Fokus Mobilität

«Wenn der Verkehr fliesst, profitieren alle»

«Wenn der Verkehr fliesst, profitieren alle»
Marcel Aebischer
Lesezeit: 4 Minuten

Der Bundesrat will die Funktionsfähigkeit des Nationalstrassennetzes durch Investitionen in Betrieb, Unterhalt und punktuelle Erweiterungen über das Strategische Entwicklungsprogramm (STEP) erhalten. Bis 2030 sollen dazu schweizweit Bauprojekte im Umfang von 11,6 Milliarden Franken realisiert werden. Das Parlament hat im September 2023 den sechs vom Bundesrat vorgeschlagenen baureifen Projekten zugestimmt; darunter auch der dritten Röhre des Rosenbergtunnels in St.Gallen, inklusive der Spange Güterbahnhof. Dagegen ist von mehreren Verbänden das Referendum ergriffen worden; somit stimmt das Volk am 24. November 2024 über das STEP ab. Marcel Aebischer, Präsident der TCS-Sektion St.Gallen-Appenzell Innerrhoden, skizziert, warum die Engpassbeseitigung St.Gallen für die Gallusstadt und die ganze Region wichtig ist.

Marcel Aebischer, können Sie uns einen Überblick über die wichtigsten Punkte der STEP-Abstimmung im November 2024 geben?
Die Nationalstrassen sind überlastet. Die Mobilität kommt zum Erliegen; der Verkehr weicht in die Dörfer und die Agglomeration aus. Mit der Abstimmung entscheidet das Volk, ob Engpässe, Staus und Ausweichverkehr auf unseren Autobahnen abgebaut werden oder nicht. Insgesamt sechs Projekte – zwei am Genfersee, zwei in der Region Bern, je eines in Basel und  in Schaffhausen sowie die Engpassbeseitigung in St.Gallen – sollen diese notorischen Flaschenhälse beseitigen und den Verkehrsfluss normalisieren.

Die «Engpassbeseitigung St.Gallen» besteht aus drei Teilprojekten, oder?
Genau: der Sanierung der Stadtautobahn, dem Bau der dritten Röhre im Rosenberg und dem Zubringertunnel in Richtung Güterbahnhof. Die drei Projekte sind eng aufeinander abgestimmt; einzeln sind sie nicht zu haben. Den «Füfer und s’Weggli» gibt es leider nicht. Es muss klar gesagt sein: Eine Entlastung der Strassen in der Stadt St.Gallen gibt es nur, wenn die Abstimmung im November angenommen wird.

Welche Vorteile sehen Sie denn für die Verkehrssituation in der Gallusstadt, wenn die STEP-Initiative angenommen wird?
Staus auf Schweizer Strassen verursachen Kosten von über drei Milliarden Franken. Der wirtschaftliche Schaden ist auch für die Ostschweiz enorm. Wenn der Verkehr bei uns fliesst, profitieren alle: Die ÖV-Busse erreichen ihr Ziel pünktlich, Ambulanz und Feuerwehr ebenso, Velofahrer und Fussgänger sind sicherer unterwegs. Der Hauptverkehr verschwindet im Boden; die Lebensqualität in den Quartieren steigt.

 

«Eine Entlastung der Strassen gibt es nur, wenn die Abstimmung im November angenommen wird.»

Es gibt aber wohl keine Entwicklung ohne Nachteile …
Das ist so. Es wäre schön, könnte der Tunnel schneller eröffnet werden. Auch die Kosten für den Bund sind hoch. Allerdings wird der Ausbau durch Geld finanziert, das für genau diesen Zweck vorgesehen ist: die Mineralölsteuern. Dieser Fond wurde für den Unterhalt der Strassen erstellt und geäufnet. Das Generationenprojekt ist also nicht auf Steuergelder angewiesen, sondern wird von den Autofahrern selbst finanziert.

Wie wird der TCS St.Gallen-Appenzell Innerrhoden seine Mitglieder für die STEP-Abstimmung mobilisieren?
Wir haben an den Hauptversammlungen der Regionalgruppen, an der Delegiertenversammlung und auch in unserem Magazin wiederholt darüber informiert. Ausserdem engagiert sich der TCS bis zum Schluss an vorderster Front im Abstimmungskomitee.

