SG: SVP und CVP verlieren einen Sitz

Ständerat Beni Würth gilt schon fast als gesetzt.
Ständerat
Ausgangslage
Ständeratswahlen im Kanton St.Gallen waren zuletzt meist Blockbuster, weil nationale Schwergewichte gegeneinander antraten: Karin Keller-Sutter, Toni Brunner, Paul Rechsteiner. Die Freisinnige ist inzwischen Bundesrätin, der einstige SVP-Präsident blieb mit seinem Angriff erfolglos. Nach wie vor im Stöckli sitzt jedoch der frühere Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner. Rechsteiner ist der Dinosaurier im Bundeshaus, er wurde 1986 in den Nationalrat gewählt und galt schon vor seiner ersten Kandidatur für den Ständerat 2011 als «Sesselkleber». Dass der sture Gewerkschafter damals die Wahl geschafft hat, hat er der Uneinigkeit der bürgerlichen Mitbewerber zu verdanken. Eigentlich ist die SP zu schwach, um einen St.Galler Ständeratssitz zu erobern, doch die traditionelle Unfähigkeit von SVP, FDP und CVP, im entscheidenden Moment gemeinsame Interessen über eigene Ansprüche zu stellen, könnte Rechsteiner einen erneuten Triumph verschaffen.
Allerdings ist die Wahl 2011 aus Sicht der bürgerlichen Parteien auch wirklich dumm gelaufen. Während Karin Keller-Sutter mit einem Traumresultat gewählt wurde, blieb der zweite Sitz noch leer. In Führung lag Toni Brunner vor dem amtierenden CVP-Ständerat Eugen David, der aber für Freund und Feind überraschend das Handtuch warf. Im zweiten Wahlgang schickte die CVP den politisch unerfahrenen Michael Hüppi ins Rennen, der zwischen Brunner und Rechsteiner chancenlos blieb. Der Sozialdemokrat hatte im Ziel schliesslich knapp die Nase – oder vielleicht eher den berühmten Schnauz – vorne. Vier Jahre später sah vermeintlich es besser aus. Der chancenlose CVP-Kandidat Thomas Ammann trat nicht zum zweiten Wahlgang an, trotzdem konnte SVP-Nationalrat Thomas Müller als einziger bürgerlicher Kandidat Rechsteiner nicht gefährden.
Inzwischen hat die CVP ihren Sitz im Stöckli mit Regierungsrat Beni Würth auf Kosten der FDP und ihrer Kandidatin Susanne Vincenz-Stauffacher zurückerobert. Für die Gesamterneuerungswahlen 2019 haben nun nicht weniger als sieben Parteien eine Kandidatur angemeldet; Würth dürfte bei dieser Konstellation gute Chancen haben, seine erst wenige Monate alte Ständeratskarriere fortsetzen zu können. Hingegen könnte es für Paul Rechsteiner ungemütlich werden, wenn die Bürgerlichen ihren Part clever spielen. Die FDP hat mit Marcel Dobler einen amtierenden Nationalrat nominiert, ebenso die SVP mit Roland Rino Büchel. Alle vier Herren haben eine realistische Chance zu reüssieren. Bei den drei weiteren Kandidaturen geht es in erster Linie darum, die eigene Nationalratskandidatur zu promoten: Franziska Ryser (Grüne) und Pietro Vernazza (Grünliberale) könnten tatsächlich ein Mandat in der grossen Kammer erobern, bei Norbert Feldmann von der BDP würde dies an ein Wunder grenzen.
