Wirtschaft

«Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben»

«Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben»
Heike Bruch: Ein Zurück zum Alten ist keine Option.
Lesezeit: 7 Minuten

Corona hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Dazu gehört beispielsweise das Arbeiten im Homeoffice. Und das werde auch so bleiben, sagt Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St.Gallen. Was bedeutet das konkret?

Heike Bruch, wo haben Sie in den vergangenen zwei Jahren mehrheitlich gearbeitet?
Aufgrund der Homeoffice-Pflicht habe ich überwiegend zuhause gearbeitet. Wir haben im Team jedoch aktiv und sehr bewusst versucht, die Vorteile zu nutzen und möglichen Nebenwirkungen einer Homeoffice-Überdosis entgegenzuwirken. Und das hat richtig gut geklappt.

Sie sagen, Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Was macht Sie so sicher?
Die Wichtigkeit von Homeoffice in der heutigen Arbeitswelt war auch vor der Pandemie schon gross und ist Teil eines epochalen Umbruchs. Vor allem aufgrund von zwei Megatrends: die digitale Transformation und der demografische Wandel. Beide Entwicklungen sind unumkehrbar und erfordern, dass Unternehmen Arbeit ganz neu denken und gestalten.

Das heisst?
Zum einen muss viel schneller, flexibler und marktnäher gearbeitet werden, da die digitale Transformation untrennbar mit einer massiv erhöhten Anforderung an Speed verbunden ist. Gleichzeitig muss Arbeit viel attraktiver werden und Spass machen, um sich im Wettbewerb um Fachkräfte gut aufzustellen. Vor allem jüngere Generationen fordern viel stärker Freiheiten bezogen auf Ort und Zeit ein.

Was sind denn die Vorteile von Homeoffice gegenüber dem klassischen Arbeitsmodell, bei dem man täglich von 9 bis 5 ins Büro geht?
Richtig gestaltet, bedeutet hybrides Arbeiten eine massiv erhöhte Produktivität und gleichzeitig ermöglicht es Angestellten, nach ihren Präferenzen zu arbeiten, Privat- und Berufsleben besser zu vereinen. Empirisch zeigt sich, dass daher Wohlbefinden, Engagement und Gesundheit steigen können. Dies allerdings nur, wenn es Unternehmen gelingt, hybrides Arbeiten gut zu orchestrieren und das Beste aus beiden Welten nutzbar zu machen – Homeoffice und Präsenz. Umgekehrt bringt hybrides Arbeiten gravierende Schäden mit sich, wenn es falsch aufgesetzt ist.

Sie plädieren dafür, dass die Gesellschaft diese neue Möglichkeit der hybriden Arbeit nutzt. Was, wenn sie es nicht tut und wir in einem Jahr wieder da sind, wo wir vor der Pandemie waren?
Angesichts der Megatrends wird es unausweichlich werden, dass sich Unternehmen in eine neue Arbeitswelt hinein entwickeln. Die aktuelle Zeit ist eine einzigartige Chance, diesen Wandel mutig und mit Energie anzugehen. Es besteht eine Sehnsucht nach Neuem mit viel Elementen aus der lange Zeit vermissten Welt mit Teammomenten, interaktiver kreativer Arbeit vor Ort und Kaffeemaschinen-Zeit. Ein Zurück zum Alten ist hingegen keine Option. Wer diesen beschleunigten Wandel nun richtig nutzt, wird so viel stärker aufgestellt und für die Zukunft vorbereitet sein.

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«Jüngere Generationen fordern viel stärker Freiheiten bezogen auf Ort und Zeit ein.»

Nun gibt es Berufe, in denen Homeoffice schlicht nicht möglich ist. Was muss getan werden, dass sich Menschen in solchen Berufen in der neuen Arbeitswelt nicht plötzlich als Aussenseiter fühlen, weil sie nicht von den «neuen Privilegien» profitieren können?
Es besteht tatsächlich das Risiko einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bis hin zu einer Spaltung von Unternehmen. Dem gilt es aktiv entgegenzuwirken, indem man alle Bereiche so gut wie möglich berücksichtig und mit Angestellten aus allen Bereichen die Transformation gemeinsam gestaltet. Und dabei gibt es viel mehr als einfach die Frage: Homeoffice oder Präsenz. Wir unterscheiden acht neue Arbeitsformen, wenn es um New Work geht. Mobiles Arbeiten ist nur eine davon.

