Eine geheimnisvolle Erfolgsgeschichte

Langweilig wird es Christoph Holenstein als Geschäftsführer der Sortenorganisation (SO) Appenzeller Käse nicht: «Wir freuen uns sehr, dass wir mit 2021 auf das zweiterfolgreichste Geschäftsjahr in der Geschichte der Sortenorganisation zurückblicken können. Gleichzeitig halten uns die aktuellen Forderungen für Milchpreiserhöhungen auf Trab. Und die Tatsache, dass der Franken zusehends stärker gegenüber dem Euro wird, sorgt auch nicht gerade für Begeisterungsstürme.» Nichtsdestotrotz war der Appenzeller Käse während der Pandemie beinahe so beliebt wie WC-Papier. «Der wegfallende Einkaufstourismus in den Grenzregionen hat seines dazu beigetragen. Alleine im März 2020 haben wir 150 Tonnen mehr verkauft als im Vorjahr.» Seit vergangenem Sommer hätten sich aber bei den Konsumenten sukzessive wieder die gewohnten Verhaltensmuster eingebürgert, so Holenstein.
Liebling der Deutschen
Rund 5057 Tonnen des Halbhartkäses gelangten im Jahr 2021 ins Ausland, davon über 73 Prozent nach Deutschland. Dies bedeutet unter allen Schweizer Käsesorten den Spitzenplatz im nördlichen Nachbarland. «In der Schweiz ist vor allem der Bio-Appenzeller extrem begehrt. So stiegen dessen Umsatzzahlen die letzten fünf Jahre um 60 Prozent», freut sich der Geschäftsführer. Wo Erfolg ist, sind entsprechend zahlreiche Trittbrettfahrer auf dem Halbhartkäsemarkt zu finden. «Als 1998 die Käseunion aufgelöst und der Exportmarkt nicht mehr so restriktiv reguliert wurde, kamen manche Käsesorten arg in Bedrängnis. Beispielsweise wurden damals 45 000 Tonnen Emmentaler produziert, wobei das Gros dieser Menge exportiert wurde. Heute sind es noch deren 17 000 Tonnen, die jährlich hergestellt werden. Im Vergleich dazu sind unsere Absatzzahlen recht stabil», resümiert Christoph Holenstein, der seit 1989 für die SO Appenzeller Käse tätig ist und 1976 als Käser-Lehrling seinen ersten Laib Appenzeller Käse herstellte.
Beispielloser Markenschutz
Als Gründe für den langjährigen internationalen und nationalen Erfolg des Appenzeller Käses streicht der Geschäftsführer verschiedene Faktoren heraus: Da ist zum einen die hohe Qualität, welche die 750 Bauern und 43 Käsereien täglich zugunsten der Marke «Appenzeller Käse» abliefern. Erwähnenswert ist hier die Pionierarbeit im Bereich Markenschutz: 1963, bevor Emmentaler oder Gruyère auf die Idee kamen, wurde die Marke Appenzeller Käse vor Nachahmern geschützt. Die 1942 gegründete Geschäftsstelle liess Appenzeller Käse beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum als Marke schützen.
«Alleine im März 2020 haben wir 150 Tonnen mehr verkauft als im Vorjahr.»
Als später in der Schweiz der AOC-Status (Appellation d’origine contrôlée) eingeführt wurde, entschied man sich in Appenzell bewusst gegen dieses Label. «AOP bietet vor allem in Europa einen gewissen Schutz und eine rechtliche Handhabe gegen Plagiate. Auf dem amerikanischen oder asiatischen Markt werden diese Mechanismen aber grösstenteils ausgehebelt. Mit unserem Markenschutz sind wir deutlich besser positioniert», betont Christoph Holenstein. Wie wichtig der Käse für die ganze Region ist, unterstreicht die Tatsache, dass in den 1990er-Jahren auf Intervention der Innerrhoder Kantonsregierung hin sogar ein Markenschutz in China erwirkt werden konnte.
Bodenständige Werbeikonen
Auf der Suche nach dem Erfolgsrezept des Appenzeller Käses darf das erfolgreiche Marketing nicht unerwähnt bleiben. Die Idee, die Geheimniskrämerei rund um die Kräutersulz als Werbestrategie zu inszenieren, funktioniert seit Jahren und ist inzwischen zu einem Synonym einer vermeintlich typischen Eigenschaft der Appenzeller Bevölkerung geworden.
«Mitte der 1990er-Jahre begannen wir mit den Werbespots mit Uwe Ochsenknecht.»
«Mitte der 1990er-Jahre begannen wir mit den Werbespots mit Uwe Ochsenknecht, der eigens dafür gecastet wurde. Später gesellten sich die drei verschwiegenen Sennen zum deutschen Schauspieler auf das Sitzbänkchen. Diese ungewöhnliche Kombination hat erstaunlicherweise sofort harmoniert», erinnert sich Christoph Holenstein an die ersten Drehtage.
Die Sennen in ihrer Tracht haben längst Kultstatus erreicht. So liess sich vor einigen Jahren ein Fan das Konterfei von einem Mitglied des bodenständigen Trios auf den Oberarm tätowieren. Die eigentlichen Wächter über das Geheimnis der Kräutersulzrezeptur sind aber zwei Verwaltungsräte der Appenzeller Alpenbitter AG. Dort wird seit den 1960er-Jahren die würzige Flüssigkeit hergestellt, mit der die Käselaibe über Monate hinweg regelmässig gepflegt werden.
Auch interessant
Anspruchsvolle Rahmenbedingungen
Voraussichtlich im April 2023 wird Christoph Holenstein in den Ruhestand gehen. Er schätzt sich glücklich, dass er ein so beliebtes Produkt während über drei Jahrzehnten mitvermarkten durfte. Gleichzeitig weist er auf die volatilen und anspruchsvollen Rahmenbedingungen auf den drei Ebenen Landwirtschaft, Käserei und Handel hin. «Produktion und Handel sind äusserst preissensibel. Die hohe Milchproduktion ist ebenso herausfordernd, wie die sich laufend verschärfende Konkurrenzsituation im Segment Halbhartkäse.»
Mit Sorgenfalten blickt der 62-Jährige auch auf die personelle Situation bei den Käsereien: «Es wird zusehends schwieriger, junge Leute für diesen vielseitigen Beruf zu begeistern.» Umso mehr freut sich Holenstein über engagierte und erfolgreiche Käser und Käserinnen wie Chantal Nietlispach aus Untereggen, die zweimal in Folge für «ihren» Appenzeller mit dem begehrten Goldvreneli ausgezeichnet wurde. «Es ist dieser tiefverankerte Stolz und das Verantwortungsbewusstsein der Menschen, die hinter der Marke Appenzeller stehen, die den würzigsten Käse der Schweiz so besonders machen», so Christoph Holensteins Fazit.