Prognose
Im ersten Wahlgang dürften für alle Kandidierenden die Trauben zu hoch hängen, das Absolute Mehr wird bei über 70'000 Stimmen liegen, was selbst für den aus der Poleposition startenden Beni Würth schwierig zu erreichen ist. Er müsste im Vergleich zu seiner Wahl im Mai mindestens 20'000 Stimmen zulegen. Unmöglich ist das nicht, die Wahlbeteiligung wird bei der Gesamterneuerungswahl höher sein, und bei zwei freien Linien könnte der Name Würth auf manchem Stimmzettel stehen. Wahrscheinlicher ist aber dieser Ausgang: Würth führt die Rangliste nach dem ersten Wahlgang an, ist aber noch nicht gewählt. Dahinter liegen dicht beieinander Paul Rechsteiner, Marcel Dobler und Roland Rino Büchel. Franziska Ryser holt vor Pietro Vernazza Platz fünf, abgeschlagen ist Norbert Feldmann.
Würth und Rechsteiner treten zum zweiten Wahlgang am 17. November selbstverständlich wieder an. Das folgende Szenario ist vielleicht Wunschdenken, aber man muss ja nicht von vornherein ausschliessen, dass die Bürgerlichen dazulernen können: Die SVP zieht ihren etwas schlechter platzierten Kandidaten zurück und unterstützt Marcel Dobler. Die FDP sagt dafür jetzt schon zu, bei den kommenden Regierungsratswahlen den Anspruch der SVP auf zwei Sitze (und damit wohl Kandidatin Esther Friedli) zu unterstützen. Nach 33 Jahren unter der Bundeshauskuppel könnten die Bürgerlichen so Paul Rechsteiners nationale Karriere beenden. Ruhig dürfte es um die SP-Ikone deshalb noch lange nicht werden.
Ergebnis:
Benedikt Würth (CVP, bisher) und Marcel Dobler (FDP, neu) werden im zweiten Wahlgang gewählt.
Nationalrat
Ausgangslage
Bei den letzten Nationalratswahlen gewannen SVP und FDP je einen Sitz dazu, für beide Parteien ist nun die Besitzstandswahrung das vordringliche Ziel. Vor vier Jahren verloren die Grüne Yvonne Gilli und die Grünliberale Margrit Kessler den jeweils einzigen Sitz ihrer Partei. Beide Gruppierungen dürfen sich 2019 nun berechtigte Hoffnungen machen, wieder ins Bundeshaus einziehen zu können.
Analyse der Listen
255 Kandidierende buhlen im Kanton St.Gallen auf 25 Listen um die Gunst der Wählerinnen und Wähler. Die SVP hat vier eigene Listen am Start. Auf der Hauptliste treten die fünf Bisherigen Lukas Reimann, Thomas Müller, Roland Rino Büchel, Barbara Keller-Inhelder und der für Toni Brunner nachgerutschte Mike Egger wieder an. Daneben gibt es eine Seniorenliste, eine Landliste und eine Unternehmerliste – aber keine Liste der Jungpartei. Zusätzlich ist die SVP mit der Liste der EDU verbunden. Auffallend ist der über alle fünf Listen hinweg tiefe Frauenanteil von 14,5 Prozent (8 Frauen zu 47 Männern).
Vier Listen hat auch die CVP aufgestellt, je eine Liste Hauptliste Nord-West und Süd-Ost plus je eine geografisch gleich sortierte Liste der Jungen CVP. Der Frauenanteil beträgt einen Viertel, wobei es die Jungparteien sind, die den Schnitt drücken. Auf den Hauptlisten finden sich mit Kantonsrätin Yvonne Suter, der früheren Stadtparlamentarierin Trudi Cozzio oder der Degersheimer Gemeindepräsidentin Monika Scherrer einige starke Frauen, trotzdem werden die Nationalratssitze unter den bisherigen CVP-Männern ausgemacht werden.
