Fokus Wirtschaftsraum Appenzell

Stabilität in turbulenten Zeiten

Stabilität in turbulenten Zeiten
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Wie geht es der Appenzeller Wirtschaft aktuell – und wie sieht der Ausblick aufs ganze Jahr 2024 aus? Der LEADER hat bei Ausser- und Innerrhoder Wirtschaftsverbänden nachgefragt – und ist auf teilweise überraschende Aussagen gestossen.

«Die Stimmung in der Industrie ist weiterhin eingetrübt. Insbesondere in den Bereichen Metallverarbeitung, Elektronik und Optik wird die Geschäftslage schlecht bewertet», eröffnet Markus Bänziger, Präsident der IHK St.Gallen-Appenzell, das Gespräch. Es fehlten in erster Linie Aufträge aus dem Ausland. Das liegt zum einen an der schwachen konjunkturellen Entwicklung in den wichtigen Exportmärkten Deutschland und China. Zum anderen am erstarkten Franken, der Schweizer Industriegüter für ausländische Kunden teuer macht. Entsprechend leidet die Wettbewerbsfähigkeit von Appenzeller Unternehmen im Ausland. Für die kommenden sechs Monate werde überwiegend mit einer konstanten wirtschaftlichen Entwicklung und keiner weiteren Verschlechterung gerechnet. In der Industrie gibt es erste Anzeichen für eine leichte Erholung, zumal die Lagerabbauzyklen bald abgeschlossen sein dürften und wieder vermehrt Bestellungen getätigt werden. «Weiterhin stabil präsentiert sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt: Im Appenzellerland herrscht weiterhin annähernd Vollbeschäftigung», so Bänziger.

«Über alles gesehen geht es der Ausserrhoder Wirtschaft zufriedenstellend», nimmt Daniel Lehmann, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit AR, den Faden auf. Zwar äussern rund zwei Drittel der Unternehmen, dass sich die aktuelle Geschäftslage gegenüber dem Vorquartal verschlechtert habe. «Dabei muss aber betont werden, dass wir von einem hohen Niveau her kommen. Zudem wird man mit dieser Einschätzung der Gesamtwirtschaft im Detail nicht gerecht, da die Branchen sehr unterschiedlich unterwegs sind», so Lehmann. «Das Baugewerbe etwa vermeldet eine anhaltend hohe Auslastung; auch das Gastgewerbe und der Tourismus sind zufrieden. Jedoch leidet die produzierende Industrie unter einem Nachfragerückgang und einem zu hohen Lagerbestand», sieht Lehmann Licht und Schatten. Die Appenzeller Industrie sei glücklicherweise sehr breit und divers aufgestellt, sagt auch Urs Alder, Präsident der Industrie AR. Über alle Branchen gesehen hätten sich «seine» Unternehmen 2023 gegenüber dem Vorjahr zwar leicht abgeschwächt, jedoch unter Berücksichtigung der konjunkturellen Probleme in vielen Hauptabsatzmärkten grundsätzlich stabil gezeigt, so Alder.

Benjamin Fuchs, Präsident der Handels- und Industriekammer Appenzell Innerrhoden, bringt es so auf den Punkt: «Die Appenzeller Wirtschaft hatte 2023 insgesamt ein sehr gutes Jahr. Auch für 2024 sind die Unternehmen optimistisch, wenngleich die Märkte nicht überall einfach sind.» Der Appenzeller Wirtschaft gehe es aktuell gut, bestätigt Markus Walt, Leiter des Amtes für Wirtschaft AI. Wo die Wirtschaft von Konjunkturzyklen abhängig ist, seien allerdings die Auftragsbücher deutlich weniger gefüllt als noch im Vorjahr. «Namentlich scheint das im Automotive-Bereich der Fall zu sein; in der Medizintechnik ist die Lage etwas stabiler. Noch diverser ist das Bild im Handwerk und auf dem Bau», so Walt. So sieht es auch Michael Koller, Präsident des Kantonalen Gewerbeverbands AI: Aktuell hätten die meisten Branchen des Gewerbes richtig viel zu tun und der Ausblick auf das Jahr sei gut. «Gerade wichtige Branchen wie Bau oder Gastro laufen gut», so Koller.

