Nachfolgeregelung: «Structure follows Strategy»
Text: Patrick Stämpfli
Warum wird es immer schwieriger, das Unternehmen in der eigenen Familie weiterzugeben? «Wir stehen mitten in einem demografischen Wandel; so gelangt oder ist z. B. die Generation der Babyboomer im Prozess der Pensionierung und damit auch der Übergabe», sagt Rolf Brunner. Gleichzeitig sei aber die nachfolgende Generation oft schlicht und einfach noch nicht bereit, zu übernehmen. Gründe dafür gebe es zuhauf.
Last oder Chance?
Ralf Schröder zählt einige davon auf: «Ein wesentlicher Grund liegt direkt bei den Kindern der Unternehmerfamilien. Diese haben viel mehr Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten und Veranlagungen zu entwickeln als die Generation der heutigen Übergeber. Die potenziellen Nachfolger haben heute die Wahl, eine eigene Karriere aufzubauen oder den elterlichen Betrieb zu übernehmen.»
Die Übernahme des elterlichen Betriebs werde häufig nicht als Chance, sondern als Last empfunden. Die Angst vor der Verantwortung und vielleicht auch die Angst, die Herausforderung nicht zu bestehen, verhindert dann eine Übernahme.
Louis Grosjean glaubt nicht, dass es immer schwieriger werde, wenn der Wille da ist. Die Weitergabe in der eigenen Familie scheitere am meisten daran, dass die junge Generation nicht übernehmen will oder kann, ist aber auch er überzeugt. «Dabei können nicht-übernehmende Geschwister dem übernehmenden Kind das Leben schwer machen, wenn das elterliche Vermögen für eine erbrechtskonforme Verteilung unter den Geschwistern nicht ausreicht.»
Wird die Nachfolgeplanung innerhalb von Familienunternehmen also immer komplexer? Ja, ist Louis Grosjean überzeugt: «Je mehr Regulierung und Verrechtlichung wir in der Wirtschaft erleben, desto höher wird auch diese Hürde». Wirtschaftliche Verwerfungen oder Chancen gebe es heute wie gestern – «da sehe ich nicht mehr Komplexität».
Aktuell hätten es aber kleine Unternehmen mit Alltagsbedarfsorientierung schwer: traditionelle Restaurants, kleine Läden und Dienstleister wie Coiffeur-Salons, Metzgereien, Bäckereien. «Es kann am weniger gefragten Geschäftsmodell, an gestiegenen Lebenshaltungskosten oder an fehlenden fachlich qualifizierten Nachfolgern liegen.»
Schwieriges Umfeld, schwierige Übergaben
Ralf Schröder sieht es ähnlich: «Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Umfeld für die meisten KMU in den letzten zehn bis 15 Jahren massiv kompetitiver geworden ist. Die Internationalisierung mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins kostengünstigere Ausland und die technologisch-digitale Entwicklung führen zu einem Preisdruck.
Gleichzeitig sind immer weniger Fachkräfte verfügbar, was zu zunehmendem Kosten- und Leistungsdruck führt.» All dies habe zur Folge, dass das Anforderungsprofil für potenzielle Übernehmer deutlich anspruchsvoller wird. «Nicht alle Kinder von Unternehmern haben die Fähigkeiten oder den Willen, sich dieser Aufgabe zu stellen.»
«Die Weltwirtschaft ist in einem labilen Zustand. Dies führt mitunter zu unklaren Zukunftsvorstellungen», gibt Rolf Brunner zu bedenken. Damit werde der Nachfolgeprozess lethargisch und fördere potenzielle Wertverluste der Familienunternehmung, da nicht proaktiv gehandelt werde. «Der Übergebende hat keinen Ansporn mehr zu Investitionen, zu Innovationen und v. a. unternehmerischer Dynamik.»
Und welche Rolle spielen neben den wirtschaftlichen kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen bei der Herausforderung, Unternehmen in der Familie weiterzugeben? Ralf Schröder gibt ein Beispiel: «Seit fünf Jahren begleite ich den Nachfolgeprozess eines grösseren Malergeschäfts. Speziell an dieser Lösung ist, dass eine Tochter das Unternehmen vom Vater übernimmt. Für eine junge Frau ist es immer noch schwierig, sich in der – nach wie vor – männerdominierten Baubranche durchzusetzen. Sie muss fachlich besser sein, um sich zu behaupten. Daher mussten wir in der Vorbereitung mehr Zeit in die Aneignung von fachlichen Fähigkeiten investieren.»
Die Nachfolgerin hat etwa das Malermeister-Diplom im Nachgang zum Uniabschluss erworben. Des Weiteren musste auch die Führungsorganisation angepasst werden. «Anstelle eines 60- bis 80-Stunden-Wochenpensums muss es zukünftig auch möglich sein, eine Baby-Pause einzulegen und mit einem reduzierten Pensum das Unternehmen zu führen.»
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Mehr Fokussierung!
Rolf Brunner weist auf einen weiteren wichtigen Punkt hin: «Das Generationenmanagement erfolgt zu wenig fokussiert», ist er überzeugt. Daher mangle es oft an einer wesentlichen Konkretisierung: Es werde wenig bis gar nicht geplant und man getraue sich nicht, zu initiieren. «Dies wiederum führt zu Verzögerungen u. a. in der monetären Absicherung des Übergebenden.»
Und Louis Grosjean ergänzt: «Der Megatrend der zunehmenden Selbstbestimmung spielt auch eine Rolle. Die Selbstverständlichkeit, dass ein Kind das Familienunternehmen übernimmt, nimmt in der Gesellschaft an Bedeutung ab. Jeder hat das Recht auf einen eigenen Lebensplan. Das muss man in der Familie früh und explizit aufnehmen.»
Welche strategischen Ansätze oder bewährten Praktiken empfehlen die Profis also Familienunternehmen, um eine erfolgreiche Übergabe zu gewährleisten? Rolf Brunner muss nicht lange überlegen: «Bitte keine einseitige Problembetrachtung und Beratung. Denn: Viele Unternehmensnachfolgeprozesse scheitern nach kurzer Zeit, wenn die in Anspruch genommene externe Beratung sich nicht konkret auf konzeptionelle, strategische, zwischenmenschliche und betriebswirtschaftliche Faktoren konzentriert. Es gilt: Structure follows Strategy – nicht umgekehrt. Es braucht Führung: Man muss die – gekochte – Spaghetti ziehen, nicht stossen.»
«Der Übergeber sollte nicht seine persönlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen, sondern die Bedürfnisse seines Unternehmens», empfiehlt Ralf Schröder. «Welche Herausforderungen muss das Unternehmen meistern, um mittelfristig erfolgreich zu sein? Welche Fähigkeiten muss der Übernehmer oder die Übernehmerin einbringen? Ist bei ihm oder ihr die Bereitschaft für ein überdurchschnittliches Engagement vorhanden?»
Unter diesen Gesichtspunkten werde auch das Timing einer Übergabe zu einem kritischen Faktor. Nicht das Alter des Übergebers, sondern das Alter des Übernehmers stehe im Fokus. «Aufgrund der teilweise grossen Altersspannen kann es sein, dass Lösungen innerhalb der Familie gar nicht sinnvoll sind.»
Und Louis Grosjean bilanziert: «Offene Diskussion in der Familie liegt an erster Stelle. Die übergebende Generation muss aber auch klar sagen, wie die Spielregeln sind, und sich dabei auf eine fundierte, erfahrene Drittmeinung abstützen. Wenn beides gegeben ist, steigen die Chancen einer gelungenen Nachfolge in der Familie.»
Text: Patrick Stämpfli
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer, zVg