«Man muss Konsumenten in die Definition der Marke einbinden»
Daniel Dietrich, Sie sind Direktor des Brand Excellence Circle an der HSG. Wie ist diese Champions League der Marken entstanden?
Vor bald zehn Jahren führten wir an der HSG ein Projekt mit BMW über Markenverhalten und -führung durch. Das weckte Interesse bei anderen Unternehmen, die auf uns zukamen. Mein Kollege Philipp Scharfenberger und ich haben deshalb vom Institut für Marketing und Customer Insight aus den Brand Excellence Circle ins Leben gerufen.
Als eine Art Erfa-Gruppe von Top-Brands?
Der Brand Excellence Circle ist ein Zusammenschluss von Marken, der durch die HSG orchestriert wird und es den teilnehmenden Unternehmen ermöglicht, voneinander zu lernen. 2015 hatten wir fünf Gründungsmitglieder, dabei gingen wir von drei Prämissen aus: Es soll ein Austausch auf Augenhöhe stattfinden, die Treffen sind nicht öffentlich – es sind auch keine Medien dabei –, und es gilt Branchenexklusivität. Deshalb waren wir auch sehr selektiv, als es darum ging, den Brand Excellence Circle mit weiteren Marken zu ergänzen. Heute umfasst er über 30 Brands.
Und mit diesen Marken tauschen Sie sich regelmässig aus?
Wir treffen uns zweimal im Jahr jeweils bei einem Mitglied. Dessen Unternehmen ist Gastgeber des Anlasses, inhaltlich wird er von der HSG kuratiert. Zuerst gibt es einen theoretischen Input, beispielsweise von einem Professor aus unserem Netzwerk, und eine Keynote des Gastgebers. Danach wird in Break-out-Sessions in kleinen Gruppen an bestimmten Fragen gearbeitet. Über die Ergebnisse tauschen wir uns später gemeinsam aus.
Was unterscheidet solche teils weltbekannten Brands von lokalen Marken?
Definitiv das Thema Reichweite. Aber man muss das immer im Kontext sehen; es kann auch lokale ikonische Marken geben. Die Kriterien sind oft dieselben.
Welche Kriterien machen denn eine Marke zu einer Love Brand oder zu einer ikonischen Marke?
Wir können unter drei wesentlichen Kategorien von Markentypen unterscheiden. Das sind zuerst einmal «starke Marken»: Das sind grundsätzlich Marken, die per se einen hohen Wiedererkennungswert haben, die mit positiven Assoziationen aufgeladen sind, die loyale Markenkunden hervorrufen und die prinzipiell den Prozess der Entscheidungsfindung – wenn ich verschiedene Produkte zur Auswahl habe – sehr vereinfachen.
Ich sehe eine bekannte Marke und greife zu?
Je stärker eine Marke «top of mind» ist, desto häufiger wird sie eingesetzt. Nehmen wir Mineralwasser. Das ist weitgehend ein austauschbares Produkt. Perrier oder San Pellegrino haben weltweit, Henniez oder Valser in der Schweiz einen enorm starken Wiedererkennungswert. Was eine solche starke Marke leistet, ist beim Konsumenten eine schnelle Entscheidung herbeizuführen; die Wissenschaft spricht von «Brand Awareness». Gerade in dieser Produktkategorie möchte man nicht überladen werden mit Optionen, sondern schnell ein gutes Produkt finden. Aber ein Konsument ist hier meist nicht emotional an eine Marke gebunden.
Noch nicht?
Das passiert erst in der nächsten Kategorie, den «Love Brands». Aus einer starken Marke kann man einen Love Brand entwickeln, wenn es gelingt, Emotionen hineinzubringen. Das gelingt, wenn ich durch die Verbindung mit der Marke, durch den Konsum eines Produkts positive Emotionen übertragen kann. In der Wissenschaft spricht man oftmals von «Experience Branding», sofern die Marke stark in das Identitätsbild des Konsumenten hineinspielt und dieser positive emotionale Erlebnisse mit einer Marke verbindet. Ein Konsument identifiziert sich also mit der Marke, und sie hilft wiederum, die Identität des Konsumenten zu formen – im Idealfall entsteht eine Art Liebesbeziehung zur Marke.
Ein Armani-Anzug hilft der Positionierung des Trägers.
Genau. Und in diesem Moment entwickelt man eine positive Emotion gegenüber der Marke, weil man sich mit der Marke nach aussen präsentiert. Das reicht von Apple über Harley-Davidson bis Nike. Und das sind dann Love Brands.
Und in der dritten Kategorie wird das noch übertroffen?
Man kann tatsächlich noch einen Schritt weitergehen, dann sind wir bei sogenannten «ikonischen Marken». Ein Love Brand kann sich zu einer ikonischen Marke weiter entwickeln, wenn er sich über die Zeit etabliert hat, Kontinuität mit hineinkommt und die Marke in einer Kultur fest verankert wird. Das ist ein Kernelement.
Es gibt Marken, die zum Synonym für ein Produkt wurden – wie Tesafilm, Walkman oder Jeep.