Die CVP tritt mit einer Reihe von Verbündeten an, die höchst unterschiedliche Ambitionen haben. Die EVP, seit 2016 nicht mehr im Kantonsrat vertreten, will wohl einfach ein Lebenszeichen senden. Die BDP wird den Sprung nach Bern auch nicht schaffen, gerade noch fünf Männer liessen sich für die Liste gewinnen. Damit wird der BDP-Slogan «langweilig, aber gut» nur zur Hälfte umgesetzt: fünf Männer sind langweilig, aber nicht gut. Die GLP dagegen rechnet sich einen Sitzgewinn aus – der auf Kosten der CVP gehen könnte. Auf dieser Liste finden sich spannende Namen, etwa Jörg Tanner, der Gemeindepräsident von Sargans, der angesehene HIV-Spezialist Pietro Vernazza oder der Berater Oliver Schmid-Schönbein – er verfasste einst die erste Umweltbilanz einer Schweizer Bank.
Die FDP tritt nach dem Rücktritt von Walter Müller mit einem amtsjungen bisherigen Nationalrat an, und dieser, Marcel Dobler, soll es gleich auch noch als Ständeratskandidat richten. Auf der Hauptliste wie auch auf der Liste der Umweltfreisinnigen besetzen die Frauen nur einen Drittel der Plätze, doch stehen bei der FDP mit Susanne Vincenz-Stauffacher und Karin Weigelt zwei Frauen besonders im Fokus. Der Jungfreisinn bringt es auf gerade mal zwei Frauen gegenüber zehn Männern – dafür präsentiert die FDP zwölf weitere Frauen auf einer reinen Frauenliste. Auf der Liste der Umweltfreisinnigen finden sich mit dem früheren Kantonsplaner Ueli Strauss und dem Rorschacher Stadtrat Ronnie Ambauen zwei bekannte Namen.
Die SP tritt mit einer typischen 50:50-Liste an – angeführt von den beiden bisherigen Nationalrätinnen Barbara Gysi und Claudia Friedl. Dahinter reihen sich bekannte Namen der St. Galler Sozialdemokratie ein. Mit dabei ist der Gossauer Kantonsrat Ruedi Blumer, der neu als nationaler Präsident des VCS amtet, womit er im links-grünen Milieu punkten dürfte. Neben der Hauptliste, die traditionell «SP und Gewerkschaften» heisst, treten auch die Juso an.
Die Grünen sind eine Listenverbindung mit der SP eingegangen, auch sie präsentieren eine ausgeglichene Hauptliste und einen 50:50-Mix bei den «KlimaseniorInnen»; die Jungpartei kommt mit einer knappen Frauenmehrheit. Mit der jungen, ambitionierten Stadtparlamentarierin Franziska Ryser, einer ETH-Maschineningenieurin, und der früheren Nationalrätin Yvonne Gilli werden wohl auch zwei Frauen die besten Stimmensammlerinnen bei den Grünen sein. Keine Rolle spielen werden die Listen der Schweizer Demokraten, die Einzelmaske «Der Pflug» und das Grüppchen Parteifreier.
Prognose
Mit geschickten Listenverbindungen kann sich eine Partei zusätzliches Stimmpotenzial erschliessen. Für die St. Galler CVP könnte der Schuss dieses Mal aber nach hinten losgehen: Der Gemischtwarenladen aus CVP, EVP, BDP und GLP dürfte zwar komfortabel jene drei Sitze holen, die heute von der CVP besetzt werden, für vier Sitze reicht es nicht. Innerhalb der Listenfamilie könnte die wiedererstarkte GLP der CVP ein Mandat wegschnappen. Die CVP hat als einzige Partei zwei Hauptlisten, die geografisch sortiert sind. Auf der Liste Nord-West wird Nicolo Paganini wahrscheinlich wiedergewählt, die Liste Süd-Ost mit zwei Bisherigen muss ein Mandat abgeben. Hier hat vor vier Jahren Bauerngeneral Markus Ritter deutlich mehr Stimmen als Thomas Ammann geholt, Ammann ist akut gefährdet. Von der gut besetzten, ausgeglichenen GLP-Liste kommen einige Köpfe als neue Nationalräte in Frage, neben Chefarzt und Ständeratskandidat Pietro Vernazza sind dies etwa aus dem St.Galler Stadtparlament Nadine Cloé Niederhauser, eine Augenärztin, und Thomas Brunner, ein Klimatologe.
