«Unverändert hohe Nachfrage»
Alessandro Sgro, wie geht es der Baubranche in der Ostschweiz aktuell?
Das Baugewerbe ist weiterhin sehr gut unterwegs. Die Geschäftslage hat sich im letzten Quartal nochmals leicht verbessert und wird so gut eingeschätzt wie seit Ende 2019 nicht mehr. Dies zeigt sich in der Nachfrage, die in den letzten drei Monaten stark gestiegen ist. Die Bautätigkeit ist ebenfalls nochmals leicht angestiegen. Saisonbedingt dürfte sich die Geschäftslage in den nächsten Monaten weiter verbessern.
Wo orten Sie die grössten Herausforderungen?
Nach wie vor gibt es grosse Lieferkettenprobleme, die auch auf die Baubranche eine dämpfende Wirkung haben. Der Mangel an Materialien und Vorprodukten ist jüngst nochmals sehr stark angestiegen. Zudem ist der Arbeitskräftemangel sehr ausgeprägt.
Inwiefern kann die Baubranche eine Rolle bei der Zukunftsgestaltung der Schweiz spielen?
Die Baubranche spielt hier eine sehr wichtige Rolle! Die Schweiz verfügt über einen sehr begrenzten Raum für Wohn- und Geschäftsimmobilien. Dass wir in der Schweiz auch zukünftig einen attraktiven und nachhaltigen Wohn- und Lebensraum sowie Geschäftsraum schaffen können, braucht es eine solide und innovative Baubranche. Der Fokus der zukünftigen Entwicklung liegt dabei auf den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung.
Und wie muss sich die Baubranche künftig digital aufstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Künftig?
Die Baubranche ist bereits mitten im Umbruch! Building Information Modeling (BIM) ist hier ein Stichwort. Die Planung und Verwaltung von Bauwerken werden mithilfe von Big Data und digitalen Tools viel effizienter. Arbeitsabläufe werden digitalisiert, und auch Roboter sind zum Teil schon im Einsatz.
Auch das Thema Nachhaltigkeit soll die Baubranche verändern.
Ja, nachhaltiges Bauen ist so aktuell wie noch nie und prägt die Baubranche stark. Ein ressourcenschonender und energieeffizienter Umgang mit unseren beschränkten natürlichen Bauressourcen und Räumen ist unabdingbar. Für Bauunternehmen bietet sich eine grosse Chance, sowohl im Bereich der Neubauten und Renovationen als auch bei Baustoffen. Gerade die technologischen Fortschritte können den Trend zu mehr nachhaltigem Bauen unterstützen.
Was raten Sie also einem Bauunternehmen, wie es sich heute für die Zukunft aufstellen soll?
Es ist nicht einfach, mit diesen starken strukturellen Trends Schritt zu halten. Dennoch ist es wichtig, dass alle, also kleine, mittlere sowie grosse Unternehmen, diese Transformationsphase in ihrem Betrieb aufnehmen und aktiv Lösungen erarbeiten. Wichtig sind hier auch Kollaborationen – wenn möglich gar interdisziplinär über die Branchengrenzen hinweg und auch mit Forschungsinstitutionen. So entstehen Innovationen.
In den letzten Jahren wurde sehr viel gebaut – demgegenüber steht ein grosser Bestand an Leerwohnungen: Kann dies ewig so weiter gehen? Die Leerstände haben seit 2014 markant zugenommen. Spannend dabei ist, dass diese vor allem bei Altbauten viel stärker ausgeprägt sind als bei Neubauten. Im vergangenen Jahr ist der Leerwohnungsbestand erstmals wieder zurückgegangen. Langfristig ist es wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zu erreichen. In den vergangenen Jahren führten das tiefe Zinsniveau und der Anlagenotstand dazu, dass viel in privat sowie geschäftlich genutzte Immobilien investiert wurde. Die jüngsten Zinsentwicklungen könnten hier etwas ausgleichend wirken.
Apropos Altbauten: Findet eigentlich eine Transformation vom Neubauen hin zum Umbauen und Renovieren statt?
Die aktuell verfügbaren Zahlen zeigen, dass seit 2017 die Ausgaben für Umbauten schneller gewachsen sind als für Neubauten. Die Bauausgaben für Neubauten übersteigen diejenigen für Umbauten allerdings deutlich.
Bauen wird teurer angesichts der unsicheren Wirtschaftslage und dem Krieg in der Ukraine.
Die Nachfrage im Baugewerbe ist immer noch sehr hoch. Für das aktuelle Quartal erwarten die Bauunternehmen eine unverändert hohe Nachfrage. In den kommenden sechs Monaten dürfte sich die Geschäftslage saisonbedingt nochmals leicht verbessern. Mittelfristig stellt sich die Frage, in wie weit höhere Zinsen sich auf die Bautätigkeit auswirken werden. Wir rechnen nicht mit einem markanten Einbruch, zumal das Zinsniveau weiter historisch tief liegt. Zudem wurde während der Corona-Pandemie viel gespart. Dieses Geld wird auch für Wohneigentum investiert, das notabene als Realwert immer noch einen guten Inflationsschutz bietet.
Werfen wir noch einen Blick auf die Politik: Wo sehen Sie hier die grössten «Bedrohungen» für das Baugewerbe und wo die besten Chancen? Die Stichworte sind Bürokratie und Regulierung. Die Prozesse dauern viel zu lange, was zu unnötigen Verzögerungen in den Bauvorhaben führt. Das betrifft verschiedene Bereiche wie die Vernehmlassung, Mitwirkung, Bewilligung und juristischen Prozesse. Zudem ist die Bau- und Planungsindustrie teilweise viel digitaler als die Verwaltungen, was zu Medienbrüchen und ineffizienten Prozessen führt.
Dann wünschen Sie sich seitens der Politik für die Schweizer Baubranche …
… einen zielorientierten Umgang von allen involvierten Parteien und Mut für Entscheide.