St.Gallen

Wenn das Geld fürs Konzert fehlt: Digitale Lösung für kulturelle Teilhabe

Wenn das Geld fürs Konzert fehlt: Digitale Lösung für kulturelle Teilhabe
Die OST in St.Gallen
Lesezeit: 4 Minuten

Unter dem Namen «Billett mit Herz» soll eine gemeinnützige Online-Plattform entstehen, die Menschen aus sozial oder finanziell schwierigen Verhältnissen Zugang zu kostenlosen Veranstaltungstickets ermöglicht. Drei Absolventen des MAS Human Computer Interaction Design an der OST – Ostschweizer Fachhochschule in St.Gallen haben im Rahmen ihrer Masterarbeit den Auftrag für die Konzeption dieser Plattform angenommen. Eine der grossen Herausforderungen dabei war es, Forschungsteilnehmer zu finden. Denn sich zur Armut zu bekennen, fällt vielen schwer.

Text: pd/fam

Konzerte, Theaterabende oder Museumsbesuche bieten eine gute Möglichkeit, um auf andere Gedanken zu kommen und den Alltag für eine Weile hinter sich zu lassen. Doch nicht alle können sich solche Privilegien leisten. «Billett mit Herz» soll dies ändern.

Es handelt sich dabei um die Vision einer gemeinnützigen Ticketplattform, über die Menschen aus sozial oder finanziell benachteiligten Verhältnissen kostenlos Billette für kulturelle Veranstaltungen beziehen können. Dies beispielsweise über eine Vermittlungsperson wie ihren Arzt, ihren Sozialarbeiter oder ihren Therapeut.

Nur: Wie muss eine solche Plattform aufgebaut sein, damit die Gratistickets möglichst einfach den Weg von den Veranstaltern über die Vermittlungspersonen zu den Betroffenen finden? Mit dieser Frage haben sich Simone Götz, Rafael Adame und Urban Kronenberg in ihrer Masterarbeit im MAS Human Computer Interaction Design intensiv auseinandergesetzt. Ihre Arbeit wollten Sie für etwas Sinnstiftendes nutzen und haben sich deshalb für dieses gemeinnützige Projekt entschieden.

Um die Bedürfnisse zukünftiger Nutzer zu ergründen, hat das Projektteam Interviews sowie Usertests durchgeführt. Dabei sei rasch klar geworden, wie anspruchsvoll es sei, Personen für Forschungsaktivitäten zu diesem Thema zu rekrutieren, sagt Urban Kronenberg, Senior UX Architect bei Ergon Informatik AG.

«Einerseits mögen sich nur wenige Menschen zu ihrer belastenden seelischen oder finanziellen Situation bekennen, andererseits werden die Klienten in sozialen Institutionen von ihren Betreuungspersonen konsequent geschützt.» Umso mehr war das Team überrascht, von den offenen Einblicken und dem Vertrauen, das es von den Befragten erhielt.

Eine Frau erzählte beispielsweise, dass ihr Mann krank sei und das Vermögen auf der Kippe stehe. Vergünstigungen erhalte sie keine. Ein Konzert würde sie gerne besuchen, aber sie könne sich eine solche Ausgabe schlicht nicht leisten. «Dass sie so offen über ihre finanzielle Situation sprach, erstaunte mich», sagt Simone Götz, Senior UX Designerin bei emineo AG. «Denn über Armut wird kaum gesprochen – nicht in der Schweiz, und schon gar nicht, wenn es um die eigene Armut geht.»

Für einige Forschungsteilnehmer war es denn auch ein wichtiges Anliegen, Tickets anonym beziehen zu können, damit Aussenstehende nicht von ihrer Situation erfahren. «Die Plattform sieht deshalb verschiedene Bestellwege vor», sagt Simone Götz. So könne man das Billett via Post an die eigene Adresse oder an die Adresse der Vermittlungsperson schicken lassen.

Es sei aber auch möglich, komplett ohne Angabe persönlicher Daten an ein Ticket zu gelangen. Technisch hat das Team dies mit einem Login-Verfahren gelöst, bei dem ein simpler Code genügt und kein Name oder Passwort eingegeben werden muss.

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Visuell und textlich alle ansprechen

Auch bei der Gestaltung des Userinterfaces musste das Projektteam verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden. «Billett mit Herz» richte sich an eine heterogene Gruppe, sagt Urban Kronenberg. «Diese umfasst jüngere, digital affine Leute, aber auch ältere Menschen, für die die Bedienung digitaler Produkte eine Hürde darstellt.» Eine einfache, intuitiv bedienbare Lösung sei bei diesem Projekt deshalb besonders wichtig gewesen.

Nicht nur visuell, sondern auch textlich musste die Oberfläche so gestaltet werden, dass sich alle Nutzer gleichermassen angesprochen fühlen. «Eine Herausforderung war dabei, dass die Texte auch für Menschen mit Leseschwierigkeiten verstehbar sind, gleichzeitig aber niemand stigmatisiert wird», sagt Rafael Adame, Senior UX Designer bei K&W Software AG.

«Deshalb haben wir uns für die einfache Sprache entschieden.» Zur Diskussion stand anfangs auch die Verwendung der leichten Sprache. Diese ist jedoch primär für Personen mit Sprach- und Leseproblemen gedacht und folgt einem strengen Regelwerk. Die einfache Sprache breche weniger mit den gängigen Lesegewohnheiten und spreche mehr Menschen an, erklärt Rafael Adame.  

Veranstalter möchten Ticketerfassung übernehmen

Eine wichtige Anspruchsgruppe der Plattform sind auch all jene, die kulturelle Veranstaltungen organisieren und Tickets spenden: die Billettpartner. «Wir sind zuerst davon ausgegangen, dass sie die Tickets aufgrund des Aufwands nicht selbst auf der Plattform erfassen möchten», erzählt Rafael Adame. Diese Annahme habe sich jedoch nicht bestätigt. Im Gegenteil: «Sie schätzen es, die Kontrolle über die Darstellung und das Wording ihrer Events zu behalten.» Deshalb seien sie bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.

Aus der Masterarbeit resultierte ein klickbarer Prototyp in Wireframe-Ausführung. Bevor die Plattform programmiert werden kann, muss jedoch eine Reihe weiterer Punkte geklärt werden. Diese ebenfalls vertieft zu untersuchen, hätte den Rahmen der Masterarbeit gesprengt. Mit seinen Erkenntnissen hat das Projektteam jedoch ein wichtiges Fundament für die Realisierung von «Billett mit Herz» gelegt – und nicht zuletzt auch wertvolle Erfahrungen für den eigenen Berufsalltag gewonnen.

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