Aluminium ist nichts anderes als gespeicherte Energie
Energie gäbe es eigentlich genug, wenn die Sonne als quasi unbegrenzte Energiequelle genutzt werden könnte. Die meiste Sonnenenergie fällt jedoch im Sommer an, brauchen würden wir sie im Winter. Dann wollen wir heizen, weil die Sonne eben nicht scheint.
Ein Problem, das auch Michel Haller, Leiter Forschung des SPF Institut für Solartechnik an der OST, nicht kalt lässt. «Die saisonale Speicherung ist der Knackpunkt der Energiewende», sagt er. Kostengünstig und konkurrenzfähig Solarstrom produzieren könne man längst, nächstes Jahr koste ihn der Strom aus dem Netz fast 30 Rappen pro Kilowattstunde, die Amortisierung der Solaranlage auf dem eigenen Dach kostet elf Rappen pro Kilowattstunde. «Strom aus meiner Solanlage ist günstiger, aber er kommt nur am Tag, und es kommt weniger im Winter. Der Ausgleich vom Tag in die Nacht ist nicht so schwierig», sagt der Forscher, «aber vom Sommer in den Winter zu verlagern mit vertretbaren Kosten, da haben wir noch ein Problem.» Ein Problem, für das Michel Haller eine spannende Lösung parat hat.
Um das Energiesystem Schweiz mit den fehlenden saisonalen Speichern zu ergänzen, könnte man durchaus die bisher einzige Technik einsetzen: Stauseen in den Bergen, die Wasser bis in den Winter zurückhalten und es dann zur Stromproduktion nutzen. «Davon haben wir jedoch nicht genug» erklärt Michel Haller. Er weist auch darauf hin, dass solche Konzepte oft auf den Widerstand der Bevölkerung stossen.
Als Alternative es zu Stauseen gäbe es auch die Option, sehr grosse thermische Speicher zu bauen. Aus diesen lässt sich dann aber im Winter nur Wärme gewinnen. «Wärme ist wichtig, 50 Prozent unseres Energiebedarfs im Winter ist Wärme, wir hätten aber auch gerne Strom im Winter.»
Die ideale Lösung
Deshalb werden auch Power-to-Gas-Lösungen propagiert: Per Elektrolyse, also mit Strom, wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten, der Wasserstoff wird gespeichert. Aber: «Wasserstoff hat eine sehr geringe Energiedichte», hält Michel Haller fest. Pro Kilogramm gerechnet habe Wasserstoff durchaus eine interessante Energiedichte, «aber es ist ein Gas, pro Volumen ist die Energiedichte extrem gering». Deshalb müsste man Wasserstoff mit beträchtlichem Aufwand unter enormen Druck von 300 oder 600 bar setzen oder verflüssigen, um ihn zu speichern. «Dies führ zu Zusatzaufwand respektive zu höheren Kosten und zu Effizienzverlusten.»
Viel schöner wäre für den Forscher ein Feststoff, idealerweise mit hoher Energiedichte, einfach zu transportieren und nicht brenn- oder entzündbar ... «Und da bietet sich Aluminium an!»
Aluminium hat ökologisch einen nicht sehr guten Ruf – weil man sehr viel Energie reinstecken muss, um aus dem Rohstoff Bauxit zuerst Aluminiumoxid und dann Aluminium zu herzustellen. «Wenn aber die Energie, die man reinsteckt, erstens erneuerbar respektive ‹sauber› ist und zweitens da- nach im Material gespeichert wird und nicht verloren geht, dann ist das ja genau das, was wir suchen», erklärt Michel Haller schmunzelnd. «Ein Material, in das ich pro Kilogramm oder pro Kubikmeter sehr viel Energie reinstecken und aus dem ich diese Energie später wieder zurückholen kann.»
Wenn man Aluminium mit heutiger Technik produziert, dann werden etwa 55 Prozent der in der Herstellung aufgewendeten Energie tatsächlich im Aluminium chemisch gespeichert. «Wenn man das Aluminium später oxidiert, dann wird diese Energie wieder frei. Das funktioniert tatsächlich.» Und die Effizienz liesse sich wohl noch steigern, Experten rechnen mit bis zu 65 Prozent.
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Strom aus Recycling-Aluminium
In verschiedenen Forschungsprojekten werden nun zwei Ansätze verfolgt: Zum einen arbeiten die Wissenschafter mit den Produzenten von neuem Aluminium zusammen, zum anderen verfolgen sie Recycling-Ströme von Aluminium.
Für den Ansatz, bereits produziertes Aluminium aus Recycling-Strömen zur Energiegewinnung zu verwenden, leitete Michel Haller das gerade abgeschlossene Projekt AlEnCycles, an dem sich auch das Gossauer Unternehmen Solenthaler Recycling AG mit Know-how und finanzieller Unterstützung beteiligte. «Unsere Firma definiert sich über Innovation», sagt Geschäftsführer Christoph Solenthaler, deshalb habe das Unternehmen schon öfters mit Fachhochschulen oder Universitäten Projekte realisiert. Die Verwendung von Aluminium zur Energiegewinnung und Energiespeicherung würde zukünftig gerade auch für stark legiertes Aluminium oder schwerst sortierbare Gemische eine gute Verwendung bieten: «Das Projekt könnte ein sinnvoller Beitrag zum Schliessen von Kreisläufen sein», hält Solenthaler fest.