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Markus Bänziger, Michael Koller, Benjamin Fuchs
Markus Bänziger, Michael Koller, Benjamin Fuchs

Sorgen und Nöte

Sorge bereitet den Appenzeller Unternehmen in erster Linie der Fach- und Arbeitskräftemangel, weiss Markus Bänziger. Vier von zehn Appenzeller Unternehmen nannten diesen in der IHK- und AGV-Lohnumfrage 2023 als grösste Herausforderung für das aktuelle Jahr. Rund jedem vierten Unternehmen bereiten die Kosten und Versorgungssicherheit von Energie sowie der starke Franken Sorgen. «Chancen sehen die Appenzeller Unternehmen primär im technologischen Fortschritt, aber auch bei der Nachhaltigkeit und der digitalen Transformation», so Bänziger.

Während in den vergangenen Jahren in erster Linie der Arbeits- und Fachkräftemangel das Sorgenbarometer bestimmte, wechselte sich dies in den letzten wenigen Monaten, merkt Daniel Lehmann an. Neu sei es vorrangig der starke Franken, der zu den wichtigsten Herausforderungen gehört. «Das AWA steht im engen Dialog mit den Wirtschaftsverbänden, aber auch mit einzelnen Unternehmen – ob gross oder klein», unterstreicht Lehmann. Die Nähe zu den Unternehmen schaffe Vertrauen und ermögliche, auf Veränderungen rasch reagieren zu können. «Die vielen Kontakte führen zu gegenseitigem Vertrauen und Verständnis und stellen so einen positiven Standortvorteil dar», so Lehmann.

«‹Sorge› bereitet uns als Industrie hauptsächlich die zunehmende Verkehrsentwicklung an der Alpsteinstrasse, unserer volkswirtschaftlichen ‹Hauptschlagader›», weist Urs Alder auf ein weiteres Problem hin. Diese werde für Güterverkehr und Mitarbeiter mehr und mehr zum Nadelöhr. Obwohl mit dem ‹Zubringer Appenzellerland› schon seit Jahren ein sinnvolles Strassenbauprojekt besteht, liegt eine Umsetzung im Rahmen des Strategischen Entwicklungsprogramms STEP des Bundes nach wie vor in weiter Ferne. «Wir sind aber für eine gesunde Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und unserer Kantone auf eine gute Verkehrsanbindung angewiesen», betont Alder.

Als erfreulich erwähnt er, dass «wir als Wirtschaft nahe und unbürokratische Wege zur Regierung sowie allgemein zu den Behörden in unserem überblickbaren Kanton haben». Regelmässige Treffen zu Kernthemen wie Bildung, Verkehr oder Energie sowie spontane Besprechungen zu gegenseitigen Anliegen tragen dazu bei, sachlich und schnell Lösungen zu finden, was gemäss Alder für die Appenzeller Industrie «ein nicht zu unterschätzender Standortvorteil» sei. Der Ukrainekrieg, der Nahostkonflikt und die wirtschaftlichen Probleme in China hätten letztlich auch Auswirkungen auf uns, zählt Benjamin Fuchs auf. Viele Innerrhoder Unternehmen hätten aber einen starken Fokus auf den robusten Binnenmarkt Schweiz – und eine sehr gute Marktposition. «Das hat sich bislang als gutes Fundament erwiesen.» Durch die Zinssenkungen der Nationalbank sollten sich die Rahmenbedingungen zudem wieder verbessern – auch, was den teuren Frankenkurs anbelangt, hofft Fuchs. Michael Koller weist noch auf einen weiteren Faktor hin: «Unsere Firmen haben aufgrund fehlenden Baulandes kaum Entwicklungsmöglichkeiten.» Freude machten hingegen der immer noch ausgezeichnet laufende Tourismus sowie die Baubranche, so Koller.

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Fachkräftemangel & Co.