Die SVP wird es auch mit vier Listen schwer haben, nur schon ihre eigene, klar begrenzte Basis zu mobilisieren. Den fünften Sitz muss sie wieder abgeben. Treffen dürfte es Barbara Keller-Inhelder. Mike Egger, der vor vier Jahren noch hinter ihr lag, hat sich als Kandidat für die Ständeratsersatzwahl im Frühling einige Sympathiepunkte erarbeitet, er dürfte Keller überholen. Möglich ist aber, dass gleich zwei Bisherige über die Klinge springen müssen, da sich unter anderen Esther Friedli und Michael Götte sich weit oben in der SVP-Hierarchie platzieren könnten. Für die knapp Nicht-Gewählten gibt es zwei Hintertürchen in den Nationalratssaal: Ein vorzeitiger Rücktritt von Thomas Müller oder eine Wahl von Roland Rino Büchel in den Ständerat. Sollte Esther Friedli tatsächlich gewählt werden und Gefallen an ihrem Mandat finden, könnte der SVP im kommenden März die logische zweite Regierungsratskandidatin fehlen.
Die Listenverbindung von SP und Grünen wird vor allem wegen Zugewinnen der Grünen drei Sitze holen, wie gehabt zwei für die SP und ein gewonnener neuer Sitz für die Grünen. Viele Stimmen wird die frühere Nationalrätin Yvonne Gilli sammeln, nach Bern fahren wird aber Franziska Ryser, die ja auch von den Grünen selbst als Spitzenkandidatin gepusht wird und mit ihrer Ständeratskandidatur im Rampenlicht steht. Bei der SP können die beiden bisherigen Nationalrätinnen Barbara Gysi und Claudia Friedl die interne Konkurrenz auf Distanz halten. Arber Bullakaj und Bettina Surber lagen vor vier Jahren rund 10'000 Stimmen hinter der zweitplazierten Friedl. Denkbar ist aber, dass Friedl im Lauf der Legislatur zurücktritt, deshalb kann Platz drei bei der SP einen Karriereschritt bedeuten.
Die FDP kann ihr Ergebnis und damit den zweiten Sitz knapp halten. Sollte es Marcel Dobler in den Ständerat schaffen, würde St.Gallen gleich zwei neue Gesichter in die FDP-Fraktion delegieren, gut möglich, dass es auch zwei Frauen sind. Erste Anwärterin für einen Sitz ist Susanne Vincenz-Stauffacher, die sich im Frühjahr mit ihrer Ständeratskandidatur Respekt weit über die Parteigrenzen hinaus erarbeitet hat – und die mit ihrem politischen Profil auch glaubwürdig für eine liberale Umweltpolitik steht. Dahinter hat Karin Weigelt das Potenzial, von Null auf Hundert Nationalrätin zu werden. Dass dies geht, hat ja vor vier Jahren bereits Marcel Dobler bewiesen. Weigelt ist omnipräsent, betreibt vermutlich den aufwendigsten Wahlkampf in der ganzen Ostschweiz, steht für die junge Generation und aktuelle Themen wie etwa die Digitalisierung. Nicht unterschätzen sollte man aber den gut vernetzten Rheintaler Kantonsrat Stefan Britschgi. Nach dem Rücktritt von Walter Müller wird die Bauernlobby alles daran setzen, mit ihm wieder einen FDP-Landwirt nach Bern zu schicken.
Ergebnis:
Gewählt werden Lukas Reimann (SVP), Thomas Müller (SVP), Roland Rino Büchel (SVP), Mike Egger (SVP), Susanne Vincenz Stauffaucher (FDP), Marcel Dobler (FDP, wird am 17. November in den Ständerat gewählt, Karin Weigelt rückt nach), Markus Ritter (CVP), Nicolo Paganini (CVP), Pietro Vernazza (GLP), Barbara Gysi (SP), Claudia Friedl (SP), Franziska Ryser (Grüne).