Auch der Thurgau engagiert sich in der Region Wil
Philipp Lüscher, zuerst eine Begriffsklärung: Vielen ist die südlichste Region des Thurgaus noch als «Hinterthurgau» bekannt. Vor 15 Jahren wurde eine Kampagne gestartet, aus dem Hinterthurgau den Südthurgau zu machen. Ist das inzwischen gelungen – und weshalb war das ein Thema?
Die Kampagne Südthurgau wurde ursprünglich vom Verein Wirtschaftsraum Südthurgau ins Leben gerufen, um die Wahrnehmung des Hinterthurgaus moderner und weniger hinterwäldlerisch zu gestalten. Bis heute hat sich der Begriff jedoch nicht vollständig durchgesetzt; der Verein Wirtschaftsraum Südthurgau wurde 2017 aufgelöst. Unabhängig von der Bezeichnung präsentiert sich unsere Region heute selbstbewusster denn je und verfügt über eine prosperierende Wirtschaft mit vielen innovativen und erfolgreichen Gewerbe- und Industrieunternehmen.
Der Südthurgau ist ein wichtiger Teil der Grossregion Wil. Wie gut funktioniert die kantonsübergreifende Zusammenarbeit in wirtschaftlicher Hinsicht?
Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut und die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen von Arbeitgebern und Behörden werden in verschiedenen Gremien und Verbänden wie den regionalen Arbeitgeberverbänden, WPO und Regio Wil koordiniert und vorangetrieben.
Welche Projekte geht man gemeinsam an?
Mit dem Entwicklungsschwerpunkt WILWEST soll in der Region ein visionäres Projekt realisiert werden, das dringend notwendiges Bauland zur Verfügung stellt, attraktive Arbeitsplätze schafft und die Verkehrsinfrastruktur optimiert.
Und wo bestehen vielleicht unterschiedliche Auffassungen/Ziele?
Gerade bei WILWEST gibt es verschiedene Interessenkonflikte, die das Projekt zurzeit blockieren. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass wir u. a. auch mit der Hilfe der beiden Kantonsregierungen einen Konsens finden werden. Allerdings läuft uns hier die Zeit langsam davon.
Sie wurden im April dieses Jahres zum Präsidenten des AGV Südthurgau gewählt. Was steht bei Ihnen ganz oben auf der Agenda für den Südthurgau/die Grossregion Wil?
Wir wollen uns weiterhin darauf konzentrieren, unseren Mitgliedsfirmen optimale wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen zu bieten, die Vernetzung der verschiedenen Akteure sicherzustellen und für die Region wichtige Projekte voranzutreiben.
Ihre Mitgliedsfirmen dürften auch mit Fachkräftemangel, hohen Energiepreisen und ausufernder Bürokratie zu kämpfen haben. Was macht ihnen am meisten zu schaffen?
Ein zentrales Thema ist sicher ein geregeltes Verhältnis mit der EU. Wir benötigen etwa dringend ein Stromabkommen mit der EU, um unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Weiter beschäftigt uns die anhaltende Industrierezession in der Eurozone. Neben einem starken Rückgang des Produktionsvolumens nehmen auch die Auftragspolster der Firmen deutlich ab.
Auch die Frankenstärke wird für immer mehr KMU wieder zum Thema.
Auch für uns, natürlich. Durch den Nahostkonflikt zeigt die Tendenz zudem weiter nach oben. Sollte sich die Flucht internationaler Anleger in sichere Häfen beschleunigen, drohen der Schweizer Industrie zum ungünstigsten Zeitpunkt noch weitere Schwierigkeiten aus der Währungsthematik. Und der Fachkräftemangel war in den vergangenen Jahren sicher ein Dauerbrenner. Hier gilt es, über die Digitalisierung, attraktive Anstellungsbedingungen sowie ein gutes Employer-Branding die Situation zu verbessern.
Und wie kann der AGV hier helfen?
Wir halten unsere Mitgliedsfirmen mit verschiedensten Veranstaltungen zu aktuellen Themen wie Digitalisierung, Elektromobilität oder Versorgungssicherheit auf dem Laufenden und informieren regelmässig. Auch bringen wir die Unternehmensvertreter, Behörden und Politiker zusammen, um die gegenseitigen Bedürfnisse abzustimmen. Via unseren Dachverband, der IHK Thurgau, werden die Interessen der Thurgauer AGV zudem gebündelt und in die kantonale und nationale Politik sowie in die nationalen Wirtschaftsverbände eingebracht.
Als Aussenstehender hat man den Eindruck, im Südthurgau sei die Welt noch in Ordnung, was etwa den Berufsnachwuchs angeht. Finden Ihre Mitgliedsfirmen genügend Lehrlinge?
Auch im Südthurgau sind wir bemüht, Jugendliche wieder vermehrt für eine Berufslehre zu begeistern. Jede Gewerbemesse hat heute integrierte Informationsstände für verschiedene Berufslehren. Nach wie vor ist es jedoch eine Herausforderung, für die Unternehmen, genügend Lehrlinge zu finden.
Und könnte die regionale Lehrlingsausbildung noch stärker gefördert werden?
Unbedingt! Es gilt, den Stellenwert der Berufslehre wieder stärker zu gewichten und die Jugendlichen frühzeitig über die vielfältigen Möglichkeiten einer Berufslehre zu informieren. Die IHK Thurgau hat zum Beispiel mit den «Projektwochen NaTech digital» ein Angebot für 5./6. Klassen aufgegleist, in dem die Kinder naturwissenschaftliche und technische Themen mit Medien und Informatik verknüpfen und so spielerisch und mit vielen Experimenten für technische Aspekte begeistert werden können.
Was wünschen Sie sich von der Politik, auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bezogen?
Wir müssen aufpassen, dass die Bürokratie nicht weiter ausgebaut wird und die Unternehmen zusätzlich belastet werden. Das internationale Wirtschaftsumfeld stellt bereits genügend hohe Ansprüche – und wir sind auf effiziente Prozesse in der Verwaltung sowie in den Behörden angewiesen. Gerade im Bereich der Baubewilligungen haben wir sicher noch Optimierungspotenzial.
Wenn Sie ein Unternehmen in drei Sätzen von den Vorzügen des Südthurgaus überzeugen müssten, was würden Sie ihm sagen?
Der Südthurgau verfügt über eine hervorragende verkehrstechnische Anbindung an die DACH-Märkte, profitiert von einer wirtschaftsfreundlichen Politik und bietet attraktive Arbeits-, Wohn- und Lebensräume sowie ein vielseitiges Angebot für Freizeit und Erholung.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer