Schwerpunkt Kultur & Wirtschaft

«Kultur ist ein elementarer Bestandteil unseres Zusammenlebens»

«Kultur ist ein elementarer Bestandteil unseres Zusammenlebens»
Ann Katrin Cooper
Lesezeit: 6 Minuten

Als Präsidentin der IG Kultur Ost möchte Ann Katrin Cooper den Dialog mit der Wirtschaft und der Bildung suchen. Um über den Mehrwert der Kultur für die Gesellschaft zu diskutieren – und auch über den wirtschaftlichen Beitrag der Kultur.

Ann Katrin Cooper, Sie werden als Kulturaktivistin bezeichnet. Woher kommt das?
Das bin ich in den vergangenen Jahren geworden. Weil ich erlebt habe, was für eine sinnstiftende Kraft Kultur haben kann, und weil ich finde, dass es hier in der Ostschweiz noch Potenzial nach oben gibt. Deshalb setze ich mich für Kultur ein – und wurde dann so genannt. Das war nicht geplant. 

Was war denn geplant?
Ich bin eigentlich Kulturwissenschafterin, wobei mein Studium sehr praktische Ansätze umfasste. Ich habe danach in Kulturbetrieben gearbeitet und kam schliesslich nach St.Gallen ans Theater, wo ich in den Bereichen Kommunikation und Fundraising tätig war.

Womit wir beim Geld sind. Ist Fundraising eine Kernkompetenz in einem Kulturbetrieb?
Ja, das muss eine Person oder ein Team in einem Kultur- betrieb können.

Heute sind Sie Präsidentin der IG Kultur Ost. War das auch nicht geplant?
Ich habe die IG Kultur mitgegründet. Den Anstoss gab das Magazin «Saiten», sie haben mich angefragt – «kannst Du es machen, nur mal so für den Anfang?». Jetzt bin ich es immer noch. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, die Sinn macht, wenn man etwas bewegen will.

 

«Das bedeutet, dass Kultur subventioniert werden muss.»

Was ist denn die Aufgabe? Geld zu beschaffen?
Nein, darum kümmern sich die einzelnen Kulturträger selbst. Wir vertreten sie, ausserhalb der eigenen kulturellen Arbeit, in verschiedenen Zusammenhängen: in Politik, Wirtschaft, Bildung. Wenn wir in einen Austausch kommen wollen, müssen wir ein echtes Interesse am Vis-à-vis haben.

Wozu dient der Austausch?
Es ist längst an der Zeit, dass wir uns noch mehr branchenübergreifend austauschen und uns im Verbund gesamt- gesellschaftlichen Themen, wie Nachhaltigkeit oder Gleichstellung widmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Politik, die Wirtschaft oder die Bildung genauso ein Interesse an der Kultur haben wie umgekehrt. Um ins Gespräch zu kommen, braucht es aber Ansprechpersonen. Es gibt Dachverbände für die verschiedenen künstlerischen Sparten, die haben jeweils sehr spezifische Anliegen. Eine übergeordnete Struktur hatte die Kultur in der Ostschweiz jedoch nicht. Das war unsere Motivation. Damit wir mitreden können, unsere Expertise weitergeben können.

Wollen Sie die Kulturszene besser vernetzen?
Es geht nicht darum, das Kleintheater und den Bühnenbildner zu vernetzen, das schaffen die auch so. Es geht um übergeordnete Themen: Was bedeutet Kultur, welchen Stellenwert hat sie, was fehlt, was sind strukturelle Anliegen, was sind finanzielle Anliegen, wie kann der Tourismus von der Kultur profitieren, wie kann die Wirtschaft profitieren und umgekehrt, wie können wir unser Wissen austauschen, wie können wir mit unserer Erfahrung politische und gesellschaftliche Prozesse mitgestalten?

Viele Fragen! Die Frage, wie die Wirtschaft von der Kultur profitieren kann, ist der Anlass unseres Gesprächs.
Das Bundesamt für Statistik hat noch vor der Pandemie die Wertschöpfung der Kultur mit 15 Milliarden Franken beziffert, das sind 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Und ein Vielfaches dessen, was an Kulturförderung gezahlt wird. Gemeinden, Kantone und Bund investieren zusammen gerade einmal 350 Franken pro Kopf in Kultur. Es ist nicht so, dass wir uns Kultur als Nice-To-Have-Luxus leisten, die Kultur erwirtschaftet auch sehr viel. Wen man den Kultur-Begriff weit fasst, finden hier gut sieben Prozent der Arbeitnehmer ihr Aus- kommen.

 

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Kultur lohnt sich also.
Mich erstaunt es immer, dass die Kultur sich rechtfertigen muss. Kultur ist nicht einfach die Kirsche oben auf dem Kuchen. Ich bin irritiert, dass sogar in Kulturkreisen das Selbstbild verbreitet ist, dass Kultur etwas ist, das man sich so gönnt. Kultur ist ein ganz elementarer Bestandteil unseres Zusammenlebens. Weil Kultur so ein wichtiger Kitt ist, müssen alle Menschen unserer Gesellschaft Zugang zu Kultur haben, nicht nur die gutverdienenden.

Sprich: Kultur muss subventioniert werden.
Ja, das bedeutet auch, dass Kultur subventioniert werden muss. Das muss sich eine Gesellschaft leisten wollen, gerade in einem Land wie der Schweiz. Die seinerzeitigen Opernhauskrawalle in Zürich entzündeten sich an Subventionen für die Kultur der Reichsten. Und trotzdem zahle ich, wenn ich ins subventionierte Opernhaus gehe, wirklich viel Geld für mein Ticket. Deshalb bleiben gut ausgebildete Menschen, Gutverdiener, weitgehend unter sich. Da wäre es zum einen eine dringende Aufgabe der Institution, sich zu überlegen, wie mehr Menschen von ihrem Angebot profitieren können. Zum anderen müsste man auch mehr in kulturelle Bildung von Kindern investieren, damit sie überhaupt einen Zugang zu solcher Kultur haben. Sonst stirbt das Publikum weg, oder es kommen nur die Kinder von denjenigen, die selbst schon ein Opern-Abo hatten. 

Die Wirtschaft muss per definitionem einen Mehrwert schaffen. Kann die Kultur das auch?
Wer glaubt, den Mehrwert von Kultur nicht in Franken messen zu können, nutzt das gerne als Totschlagargument. Man könnte den Mehrwert allerdings auf verschiedenen Ebenen messen. Zuerst einmal hat auch ein Kulturunternehmen eine Bilanz. Dann generiert etwa ein Museumsbesuch ganz viele Umsätze im Umfeld, beim öffentlichen Verkehr, in der Gastronomie bei Hotels und Restaurants. Das kann man alles messen. Es geht aber um mehr als den Mehrwert in Franken.

Um ideelle Werte. Die sind allerdings kaum messbar.
Doch, sind sie. Man kann auch messen, was für einen Impact mein Besuch in einer Kulturinstitution hatte. Dazu sind Befragungen notwendig, wobei das weniger quantitative als qualitative Evaluationen sind. Weil das Dinge sind, die auf vielschichtigen Ebenen ablaufen. Man kann gedankliche oder soziale Prozesse in einer Evaluation abbilden. Das habe ich schon für verschiedene Projekte gemacht. Es ist aufwendiger als reine Zahlen abzubilden und deshalb teurer. Und darum sind solche Evaluationen vielleicht nicht so weitverbreitet, wie sie sein sollten, um mehr Argumente in politischen Prozessen zu haben.

 

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«Mich erstaunt es immer, dass die Kultur sich rechtfertigen muss.»

Soll mich Kultur unterhalten oder zu kritischem Denken anregen?
Beides. Kultur kann vieles sein, und das ist auch legitim.

Ist es legitim, dass Kultur politisch wird und sich gleichzeitig mit öffentlichen Geldern finanzieren lässt?
Klar ist das legitim. Wenn man schaut, was aktuell in der Welt passiert: Wer kann sich dazu äussern? Auf welche Art und Weise? Das kann sich jeder für sich überlegen. Ich kann etwas tun, um die Frauen im Iran zu unterstützen oder die Menschen in der Ukraine. Als Kulturschaffende habe ich noch weitere Mittel und Wege, um solche Fragen auf einer ganz anderen Ebene zu thematisieren.

Wie denn?
Indem ich die dahinterliegenden Machtmechanismen thematisiere. Andere greifen Texte, Lieder, Geschichten aus diesen Ländern auf, oder arbeiten mit Künstlern aus diesen Gegen- den zusammen. Es kann sein, dass ich Aufmerksamkeit für die Konflikte generiere, in dem direkt darüber diskutiere oder ein Dokumentartheater mache. Das ist ja das Grossartige an Kultur, dass es verschiedene Formen gibt, die auch ein gewisser  Grad an Abstraktion haben, die gewisse Emotionen spielen können.

Wenn jemand aufgrund des Kriegs eine Choreografie mit ukrainischen und russischen Tänzern machen wollte, würde das Konflikte erzeugen, bevor ein Stück auf der Bühne wäre.
Ich fände es wunderbar, dass man zeigen kann, dass Menschen aus diesen beiden Ländern etwas zusammen gestalten können.

 

Das könnte aber nicht nur eventuelle Geldgeber, sondern beispielsweise auch ukrainische Flüchtlinge sehr irritieren.
Verständlicherweise, ja. Trotzdem könnte die Kultur etwas leisten, was sonst noch schwieriger ist. Indem über gemeinsames kulturelles Arbeiten andere Wege gesucht werden. Vielleicht werden wir uns nicht einig im Gespräch, aber wir können zusammen ein gleiches Verständnis für Musik entdecken. Unabhängig davon, ob es richtig war, da und dort russische Künstler auszuladen: Es wurde darüber gesprochen. Und solange wir miteinander sprechen, sind wir auf einem guten Weg.

Theater ist oft gezielte Provokation. Etliche Steuerzahler können nicht nachvollziehen, warum sie das mitfinanzieren sollen.
Grundsätzlichen zahlen wir alle Steuern, um öffentliche Aufgaben zu ermöglichen. Manche Dinge, die davon bezahlt werden, betreffen mich persönlich nicht, sind für das grosse Ganze aber wichtig. Das ist nicht nur bei der Kultur, sondern in allen Bereichen so. Und: Wenn ich es mir zu gemütlich mache, während um uns herum die Welt in Flammen steht, halte ich es für gut, wenn mich Provokationen zum Aufregen anregen. Aber genauso gehören Musikfestivals dazu, bei denen es darum geht, Zeit zusammen zu verbringen und gute Musik zu hören. Unsere Gesellschaft ist divers und so sind ihre Anliegen und Bedürfnisse. Darum braucht es ein sehr vielfältiges Kulturangebot. Grundsätzlich sollten wir nicht in der Sorge verharren, dass vielleicht eine Kulturinstitution oder eine Künstlerin etwas bekommt, dass ihr nicht zusteht. Wir sollten uns um die Inhalte kümmern, um die Frage, was es der Gesellschaft bringt.

Text: Philipp Landmark

Bild: Reto Martin, zVg

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