Und wie den Rest der Bevölkerung? – Schliesslich gibt es aus links-grünen Kreisen heftigen Widerstand gegen die Engpassbeseitigung.
Mit über 63 Prozent stimmte die Bevölkerung der Stadt St.Gallen 2016 der Projektierung für den Zubringer am Güterbahnhof zu. Eine grosse Mehrheit möchte also den Verkehr unterirdisch. – Menschen, die aus ideologischen oder idealistischen Gründen gegen den Ausbau der Mobilität sind, gibt es immer. Ich bin froh, haben wir die besseren Argumente auf unserer Seite.

 

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Apropos Argument: Ein immer wieder gehörtes gegen die Engpassbeseitigung ist, dass «mehr Strassen mehr Verkehr» anzögen. Stimmt das?
Nein! Die Wiederholung dieser immer selben 70er-Jahre-Behauptung macht sie nicht wahrer. Nach dem Bau des heutigen Nationalstrassennetzes zwischen 1960 und 1980 dauerte es etwa 40 Jahre, bis das Netz seine Kapazitätsgrenzen erreicht hatte. Die Verkehrsnachfrage nahm also nicht schlagartig zu, als die Autobahnen neu gebaut wurden, sondern kontinuierlich. Und selbst nachdem der Bau der Nationalstrassen längst abgeschlossen war und die Kapazitätsgrenzen erreicht wurden, stieg die Verkehrsnachfrage weiter an. Dies bedeutet, dass der gestiegenen Verkehrsnachfrage andere Entwicklungen zugrunde liegen (z. B. das Bevölkerungswachstum) als der Ausbau der Strassenkapazitäten.

Als der Rosenbergtunnel (und damit die Stadtautobahn) 1987 in Betrieb genommen wurde, hatte die Schweiz 6,5 Millionen Einwohner, aktuell sind wir bei knapp neun Millionen. Da würde eine dritte Röhre auch rein rechnerisch Sinn ergeben, oder?
Natürlich. Der dritte Rosenbergtunnel wird eine erhebliche Entlastung bringen. Vor allem aber ist er unbedingt notwen-dig für die Zeit während der Sanierung der beiden bestehenden Röhren im Rosenberg. Man stelle sich vor, was es für die Quartiere bedeuten würde, wenn die Stadtautobahn für die Sanierung der bestehenden Tunnels während vieler Jahre ganz gesperrt wäre …

Wie sehen Sie die langfristigen Perspektiven für die Mobilität in St.Gallen, wenn die STEP-Initiative angenommen wird?
Die Engpassbeseitigung St.Gallen wurde als eines von sechs ASTRA-Projekten in die Finanzierungsphase 2023 aufgenommen. Dies war nur möglich, weil erstens die Verkehrszahlen in St.Gallen eine klare Sprache sprechen und zweitens das Projekt ausgereift ist. Mit der Eröffnung der neuen Tunnel, verschwindet die Mobilität wieder unter dem Boden, Staustunden werden reduziert und der Lebensraum wird aufgewertet.

 

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Und was passiert, sollte sie nicht angenommen werden?
Wenn sich die Stimmbevölkerung gegen die Sanierung der Infrastruktur ausspricht und Nein stimmt, geht es zurück auf Feld eins. Es gibt keinen Plan B. Für den Spitexdienst, den Handwerker, den Velofahrer oder für die Stadtbevölkerung würde dies Stillstand über Generationen – im wahrsten Sinne des Wortes – bedeuten.

Zum Schluss: Was ich nicht verstehe, ist der verbissene Kampf links-grüner Kreise gegen den motorisierten Individualverkehr. Dieser wird mit Lärm und Gestank begründet. Beides fällt mit den immer mehr werdenden Elektroautos weg. Warum wird immer noch Stimmung gegen das Auto gemacht?
Menschen wollen mobil sein – um andere Menschen zu treffen, um zur Arbeit zu kommen oder um Neues zu entdecken.  Sie reisen mit dem Auto, mit der Bahn oder mit dem E-Bike. Darauf baut die Verkehrsstrategie der Schweiz auf. Sie fördert deshalb den Mobilitätsmix aus Individualverkehr, öffentlichem Verkehr und Langsamverkehr. Die links-grüne Politik hat ihre Verkehrskonzepte nie weiterentwickelt und bleibt in der Vergangenheit stecken. Vermutlich aus ideologischen Gründen hält sie an ihren alten Konzepten fest. Das will ich nicht. Ich will nach vorn schauen und die Richtung vorgeben.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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