Klub vermitteln.
An die Frauen-EM 2025 steuern Stadt und Kanton St.Gallen 2,8 Millionen Franken bei. 150'000 Franken aus diesem Kredit sind für die Legacy-Massnahmen der Host-City St.Gallen vorgesehen. Die Legacy ist bis 2027 angelegt und reicht über den Kanton hinaus. «Nach der Women’s Euro übergeben wir das Projekt dem Ostschweizer Fussballverband», erklärt Céline Bradke. Der OFV bekommt dafür weitere Gelder: Der Bund hat für die Frauenfussball-EM und für Projekte rundherum 15 Millionen Franken gesprochen; fünf Millionen davon gehen via Schweizer Fussballverband, der seinerseits noch einen Beitrag leisten wird, an die Legacy. Ein Anteil dieses Geldes kommt in die Ostschweiz. Auch Céline Bradke hat beobachtet, dass bereits in den vergangenen Jahren die Wahrnehmung von Frauenfussball massiv gestiegen ist. «Aber es ist nicht nur die Wahrnehmung, auch der Frauenfussball insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark entwickelt.» Der Fussball, den die Frauen spielen, sei besser geworden: «Das Produkt Frauenfussball ist besser und generiert auch deshalb mehr Aufmerksamkeit.» Besser wurden insbesondere die Strukturen: «Weil Frauenfussball inzwischen gefördert wird, schon bei den Kleinen im Nachwuchs», sagt Céline Bradke. «Wer es heute in die Women’s Super League schaffen möchte, sollte schon in sehr jungen Jahren mit dem Fussballtraining loslegen.»
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«Es wird wohl nie wieder ein Fussballturnier in dieser Grössenordnung geben, das allein von der Schweiz ausgetragen wird.»
Ausverkauftes Stadion
Den Schub der EM nachhaltig für den Frauenfussball in der Ostschweiz nutzen, ist eine Aufgabe von Céline Bradke. Die andere ist, dafür zu sorgen, dass die Host-City St.Gallen sich von ihrer Schokoladenseite zeigt. Das fängt damit an, dass an den drei Spieltagen am 4., 9. und 13. Juli 2025 das Stadion, das im Rahmen der Women’s Euro als «Arena St.Gallen» bezeichnet wird, dreimal ausverkauft sein soll.
Ein ambitioniertes Ziel, weiss die OK-Chefin, zumal die Daten in den Ferien liegen. Die Spiele einer Europameisterschaft vor der Haustüre in St.Gallen mitzuerleben, sei jedoch eine einmalige Gelegenheit: «Es wird wohl nie wieder ein Fussballturnier in dieser Grössenordnung geben, das allein von der Schweiz ausgetragen wird. Also muss man einfach da dabei sein!» Mit Preisen von 25 oder 40 Franken, je nach Kategorie, sind die Tickets an den Gruppenspielen in St.Gallen sehr günstig. Von den Sitzplätzen fallen einige für Funktionäre und Medien weg, etwa 17'300 Plätze dürften in den Verkauf gelangen.
Grosses Interesse in England
Noch ist nicht klar, wer an diesen drei Tagen in St.Gallen auflaufen wird, es wird aber nicht die Schweizer Nati sein, die in Basel, Genf und Bern spielt. Insgesamt werden sich 16 Teams für die Women’s Euro qualifizieren. Sicher dabei sind nach heutigem Stand neben den Gastgeberinnen die Teams aus Dänemark, England (Titelverteidigerinnen), Frankreich, Deutschland, Island, Italien, Niederlande und Spanien (aktuelle Weltmeisterinnen). Fünf oder sechs Teams werden sich in St.Gallen gegenüberstehen, es werden also mit Sicherheit einige hochkarätige Partien anstehen. Die Auslosung der Paarungen findet am 16. Dezember statt.
Eine Chance auf eine Qualifikation haben unter anderem die Teams aus Belarus und der Ukraine, was eine Herausforderung für die Sicherheit darstellen könnte. «Die Sicherheitslage kann sich bis in einem Jahr jederzeit ändern; wir müssen auf alle Eventualitäten reagieren können», betont Céline Bradke. Die Sicherheitsfragen werden auch national diskutiert; es gibt dann Empfehlungen für die jeweilige Host-City.
Schon heute ist klar: Besonders viele Fans wird England in die Schweiz bringen. «Man kann sich jetzt schon für Tickets registrieren, aus dem Vereinigten Königreich zählen wir aktuell mehr als doppelt so viele Registrierungen als aus der Schweiz – dann kommt lange niemand mehr», sagt Céline Bradke. Sie würde sich über ein Gastspiel Englands in der Ostschweiz freuen: «In England haben der Fussball und eben auch der Frauenfussball einen ganz anderen Stellenwert.»
Mehrwert für die Region
Als Host-City will St.Gallen allen Besuchern auch im touristischen Sinn ein tolles Erlebnis bieten. Wer am Bahnhof ankommt, soll eine festlich beflaggte Stadt entdecken, die Fussballfans sollen rechtzeitig auf touristische Leckerbissen des Austragungsorts aufmerksam gemacht werden, sodass sie vielleicht ein paar Stunden früher anreisen und die Stadt oder die Region erkunden. Geplant ist auch, vom Bahnhof Winkeln zur Arena St.Gallen einen Fanmarsch zu organisieren: «An der EM in Deutschland hat sich das sehr bewährt», sagt Céline Bradke. Unklar ist hingegen, ob von der Host-City aus im Stadtzentrum ein Public Viewing initiiert werden soll. «Einerseits wollen wir den Gastro-Betrieben die Chance geben, dass sie ein solches Angebot bieten, und andererseits möchten wir natürlich nicht, dass Leute im Public Viewing feiern, wenn es noch leere Plätze im Stadion hätte», beschreibt Céline Bradke den Stand der Überlegungen.
Ob das Engagement der Host-City St.Gallen und der Legacy ein Strohfeuer war oder nachhaltig ist, wird sich erst mit der Zeit weisen. In einem Jahr wird klar, ob der vordergründige Wunsch von Céline Bradke in Erfüllung gehen wird: «Ein Fussballfest in der Stadt!» Die OK-Chefin gibt sich sehr zuversichtlich: «Das schaffen wir; St.Gallen ist sehr begeisterungsfähig für Sport und Fussball.»
Text: Philipp Landmark
Bild: Rebekka Grossglauser
