Neuer Energie-Rechner schont Netz und Natur
Text: Nora Lüthi
Nach der Annahme des Stromgesetzes prasselten die Anfragen bei Lucien Debons regelrecht herein: «Wie war das noch mal mit diesen Energiegemeinschaften?». Das wollten jetzt alle von ihm wissen. Denn mit dem neuen Stromgesetz hat das Stimmvolk auch neuen Energiegemeinschaften zugestimmt und auf dieses Thema hat sich der diplomierte Elektroingenieur in seiner Abschlussarbeit im CAS Energie digital an der OST spezialisiert. Daraus entstanden ist ein Rechner, der die Wirtschaftlichkeit und Attraktivität von erneuerbaren Energiegemeinschaften einschätzen kann.
Strom lokal produzieren und verbrauchen
Bereits heute gibt es eine Form der Energiegemeinschaft namens ZEV. ZEV steht für «Zusammenschluss zum Eigenverbrauch». In einem ZEV schliessen sich mehrere Haushalte zusammen, um ihre eigene Energie zu produzieren und zu verbrauchen. Typischerweise handelt es sich dabei um Energie aus einer photovoltaischen Solaranlage.
Der Besitzer der Solaranlage kann dank des ZEV den Solarstrom direkt an die Mieter desselben Hauses verkaufen. «Beide Parteien profitieren: Die Solaranlage ist ausgelastet und die Haushalte erhalten günstigeren Solarstrom. Dieser kostet noch maximal 80 Prozent des Netzpreises», erklärt Lucien Debons.
Allerdings können sich nur Haushalte einem ZEV anschliessen, die Teil eines privaten Netzes sind – also nur Haushalte im selben Haus oder die unmittelbaren Nachbarn. Das öffentliche Stromnetz darf derzeit nicht für einen ZEV genutzt werden. Mit dem neuen Stromgesetz wird sich dies ändern.
Mini-Liberalisierung des Strommarktes
Zwei neue Formen von Energiegemeinschaften ergänzen den Status quo: die lokale Elektrizitätsgemeinschaft (LEG) und der virtuelle Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (virtueller ZEV). «Mit der LEG und dem virtuellen ZEV erleben wir eine Mini-Liberalisierung des Strommarktes», sagt der Absolvent des CAS Energie digital. Denn bei einem virtuellen ZEV können neu die Leitungen in unmittelbarer Nähe genutzt werden. Alle Haushalte, die am gleichen Stromverteilungsschrank angeschlossen sind, können Teil des virtuellen ZEV sein.
Die LEG geht noch einen Schritt weiter: Der Strom kann über die Grundstücksgrenze hinaus im gesamten Perimeter einer Gemeinde verkauft und verbraucht werden. Dabei handelt es sich immer noch um selbst erzeugten Strom, den man im LEG vermarktet – man zahlt also einen reduzierten Netztarif, um das öffentliche Stromnetz verwenden zu dürfen.
Erneuerbare Energieprojekte einfacher realisieren
Die beiden neuen Energiegemeinschaftsformen bergen einen weiteren Vorteil. Anders als beim ZEV müssen sich nicht alle Haushalte beteiligen. «Das ist eine kleine Revolution. Momentan kann sich ein einzelner Haushalt in einem Gebäude gegen die Bildung eines ZEV stellen und dadurch verhindern, dass zum Beispiel eine Solaranlage realisiert wird», erklärt Lucien Debons. «Die beiden neuen Modelle ermöglichen nun eine effiziente und wirtschaftliche Nutzung erneuerbarer Energien, indem sie die Flexibilität und Integration lokaler Energieverbraucher und -erzeuger fördern.»
Die virtuellen ZEV und die LEG stehen vor der Herausforderung, dass der Strom etwa zur gleichen Zeit erzeugt und verbraucht werden muss. «Somit soll ein Überschuss, der zurück ins Netz fliesst, verhindert werden», erklärt Lucien Debons. «Am besten ist es, wenn der Strom lokal produziert und gleichzeitig verbraucht wird.» Denn das hat laut dem Absolventen des CAS Energie digital Vorteile für die Produzenten und Verbraucher. Unter anderem fallen reduzierte Netzgebühren an, die Haushalte sind unabhängiger vom öffentlichen Netz und die Versorgungssicherheit steigt. Zudem werden Anreize geschaffen, in lokale Energieprojekte zu
Dezentrale Energiewende vorantreiben
Für dieses Problem hat Lucien Debons einen Rechner entwickelt, der die Produktionskurve mit der Verbrauchskurve zweier Häuser vergleicht. «Ich kann berechnen, welche Haushalte in einer LEG zusammenpassen, damit der Austausch von Solarenergie möglichst hoch ist.» Zudem lassen sich mit seinem Rechner die Einsparungen für den Verbraucher und der Mehrertrag für den Besitzer einer erneuerbaren Energieanlage berechnen.
Damit dient der Rechner als Entscheidungshilfe für Investoren, Anlagenbetreiber und Verbraucher. «Mit dem Rechner lässt sich für jede Situation eine optimale Lösung finden», sagt Lucien Debons. Das grösste Potenzial sieht der Energie-Experte bei Heizungen und Elektrofahrzeugen. «Wärmepumpen und Ladestationen für Elektroautos können so gesteuert werden, dass sie der Produktionskurve folgen. Ein Elektroauto wird zum Beispiel automatisch dann geladen, wenn eine Solaranlage in der LEG gerade genügend Strom produziert.»
Lucien Debons hat sich mit dem Energie-Rechner schon während seiner Abschlussarbeit selbstständig gemacht. Anfang 2024 gründete er die Firma «dSYDE SA», mit der er Unternehmen und Privatpersonen zur Rentabilität und Optimierung von Energiegemeinschaften berät. Er ist überzeugt: «Die Wirtschaftlichkeit und Attraktivität von erneuerbaren Energiegemeinschaften können so maximiert werden – die Nachhaltigkeit wird gesteigert und das Netz geschont.» Damit will er einen Beitrag zur dezentralen Energiewende leisten.