Ausrangierte Motoren aus Aluminium
Interessant wären vor allem ausrangierte Motorblöcke aus Aluminium, vor allem aus der Fahrzeugtechnik. Christoph Solenthaler hat die Forscher darauf aufmerksam gemacht, dass die meisten heutigen Fahrzeuge mit einem Aluminium-Motor ausgerüstet sind. Diese Aluminium-Legierungen mit Silicium können für neue Verbrennungsmotoren, nicht aber für die Elektromobilität verwendet werden.
«Wenn wir nur schon die in der Schweiz in den nächsten 30 oder 40 Jahren anfallenden ausrangierten Motoren nutzen könnten, wäre das ein beträchtlicher Beitrag», ist Michel Haller überzeugt.
Dezentrale Energiegewinnung
Die im Aluminium gespeicherte Energie kann dezentral nutzbar gemacht werden. «Unsere Experimente zeigen, dass man das im sehr kleinen Massstab machen kann, wohl auch in der Grösse für ein Einfamilienhauses», erklärt Michel Haller. In der Praxis könnte dies so aussehen: Das Material wird aufgeschmolzen und in Form von kleinen Kügelchen, als Granulat, den Verbrauchern ins Haus gebracht, so wie jetzt auch Holzpellets nach Hause geliefert werden. Im Keller des Einfamilienhauses steht eine kleine Anlage, die das Aluminium kontrolliert oxidiert und so Wärme und Wasserstoff freisetzt.
Die Wärme kann direkt genutzt werden zum Heizen eines Hauses, erklärt Forscher Haller, «mit dem Wasserstoff können wir in einer Brennstoffzelle nochmals einen Teil Wärme sowie Strom gewinnen». Über die Art der Oxidation liesse sich der Anteil Strom steuern. «Wir sind zuerst den einfachsten Weg gegangen und sagten uns: Wie gross der Anteil Strom ist, ist sekundär – Hauptsache, wir können die Energie verwenden», sagt Haller und verweist darauf, dass 50 Prozent des Energiebedarfs der Schweiz Wärme sei, im Winter ist der Anteil der Wärme sogar noch deutlich höher.
Verunreinigte Rückstände
Zurück bleibt in der Anlage oxidiertes Material, das der Aluminium-Lieferant wieder zurücknehmen würde. Für die Verbraucher ist es egal, ob sie neues Aluminium oder Recycling-Material zur Energiegewinnung verwenden. Das AlEnCycles-Projekt hat aufgezeigt, dass die Energiegewinnung beim nicht reinen Recycling-Material sogar noch etwas besser funktioniert.
Für die Wiederverwendung ergeben sich daraus aber Probleme. Das entstehende Aluminiumhydroxid aus der Reaktion von Recycling-Material ist nicht rein, sondern hat alle möglichen Legierungs-Bestandteile drin. Soll dieser Rohstoff nun wieder in die traditionelle Aluminium-Produktion zurückgeführt werden, muss er vorher aufgereinigt werden.
Aus dem Aluminiumhydroxid wieder Aluminium herzustellen, dies ist dann definitiv ein Prozess in industriellen Dimensionen.
Keine Alu-Produktion mehr in der Schweiz
Allerdings gibt es in der Schweiz seit einiger Zeit gar keine Hersteller mehr für Primär-Aluminium, auch wenn die Wiege der europäischen Aluminium-Produktion am Rheinfall stand und später traditionsreiche Werke im Wallis gebaut wurden. Hier gibt es nur noch Verarbeiter und Veredler. Aus diesem Grund arbeiten die Forscher rund um Michel Haller mit Forschern und Firmen mit Aluminium-Kompetenzen aus Island zusammen.
Das Konzept für die Energiespeicherung in Aluminium wurde vom SPF Institut für Solartechnik der OST initiiert. «In Europa waren wir die Ersten, die das Konzept der Strom- und Wärmeversorgung von Gebäuden mit diesem Konzept verfolgten. Unterdessen gibt es andere, die aufspringen», sagt Michel Haller. Sein Institut hat inzwischen verschiedene Projekte angestossen. Für die Umsetzung hat die Fachhochschule jeweils sowohl Partner in Europa als auch in der Schweiz gesucht. Der Weg zu einem wichtigen Partner ist nicht weit: Das Institut für Umwelt und Verfahrenstechnik Umtec der OST ist wie das SPF in Rapperswil domiziliert.
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EU-Projekte auf Umwegen
Während das abgeschlossene Projekt mit Recycling-Aluminium vom Bundesamt für Energie unterstützt wurde, verfolgt die OST ein aktuelles Projekt im Rahmen des Forschungs-Förderungsprogramms Horizon Europe der EU. Eigentlich wollte die OST auch im aktuellen Projekt die Rolle des Koordinator und damit des formellen Projektleaders übernehmen. «Wir hatten den Antrag geschrieben und das Team zusammengestellt», erzählt Haller. Inzwischen ist die Schweiz aber nach dem Abbruch der Verhandlungen für einen Rahmenvertrag mit der EU aus Horizon rausgefallen, «die Spielregeln haben sich geändert».
Die OST kann dadurch nicht mehr Koordinator sein und bekommt auch kein Geld aus dem EU-Topf. «Wir können nur noch als Drittstaat mitmachen und müssen eine Eigenfinanzierung mitbringen.» Dieses Problem wird glücklicherweise durch die Schweizer Behörden abgefedert: Die Schweiz zahlt nun nicht mehr in den Horizon-Topf ein, sondern zahlt dieses Forschungsgeld direkt denjenigen Schweizer Forschern und Unternehmen, die mit europäischen Partnern in Horizon-Projekten arbeiten wollten.
Diese Karte hat die OST erfolgreich gezogen. «Aber wir mussten andere Partner suchen, die koordinieren und den Antrag einreichen», erklärt Haller. Nun sind die Isländer eingesprungen und koordinieren das Projekt. Der technische Lead liegt aber weiterhin bei der Fachhochschule OST. Für die Reputation wäre es hilfreich gewesen, die OST als Koordinator des Projekts anzuerkennen. Haller ist aber froh, dass das Projekt überhaupt zustande kam. Im Juli traf man sich zum Kick-off-Meeting in Reykjavík, nun wird für vier Jahre weiter geforscht.
CO2-freie Aluminiumherstellung
In der traditionellen Aluminium-Produktion werden seit über 100 Jahren Kohle-Elektroden eingesetzt. Das ist für die Nachhaltigkeit des Prozesse ein Problem: In der Schmelzelektrolyse verbindet sich der Sauerstoff vom Aluminiumoxid mit dem Kohlenstoff der Kohle-Elektrode und wird zu Kohlendioxid, dem unerwünschten CO2.
Es gibt inzwischen aber neue Technologien, die ohne CO2-Emissionen auskommen. «Diese nutzen wir», sagt Michel Haller, «wir wollen ja nicht die CO2-Emmission vom Heizöl auf die Aluminiumproduktion verlagern.» Aus demselben Grund muss auch der in der Produktion des Aluminiums eingesetzte Strom aus erneuerbaren Quellen, ohne CO2-Emissionen, bereit gestellt werden. Das funktioniert, in Island wird bereits Aluminium CO2-frei mit erneuerbarer Energie aus Wasserkraft im kleinen Massstab produziert, nun neu auch ganz gezielt für Energiespeicherzwecke.
Strom in Aluminium speichern kann man schon jetzt. «Was die Aluminiumhersteller seit je her gemacht hatten, war nichts anderes» betont Michel, «Sie hatten es nur nicht aus dieser Motivation gemacht.» Und man hat es mit einer Technologie gemacht, die CO2 produziert. Jetzt geht es für die Forscher darum, die neue Technologie, die kein CO2 mehr emittiert, im grossen, industriellen Massstab einzusetzen. «Die Isländer und die Kanadier sind dabei mit unterschiedlichen Ansätzen schon sehr weit gekommen.»
Ein neues Produktionsproblem
Im neuen Prozess setzt man Inert-Anoden aus metallische oder keramische Verbindungen oder eine Mischung davon ein. Bei der Produktion von Aluminium wird nicht mehr CO2 freigesetzt, sondern nur noch O2, also Sauerstoff.
Diese neuen Anoden halten ein bis zwei Jahre und damit länger als die traditionellen Kohle-Elektroden, welche nach ein bis zwei Monaten ausgetauscht werden müssen. Allerdings lösen sich die Metalle dieser Anoden und finden sich in der Aluminium-Legierung wieder. Das kann ein Hindernis sein, wenn das Aluminium auf dem Weltmarkt verkaufen werden soll. «Die Kanadier haben angekündigt, diesen Prozess 2024 im grossen Stil auf den Markt bringen zu wollen. Sie sagen, sie hätten das im Griff.» Die Isländer könnten es auch, fügt der OST-Forscher an, «aber noch nicht im industriellen Massstab».
150 Köpfe forschen an der OST im Energiebereich
Bis Ostschweizer KMU und Einfamilienhausbesitzer mit Aluminiumkügelchen heizen, dürfte es noch etwas dauern. Nach dem vierjährigen EU-Projekt – mit einem «richtigen Budget», wie sich Michel Haller freut – sollten die Forscher so weit sein, dass sie einen Prototypen ins Feld stellen können.
Gut möglich, dass bis dann auch andere clevere Ideen aus der Ostschweiz helfen, die Energie für unsere Zukunft zu sichern. Alleine unter dem Dach der Ostschweizer Fachhochschule arbeiten an den drei Standorten St.Gallen, Rapperswil-Jona und Buchs über 150 wissenschaftliche Mitarbeiter an Fragen der erneuerbaren Energien, wie Michel Haller betont: «Klima und Energie ist ein Schwerpunktthema der OST.»
Text: Philipp Landmark
Bild: Gian Kaufmann