Genau dann sprechen wir von ikonischen Marken. Unser Ziel beim Brand Excellence Circle war es zu Beginn, primär ikonische Marken anzuziehen und miteinander in den Austausch zu bringen. Das sind oft Marken, die für eine ganze Produktkategorie stehen, wie Nivea oder Tempo, Adidas oder BMW. Hier sieht man auch die kulturelle Verankerung: BMW ist stark verwurzelt im süddeutschen Raum, die Marke steht für Bayern, sie ist ein Aushängeschild.
Lohnt sich Markenpflege hauptsächlich dann, wenn ich mich von Mitbewerbern differenzieren muss?
Definitiv. Wobei die Unterscheidung von Mitbewerbern nicht nur in der eigenen Produktkategorie erfolgen muss. Ich kann nicht nur entscheiden, mit welcher Airline ich von Zürich nach Paris fliege – ich könnte auch mit dem Zug oder mit einem Bus statt mit dem Flugzeug reisen. Auch ein kommunaler Verkehrsverbund muss sich gegen andere Mobilitätsarten wie Privatauto, Velo oder Scooter durchsetzen.
Ihre ikonischen Marken im Brand Excellence Circle sind auch oft Brands mit einer langen Geschichte. Kann eine traditionsreiche Marke gleichzeitig cool sein?
Im Brand Excellence Circle haben wir mit grossen, ikonischen, etablierten Marken angefangen – BMW, Ikea, Hilti, Telekom, Adidas. Wir haben aber gemerkt, dass es wichtig und enorm inspirierend ist, von jungen, neuen Marken zu lernen. Die jungen Brands können von den etablierten lernen: Wie führt man eine Marke über die lange Zeit? Und die Traditionsunternehmen können von den jungen Marken lernen, wie man sich schnell an den Markt anpassen kann. An den Breakout-Sessions versuchen wir immer, Traditionsmarken mit jungen, aufstrebenden Marken zusammenzubringen. So entsteht eine unglaubliche Lernbasis.
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Sind denn die Rezepte austauschbar? Was hat ein kaum bekanntes Start-up, das seine Identität noch problemlos wechseln kann, mit einem Traditionsunternehmen mit einem klar definierten Markenkern gemeinsam?
Traditionsmarken werden oftmals geführt wie ein grosses Kreuzfahrtschiff: Man hat eine Richtung und muss sich bemühen, auf Kurs zu bleiben. Jüngere Marken werden eher wie ein Speedboot geführt – man kann und muss teils schnelle Kurswechsel machen. Diese Aufteilung hat ihren Sinn. Doch die etablierten Marken müssen sich agiler aufstellen, um in der schnelllebigen Zeit bestehen zu können. Und die kleinen Marken müssen stärker mit einer Vision, mit einer Strategie, arbeiten, in welche sie ihre Agilität integrieren.
Regionale Marken sind oft zufällig und unbewusst gewachsen. Müssen sie auch Markenpflege betreiben?
In der Regel haben sie andere Sorgen und keine Ressourcen dafür. Als lokales Unternehmen muss man sich zuerst einmal bewusst sein, was der eigene Markt ist. Man sollte nicht zu gross denken, sondern wissen: Wer ist die Kundengruppe, wo möchte man Brand Awareness schaffen? Will die Firma in der Stadt St.Gallen bekannt sein? Im Kanton? In der ganzen Schweiz? Oder im DACH-Raum, in Europa, auf der ganzen Welt? Das muss man erst einmal klar definieren. Und dann überlegen: Was braucht es, um in diesem Zielsegment wirklich Awareness auszulösen, damit ich wiedererkannt werde?
Was muss ein Unternehmen tun, um lokal erfolgreich zu sein?
Wenn man in St.Gallen bekannt sein will, muss das Produkt an den dafür relevanten Verkaufspunkten sichtbar und erhältlich sein. Es muss auch in den lokalen Medien auftauchen; die Marke sollte an lokalen Events präsent sein, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Wenn der Brand in der Lage ist, lokale Influencer, Köpfe, die in Rapperswil, St.Gallen oder Frauenfeld bekannt sind, für sich zu gewinnen, dann bringt das die lokale Awareness.
Das klingt einfach und logisch.
Trotzdem neigen viele kleine, junge Firmen dazu, sofort nach den Sternen zu greifen. Sie versuchen, über digitale Marketing-Möglichkeiten, über Soziale Medien das Ganze zu gross zu spielen, obwohl der Markt, den sie bedienen – den sie überhaupt bedienen können – sehr lokal ist. So kann dann schnell eine Verwässerung der Marke entstehen.
Kann man zuerst die Marke bilden und dann ein Produkt hinzufügen?
Nein. Im Grunde benötigt man, um eine starke Marke aufzubauen, zuerst das Produkt oder eine Dienstleistung in einer Qualität, die dem beabsichtigten Markenversprechen gerecht wird. Wenn sich die Qualität mit dem deckt, was die Marke kommuniziert, bekommt man eine Basis an zufriedenen Kunden. Wenn man diese Zufriedenheit über die Zeit beibehalten kann, erzeugt man eine starke Marke. Die Herausforderung dabei: Es gibt immer Hochs und Tiefs, und man muss sich auch durch die Tiefs manövrieren, um die Zufriedenheit des Kundenstamms langfristig zu behalten.