Die wichtigste Massnahme von Ostschweizer Unternehmen gegen den Fachkräftemangel sei die externe oder interne Weiterbildung von Mitarbeitern, sagt Markus Bänziger. Rund die Hälfte der befragten IHK-Unternehmen verfolge diesen Ansatz. «Des Weiteren wird versucht, den Angestellten mit flexiblen Arbeitsmodellen entgegenzukommen. Gerade grössere Unternehmen setzten zusätzlich auf Kooperationen mit Bildungseinrichtungen, ein strategisches internes Personalmanagement sowie Employer Branding, um die Rekrutierung von Fachkräften zu verbessern», unterstreicht Bänziger.

«Grundsätzlich sprechen wir nicht nur von einem Fachkräftemangel, sondern von einem Arbeits- und Fachkräftemangel», präzisiert Daniel Lehmann. «Gemeinsam mit unseren Nachbarkantonen engagieren wir uns für einen attraktiven Wohn- und Arbeitsort. Dabei ist es unsere Aufgabe, aufzuzeigen, dass Appenzell Ausserrhoden eine hohe Arbeits- und Aufenthaltsqualität hat. Zudem wird angestrebt, dass Ausserrhoden über das höchste verfügbare Einkommen verfügt.»

Während die Unternehmen mittels attraktiveren Rahmenbedingungen bei den Anstellungen die Attraktivität erhöhen könnten, «muss die öffentliche Hand über die gesetzlichen Möglichkeiten dem Mangel entgegenwirken».

Konkret sieht Lehmann vier Möglichkeiten zur Bewältigung des Arbeits- und Fachkräftemangels aus Sicht der öffentlichen Hand: Zum einen wäre das eine Erhöhung der Arbeitspensen: Um die Arbeitspensen zu erhöhen, könnte die Steuerbelastung dem Arbeitspensum angepasst werden. Je mehr gearbeitet wird, desto tiefer fällt die Progression aus. Zum anderen schlägt Lehmann längere Arbeitszeiten vor – das Arbeiten nach der Pensionierung auf freiwilliger Basis soll attraktiver gestaltet werden. Als dritte Möglichkeit sollten das Kontingent für gut qualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten erhöht und der Prozess zur Bewilligung vereinfacht werden. Und last, but not least setzt Lehmann auf Effizienzsteigerung: Mit Digitalisierung die Effizienz erhöhen. Obwohl sich der Fachkräftemangel in einzelnen Sparten unterdessen etwas relativiert hat, bleibe es eine Herausforderung, gewisse Spezialisten zu finden, beobachtet auch Urs Alder. Im Gegensatz zum demografisch bedingten Mangel an Arbeitskräften liege die Nachwuchsförderung «in unseren eigenen Händen». So ist die Industrie AR im Bereich Bildung und Förderung des Berufsnachwuchses sehr aktiv; insbesondere die Berufsbildung hat im Ausserrhodischen einen hohen Stellenwert. Konkret bilden regionale Berufsbildungsmessen oder Wirtschaftswochen in Zusammenarbeit von Schulen und Unternehmen wichtige Pfeiler. «Wir setzen bei uns stark auf die Ausbildung des eigenen Nachwuchses», unterstreicht auch Benjamin Fuchs. Ferner könne Innerrhoden mit einer intakten, attraktiven Umwelt und einem moderaten Steuerklima punkten. «Auch die örtliche Flexibilisierung dank Homeoffice hilft, geeignete Fachkräfte zu finden.» 

«Im Bereich Arbeitskräfte scheint mir in einigen Branchen eine gewisse Entspannung spürbar – auch wenn es immer noch ein Problem ist», freut sich Michael Koller. Viele Unternehmen würden sich vermehrt an die neuen Bedürfnisse ausrichten und/oder ihre Rekrutierung auf die Sozialen Netzwerke verlegen.

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«Die Appenzeller Wirtschaft hatte 2023 insgesamt ein sehr gutes Jahr. Auch für 2024 sind die Unternehmen optimistisch.»

Rohstoff- und Energiepreise als Herausforderung

«Die Energiekosten werden von Appenzeller Unternehmen als zweitgrösste Herausforderung im aktuellen Jahr genannt. Dies gilt insbesondere für die energieintensive Industrie- und Baubranche», weiss Markus Bänziger. «Als Reaktion auf die steigenden Strompreise 2023 versuchen Appenzeller Unternehmen nun, Energie zu sparen und ihre Energieeffizienz zu steigern.»

Kurz nach der Corona-Pandemie wiesen auch die Rohstoffe stark steigende Preise auf. Vor dem Hintergrund eines Nachholeffekts sowie Problemen in den Lieferketten stiegen die Preise stark an. In der Folge wurden die Lagerkapazitäten ausgebaut. Diese Entscheide unterstützten die steigenden Materialpreise, beobachtet Daniel Lehmann. Es zeigte sich aber, dass die Preise bei einer Marktabschwächung schnell auch wieder sanken. «Zahlreiche Betriebe sind nun daran, ihre hohen Lagerbestände abzubauen, was dazu führt, dass Bestellungen rückläufig sind.» «Aufbauend auf den Erfahrungen, während Corona an gewisse Rohstoffe zu kommen, haben unsere Unternehmen ihre Zulieferkanäle optimiert, weiss Urs Alder. Das Rohstoffmanagement bleibe jedoch aufgrund Handelserschwernissen und Rohstoffengpässen sowohl logistisch als auch hinsichtlich Kosten anspruchsvoll. Obwohl die Strompreise gegenüber 2023 weniger stark angestiegen sind und die Gaspreise anfangs Jahr nach unten angepasst wurden, blieben Energiekosten und Energiesicherheit unternehmerisch eine latente Herausforderung und ein Unsicherheitsfaktor, so Alder. Benjamin Fuchs sieht es pragmatisch: «Hohe Rohstoff- und Energiepreise treffen alle Marktteilnehmer gleich, sodass daraus für unsere Unternehmen kein Wettbewerbsnachteil entsteht.» Entscheidend sei aber, dass ein Unternehmen einen echten Mehrwert schaffe. «Dafür ist der Kunde bereit, Geld auszugeben. Mit Innovationen und Flexibilität schaffen wir das immer wieder», so Fuchs. 

Im Gewerbe hätten teurere Rohstoff- und Energiepreise insbesondere auf die eigenen Preise einen grossen Einfluss, konstatiert Michael Koller. «Zulieferer geben ihre Preise weiter, die spürt am Ende auch der Konsument.» Aktuell gehe es den Menschen aber noch gut und sie könnten das bezahlen. «Somit sind die Konsequenzen noch tragbar», so Koller.

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Der starke Franken und höhere Zinsen belasten weiterhin

Für exportorientierte Unternehmen ist ein starker Franken besonders belastend. So werden Schweizer Produkte beispielsweise für Kunden aus dem Euroraum relativ gesehen teurer als europäische Produkte und damit weniger wettbewerbsfähig. «Die gestiegenen Zinsen spürt in erster Linie der Hochbau, da die höheren Finanzierungskosten die Immobiliennachfrage drücken. Aber diese Nachfrage ist strukturell so stark, dass sich die Baubranche vergleichsweise unbeeindruckt zeigt», sagt Markus Bänziger. Profitieren kann hingegen die Finanz- und Versicherungsbranche: Die gestiegenen Zinsen ermöglichen wieder mehr Margenspielraum. «Folglich bewertet ein Grossteil unserer befragten Unternehmen die Geschäftslage als ‹gut›», so Bänziger. Durch die deutlich höhere Inflationsrate in den Exportmärkten gegenüber der Schweiz stellte der inflationsbereinigte Franken noch keine sehr grosse Herausforderung dar, sagt Daniel Lehmann. Anders sieht es aus, seit sowohl in der EU als auch in der Schweiz die Inflation wieder deutlich tiefer ist. Damit schlägt die Frankenstärke viel stärker durch – und die Unternehmen in den Exportmärkten sind gefordert, mittels Effizienz und einer höheren Wertschöpfung den Wettbewerbsnachteil aufzufangen. Die Kehrseite der Medaille: Der Einkauf im EU-Raum ist attraktiver geworden. Die in den letzten rund 18 Monaten gestiegenen Zinsen stellen nach Lehmanns Einschätzung nur ein sekundäres Problem dar. «Diese Mehrkosten sind im Vergleich zu anderen gestiegenen Kosten (Löhne, Energie, Einkauf) aber deutlich geringer». «Unsere Wettbewerbssituation hat sich nicht zuletzt aufgrund der Frankenstärke gegenüber dem Ausland weiter erschwert», bestätigt Urs Alder. Obendrauf führten vermehrte finanzielle Förderprogramme «oder besser gesagt: Subventionierungen» gewisser Staaten, etwa im Bereich Energie, zu Wettbewerbsverzerrungen. «Mit der Leitzinssenkung hat die SNB im Sinne der Wirtschaft auf die Frankenstärke reagiert und einen Schritt in die richtige Richtung gemacht», ist Alder überzeugt, «Mit dem Gegensteuer der SNB haben sich die Bedingungen tatsächlich verbessert», freut sich auch Benjamin Fuchs. Die Appenzeller Unternehmen seien zudem sehr solide finanziert, mit einer traditionell tiefen Verschuldung. «Das bringt Stabilität in turbulenten Zeiten.»

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«Die Rahmenbedingungen sollen dem Arbeitsmarkt möglichst viele Personen zur Verfügung stellen.»

Grosse Infrastrukturprojekte stehen an

«Die IHK St.Gallen-Appenzell unterstützt die Aufnahme von sechs Windeignungsgebieten in den kantonalen Richtplan des Kantons Appenzell Ausserrhoden», sagt Markus Bänziger. Auch Wasserstoff dürfte in einer dekarbonisierten Wirtschaft eine zentrale Rolle unter den Energieträgern spielen. «Die Bodensee-IHK fordern deshalb die Berücksichtigung der Ostschweiz in der Gesamtstrategie des Bundes für eine Wasserstoffinfrastruktur», so Bänziger.  Weiter müsse sich die Ostschweiz in der Mobilitätsinfrastruktur weiterentwickeln, um das steigende Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung zu bewältigen. «Der Zubringer Güterbahnhof in St.Gallen und der Zubringer Appenzellerland entlasten Siedlungsgebiete, reduzieren Lärmemissionen, und ermöglichen eine bessere Erreichbarkeit für Wirtschaft und Bevölkerung», unterstreicht Bänziger. 

In Appenzell Ausserrhoden sind zahlreiche grosse Infrastrukturvorhaben in Planung und Umsetzung. Zu den wichtigsten gehört das Bahnhofsareal in Herisau. Hier entstehen neben verschiedenen Infrastrukturprojekten von AB und SOB eine hohe Anzahl an Gewerbe- und Wohnflächen. Nebst diesem Grossprojekt begleitet das Amt für Wirtschaft und Arbeit von Daniel Lehmann weitere Arealentwicklungsprojekte im Kanton. «Dabei geht es in erster Linie darum, dass sich bestehende Unternehmen entwickeln können», so Lehmann. Aber auch die Ansiedelung von neuen Unternehmen soll ermöglicht werden, so etwa im Industrie- und Gewerbegebiet Nordhalde in Herisau. «Für unsere wirtschaftliche Entwicklung ist insbesondere die verkehrstechnische Erschliessung entscheidend», betont auch Benjamin Fuchs. Das wichtigste Projekt sei dabei der Autobahnzubringer via Herisau nach Gossau. «Das ist ein Langfristprojekt, aber enorm wichtig für unsere Industrie.» Innerrhoden brauche eine gute Anbindung für Zu- und Wegpendler, um als Standort attraktiv zu bleiben. Das augenfälligste Infrastrukturprojekt im Ausserrhodischen sieht Urs Alder im Produktionsneubau der Metrohm AG in Herisau. «Wir arbeiten im Rahmen unseres Programms ENIA/Energie Impuls Industrie Appenzellerland aber auch an verschiedenen baulichen Projekten, z. B. für lokale Energiegemeinschaften zur gemeinsamen Nutzung von PV-Strom in gewissen Industrieperimetern.» 

Das interessanteste Infrastrukturprojekt im Innerrhodischen sei die Arealentwicklung der Liegenschaft «Hintere Rüti», sagt Markus Walt. «Ziel des Kantons ist es, auf der Parzelle von rund 25´000 m² in einem Generationenprojekt bis zu 400 Arbeitsplätze zu ermöglichen.» Und Michael Koller ergänzt: «In Innerrhoden stehen auch Strassenbauprojekte wie die Haslen- oder die Eichbergstrasse an. Weiter sind ein Neubau des Verwaltungsgebäudes in Appenzell sowie ein neues Bürgerheim geplant.» Eines der wichtigsten Projekte sei aber tatsächlich die «Hintere Rüti». «Dieses Projekt wird vom Volkswirtschaftsdepartement mit höchster Priorität behandelt, wofür wir sehr dankbar sind», so Koller.

«Wir sind auf eine gute Verkehrsanbindung angewiesen.»

Welche politischen Rahmenbedingungen könnten helfen?

Die interkantonale Wettbewerbsfähigkeit beider Appenzeller Kantone zeichne sich durch ein relativ attraktives Kostenumfeld aus. Insbesondere Appenzell Innerrhoden steigere durch niedrige Steuern und exzellente Staatsfinanzen aktiv seine Wettbewerbsfähigkeit, sagt Markus Bänziger.

«Durch eine diversere Wirtschaftsstruktur sowie die Steigerung des Innovationspotenzials könnte die Wettbewerbs-fähigkeit im Appenzellerland noch weiter gestärkt werden», empfiehlt er. Der kürzlich ins Leben gerufene Switzerland Innovation Park Ost in St.Gallen schaffe auch für die Appenzeller Unternehmen gute Voraussetzungen.

«Wir haben in unserem Kanton grundsätzlich gute Rahmenbedingungen», betont Urs Alder. «Die für uns als internationale Exportindustrie wirklich relevanten Herausforderungen liegen jedoch nach wie vor im angespannten geopolitischen Umfeld.» Neben vielen politisch und unternehmerisch nur bedingt oder gar nicht beeinflussbaren Faktoren stehe für die Industrie AR immer noch die Beziehung zum Nachbar und Haupthandelspartner EU im Zentrum. Das sieht auch Daniel Lehmann so: «Für unsere exportorientierten Unternehmen ist ein verlässliches Rahmenabkommen mit der EU, dem Hauptexportmarkt, zwingend.»

Ausserrhoden verfüge im nationalen Vergleich über eine attraktive Steuerbelastung. Dies zeige sich auch in der steigenden Anzahl an Unternehmen. «Jedoch handelt es sich dabei häufig um Firmen mit nur wenigen Arbeitsplätzen – weil oft bloss wenig Industrie- und Gewerbeland verfügbar und die Verkehrserschliessung nicht immer optimal ist.» Der Kanton habe aber mit dem Arbeitszonenmanagement ein griffiges Konzept, um neue Gewerbe- und Industriezonen zu erschliessen.

Pragmatisch sieht es Benjamin Fuchs: «Wir sind mit den Rahmenbedingungen in Innerrhoden zufrieden. Wir haben kurze Wege und die Regierung, aber auch die Bevölkerung unterstützen eine wirtschaftsfreundliche Politik. Dabei verlieren wir aber nie das Augenmass. Nur wenn es allen gut geht, geht es uns wirklich gut.» Markus Walt freut sich über die Anerkennung und betont: «Die Rahmenbedingungen müssen darauf ausgerichtet werden, dem Arbeitsmarkt möglichst viele Personen zur Verfügung zu stellen. Der weitere Ausbau der ausserschulischen Kinderbetreuung ist hier ein genauso wichtiger Aspekt wie die Fortführung der Initiative «Arbeitswelt Innerrhoden» oder überkantonal laufender Projekte wie «ProOst».» Daneben müssten weitere Anstrengungen im Bereich Automatisierung und Digitalisierung unternommen werden. Effizienzsteigerungen beim Einsatz – teurer – menschlicher Arbeitskraft beträfen dabei alle Abteilungen eines Unternehmens, so Walt. 

«Das aktuelle Raumplanungsgesetz hat das Ziel, dass vermehrt verdichtet gebaut wird. Dies soll auch ermöglicht werden», bringt Michael Koller einen weiteren Aspekt ins Spiel. Aktuell würden den Bauherren seitens Umweltorganisationen oder Denkmalpflege aber oft unnötig viele Steine in den Weg gelegt. «Diese Institutionen haben schlicht zu viel Einfluss. Das müsste angepasst werden», bilanziert Koller.

Text: Stephan Ziegler

Bild: zVg, Pixabay

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