Welche gibt es noch?
Zum Beispiel digitale Kommunikation, Nutzung digitaler Endgeräte, Desk Sharing oder Arbeitszeitflexibilität. Empfehlenswert ist, das Verständnis dafür in der gesamten Belegschaft zu erhöhen, warum New Work wichtig ist, was es beinhaltet und wie das Unternehmen damit umgeht. Zudem ist wesentlich, dass transparent ist, wie man mit New Work umgeht. Das Gerechtigkeitspostulat «Jedem das Gleiche» kann dabei nie zielführend sein, denn es geht ja genau um Flexibilisierung und Individualisierung. Vielmehr gilt es, Spielregeln zu formulieren, die den gemeinsamen Korridor abstecken – und auf dieser Grundlage das Postulat zu verfolgen «Jedem das Seine». Und dabei spielen Aufgabenunterschiede sowie Bedürfnisse eine Rolle.

Das klingt ja alles schön und gut. Aber wie soll beispielsweise ein LKW-Chauffeur Homeoffice machen?
Klar, mitunter sind die Möglichkeiten für Homeoffice bei ortsgebundener Arbeit, z. B. in Produktion, Service am Menschen oder Objekt oder im Transportwesen nicht vorhanden. Andere Elemente von New Work lassen sich hingegen durchaus übertragen.

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Zum Beispiel?
Flexibilität der Arbeitszeiten. Wo das nicht in Gänze möglich ist, kann beispielsweise die Abstimmung der Schichten ins Team verlagert werden. Oder man überträgt die Nutzung digitaler Endgeräte in alle Bereiche. Komplett gleich werden die Möglichkeiten dadurch nicht. Das verstehen die Menschen auch. Wichtig ist, dass sich alle angesprochen fühlen und New Work nicht zu einer Eliteveranstaltung wird, die schon bestehende Unterschiede zu einem unüberbrückbaren Graben werden lässt.

Aber auch in Berufen, wo Homeoffice problemlos möglich wäre, sind nicht alle Leute gleichermassen davon begeistert. Den einen fällt die Decke auf den Kopf, andere haben Mühe, Privates und Berufliches zu trennen und fühlen sich überfordert mit dieser Situation. Gibt es Menschen, die schlicht nicht fürs Homeoffice gemacht sind?
Wie Mitarbeitende am besten arbeiten können und wollen, hängt sehr von der individuellen Situation ab. Viele wünschen sich Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten – vor allem die Generationen Y und X. Auch Frauen bevorzugen oft die Wahl bezogen auf den Arbeitsort. Vielen tut es auch gut und sie schätzen die Freiheit. Allerdings geht eine Überdosis an Homeoffice mit sprunghaftem Anstieg von psychischer Erschöpfung, Isolation und vermehrtem Stressempfinden einher.

Ab wann spricht man von einer Überdosis an Homeoffice?
Wenn mehr als drei Tage pro Woche zuhause gearbeitet wird. Verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sowie ständige Erreichbarkeit oder auch digitale Übersättigung in dieser Zeit können Mitarbeitende überstark belasten. Daher ist es eine wichtige Führungsaufgabe, immer im Dialog zu bleiben und die individuelle Situation zu berücksichtigen.

An einer Überforderung der Mitarbeiter sind oftmals auch die Führungskräfte mitschuldig.
Ja. Ein verbreitetes Phänomen ist eine kontraproduktive Führung, entweder in Form von Micromanagement oder Laissez-faire. Die Angestellten fühlen sich dann nicht mehr gesehen und spüren die Führungskraft nicht. Es gilt, eine Atmosphäre aufzubauen, in der Mitarbeitende über ihre Arbeitssituation und die Herausforderungen reden können. Es ist wichtig, dass Führungskräfte ein entsprechendes Klima im Team entwickeln, das Psychological Safety genannt wird. Es beinhaltet, dass die Leute sich sicher fühlen und keine Angst haben, ihre Meinung oder Empfindungen zu äussern. Die Bedeutung von spontanen Begegnungen darf ausserdem nicht unterschätzt werden.

Wie kann man diese in die virtuelle Welt übertragen?
Um Isolation und Überforderung vorzubeugen, sollten Führungskräfte die Teamarbeit im virtuellen Raum aktiv fördern. Beispielsweise mit regelmässigen Meet-ups, einem Buddy-System im Team oder als Social Events. Und schliesslich gilt es, im Team das Hybrid-Work-Set-up gemeinsam zu definieren und Spielregeln für Arbeit zu entwickeln, etwas über Orte, Zeiten, Kommunikationskanäle oder Erreichbarkeit. Diese sind wichtig, um die Arbeit zu orchestrieren, mögliche Störungen zu reduzieren und möglichst die Vorteile von New Work gemeinsam zu nutzen.

Es braucht also künftig eine neue Art zu Führen. Was gehört da noch dazu, ausser virtuelles Arbeiten zu fördern?
New Leadership bedeutet zunächst einmal, Verantwortung zu übertragen. Dabei beschreibt «Unbossing, aber kein Laissez faire» den Balance-Akt zwischen Verantwortungsübergabe, Loslassen, aber gleichzeitigem Ermächtigen, damit Mitarbeitende die gewonnenen Freiheiten eigenständig nutzen können und nicht unter einer «Nichtführung» leiden, in der es keine Orientierung gibt. Darüber hinaus wird Leadership vor allem zur Emotionsarbeit. Und zwar vor allem rund um zwei Themen: Erstens die Inspiration, sodass Menschen sich emotional verbunden fühlen, begeistert sind und den Sinn ihrer Arbeit sehen. Dies ist umso wichtiger, wenn sie virtuell arbeiten. Und zweitens gilt es, bei virtueller Zusammenarbeit den Zusammenhalt und das Wir-Gefühl besonders zu stärken.

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Das Wir-Gefühl kann beispielsweise auch mit dem gemeinsamen Definieren von Zielen erreicht werden, oder?
Richtig. Und zwar sollten Führungskräfte bei New Work explizit zwei Ziele fördern: Effizienz und Innovation. Besonders Innovationen können bei einem hohen Anteil an virtueller Zusammenarbeit auf der Strecke bleiben, weshalb die gleichzeitige Förderung eines Effizienz- und eines Kreativitätsfokus elementar ist. Zunehmend wichtiger wird aber auch eine gesunde Führung.

Gesund?
Damit es bei den gesteigerten Anforderungen nicht zu einer Überforderung und Überhitzung der Angestellten kommt, sollte die Förderung der Gesundheit ein fester Bestandteil der Führungsaufgabe sein. Dazu gehört z. B. eine Stärkung der Resilienz, eine Vermeidung der Beschleunigungsfalle oder eine Förderung von Boundary-Management, also die Fähigkeit, Arbeit und Privatleben zu trennen.

Und wo lernen Arbeitgeber und Vorgesetzte diese neue Art von Leadership? Die Situation ist ja für alle neu.
Das Lernen sollte im Unternehmen gemeinsam in Angriff genommen werden – vom Top-Management über die HR bis hin zu jeder einzelnen Führungskraft und den Angestellten. Damit die Dringlichkeit des Wandels allen bewusst wird, sollte zunächst aufgezeigt werden, warum neue Führungskompetenzen wichtig sind. Ausserdem gilt es, den Way of Leadership im Unternehmen neu zu definieren, wiederum am besten in einem gemeinsamen Dialog. Das kann und sollte ein sehr schöner Prozess sein, der Energie und Mut für die Zukunft gibt. Denn eines ist sicher: Führung wird anspruchsvoller und deutlich wichtiger.

«Wichtig ist, dass New Work nicht zu einer Eliteveranstaltung wird.»

Werden Unternehmen, die auch regelmässiges Homeoffice ermöglichen, bei der Rekrutierung von Mitarbeitern künftig die Nase vorn haben?
Definitiv. Unsere St.Galler «New Work & Culture»-Längsschnittstudie mit mehr als 93 000 Befragten aus über 300 Unternehmen zeigt seit 2016 einen ganz klaren Trend: Erwartungen v. a. der jüngeren Generationen bezüglich mobil-flexiblem Arbeiten sind massiv gestiegen, gehen nicht mehr weg und sind entscheidend für das Engagement, die Arbeitgeberattraktivität und die Wahl des Arbeitgebers. Neben New Work ist vor allem die sogenannte New Culture entscheidend, also eine Vertrauenskultur, moderne Führung, dezentrale Strukturen und ein Top-Management, das modernes Arbeiten vorlebt. Was früher als «nice to have» angesehen wurde, ist heute existenziell.

Wie lange wird es dauern, bis diese neue Arbeitswelt zur Normalität geworden ist?
Das Etablieren von New Work und New Culture mit dem Herzstück Hybrid Work hängt zwar von der Change-Bereitschaft der Unternehmen ab. Gleichzeitig besteht aber eine erhöhte Dringlichkeit. Unternehmen sollten diesem Thema deshalb genau jetzt höchste Priorität einräumen! Denn nun, wo die post-pandemische Zeit angebrochen ist und bezüglich Zeit und Ort wieder Möglichkeiten bestehen, Arbeiten zu gestalten, sollten Unternehmen das Thema proaktiv und systematisch angehen. In diesem besonderen Zeitfenster lässt sich Aussergewöhnliches erreichen. Gleichzeitig wird insbesondere die Kulturtransformation einige Zeit in Anspruch nehmen und ein nachhaltiger Kulturwandel künftig eine fortlaufende Verbesserung beinhalten. Wie ein Fitness-Programm für ein modernes Hochleistungsunternehmen.

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