Wie weit kann man einen Markenkern überhaupt definieren? Wenn man Leute in der Schweiz nach der Stadt St.Gallen fragt, hört man Klischees: Bratwurst – ohne Senf! und Olma. Vielleicht noch: Fussball und Stickerei. Soll man darauf aufbauen oder kann man versuchen, etwas anderes zu kreieren?
Das hängt sehr von der Markenstrategie ab: Wo möchte die Stadt hin? Wie möchte sie gesehen werden? Es gibt zwei Konzepte, die man häufig in der Wissenschaft sieht: «Brand Identity» und «Brand Image». Diese sollten separat betrachtet werden, sind aber beide notwendig. Viele Unternehmen starten mit der Brand Identity, daher mit der Frage, wofür die Marke aus ihrer Sicht steht. Da kann man schnell einen Markenkern definieren: Wir möchten als Stadt St.Gallen für gewisse Werte stehen. Was aber oft vergessen wird: Dass man die andere Seite, das Brand Image, genauso betrachten muss – die Frage, was kommt bei den Konsumenten an? Brand Image beschreibt, was in den Köpfen der Konsumenten passiert und welche Assoziationen sie mit einer Marke verbinden.
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Die Konsumenten widersetzen sich also dem Wunschdenken der Marke?
Um dies möglichst pragmatisch herauszufinden, kann der «Brand Association Test» angewendet werden. Das geht recht schnell: Man nimmt eine Gruppe an Leuten, nennt oder zeigt eine Marke und fragt nach den ersten Assoziationen, die ihnen in den Sinn kommen. Die ersten drei bis fünf Begriffe. Dann vergleicht man diese mit der Brand Identity. Dabei herrscht dann oft eine Diskrepanz zum Brand-Image vor. Sinnvolle Markenführung bedeutet, mit diesem Unterschied zu arbeiten und Anpassungen auf der einen oder anderen Seite zielorientiert vorzunehmen.
Man könnte eine Marke also der Sichtweise von aussen anpassen.
Man hat zwei Veränderungsoptionen. Man adaptiert den Markenkern, für den man stehen möchte, und passt diesen dem Brand Image an. Das wird aber selten getan, weil Markenführung häufig recht festgefahren und beharrend ist. Es ist auch meist mit hohen Kosten verbunden. Aber es wäre nicht selten die bessere Strategie! Die Zeit verändert sich, das Marken-Bild ist vielleicht aus der Zeit gefallen – dann müsste man hier Anpassungen vornehmen. Am Markt sieht man aber mehr die andere Variante, um die Differenz zu bereinigen: Man glaubt, es liege an der Kommunikation, also behält man den Markenkern, versucht aber eine andere Ansprache, ändert die Kanäle. Das hilft wenig, wenn der Grund nicht in der Kommunikation liegt, sondern daran, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat.
Bei der Markenführung kann man offensichtlich so einiges falsch machen.
Ja, zu wenig in den Markt hineinzuhören, nicht zuzuhören, zu wenig Bereitschaft für Veränderung mitzubringen, eine Marke zu statisch zu sehen, zu fixiert sein auf das eigene Wunschdenken … In dynamischen Zeiten geht es darum, mit Veränderungen umgehen zu können – und auch: Kontrolle abzugeben.
An wen?
Man muss heute die Konsumenten, Nutzer, Endanwender in die Definition der Marke mit einbinden. Das sind Eigenschaften, die Manager lernen müssen. Das Brand-Image wird häufig vernachlässigt. Oft fehlt es auch an der Bereitschaft oder an den Möglichkeiten, Veränderungen schnell genug herbeizuführen. In der Wissenschaft untersuchen wir dieses Phänomen aktuell am Institut für Marketing und Customer Insight (IMC-HSG) unter den beiden Stichwörtern «Contested Brands» und «Brand Antifragility».
Sie sind ständiger Dozent an der HSG, die auch für sich eine Marke ist.
Ja, die HSG ist für mich eine unglaublich starke Marke, die sich hier in St.Gallen aufgebaut hat: die führende Wirtschaftsuniversität im europäischen Raum. Was ikonische Marken und Love Brands ausmacht, ist Kontinuität. Wir sitzen hier gerade für das Interview im Square, und um uns herum sieht man eindrucksvoll, wie viele Alumni sich am Bau dieser neuen Lernräumlichkeiten beteiligt haben. Schon allein daran erkennt man die grosse Verbundenheit in die HSG als absoluten Love Brand!
Was macht die HSG in der Ostschweiz so besonders?
Die Verbundenheit geht weit über den finanziellen Aspekt hinaus. Die Alumni wollen das, was sie vor einiger Zeit an der HSG mitbekommen haben, nun wieder zurückgeben. So etwas gelingt nicht vielen anderen Marken. Die HSG hat deshalb in der Ostschweiz einen ganz besonderen Stellenwert als ikonische Marke. Darum bin ich auch sehr stolz darauf, hier unterrichten zu dürfen.
Text: Philipp Landmark
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer