Wahltag
Text: Alessandro Sgro, Chief Investment Officer Cronberg AG
Nichts erhitzt in den USA derzeit die Gemüter mehr als die Präsidentschaftswahl zwischen der Demokratin Kamala Harris und dem Republikaner Donald Trump.
Wahljahre haben nicht nur Auswirkungen auf die Gesprächskultur der Menschen, sondern manifestieren sich auch an den Finanzmärkten. Seit der Präsidentschaft von Calvin Coolidge im Jahr 1923 ist der breite amerikanische Aktienindex S&P 500 in Wahljahren durchschnittlich um rund 6.6% gestiegen. In den restlichen Jahren legte der Index durchschnittlich um rund 8.4% zu.
Entgegen der landläufigen Meinung hält sich die Volatilität während Wahl- und Nicht-Wahljahren die Waage. Rund um den Wahltag selbst sind die Schwankungen höher.
Spannend ist auch, was am Wahltag an den Finanzmärkten passiert: Bei der Wahl eines Demokraten legte der S&P 500 durchschnittlich 1.1% zu. Am Tag der Wahl eines Republikaners hingegen sank der S&P 500 um durchschnittlich 0.4%. Offensichtlich erwarten die Finanzmärkte eine positivere Entwicklung der Aktienmärkte mit einem demokratischen Präsidenten.
Die Daten scheinen den Akteuren auf den ersten Blick recht zu geben: Seit der Wahl von Präsident Hoover im Jahr 1929 ist der US-Aktienmarkt unter republikanischer Regentschaft annualisiert um 3.5% gestiegen. Demgegenüber steht ein durchschnittliches annualisiertes Wachstum von 11.6% unter demokratischen Präsidenten. Diese Zahlen überraschen.
Die Rolle des Fiskus
Bei der Art und Weise wie eine Regierung die Aktienmärkte beeinflusst, ist zwischen kurz- und langfristigen Massnahmen zu unterscheiden. Während strukturelle wirtschaftspolitische Massnahmen die wirtschaftliche Tätigkeit eines Landes langfristig prägen, sind kurzfristige Massnahmen meist fiskalpolitischer Natur. Hiermit gemeint sind Staatsausgaben zugunsten der Unternehmen und Haushalte oder die Finanzierung des Staatsaushalts über Steuern.
Diese Massnahmen haben einen direkten Einfluss auf die Konjunktur, da sie kurzfristig bei den Einkommen der Bevölkerung ansetzen. Unter einer demokratischen Regierung betrugen die durchschnittlichen jährlichen Fiskalausgaben seit 1947 zu heutigen Preisen rund 12.4 Billionen US-Dollar. Der entsprechende Wert unter republikanischer Regierung liegt bei rund 11.6 Billionen US-Dollar. Demgegenüber stehen Steuereinnahmen zu heutigen Preisen von durchschnittlich 6.5 Billionen US-Dollar pro Jahr unter demokratischer und 5.9 Billionen US-Dollar unter republikanischer Regierung.
Neben den Summen der Fiskalpolitik ist deren Empfänger von konjunktureller Bedeutung. Zu den grössten fiskalpolitischen Paketen der Demokraten zählen das Great Society Programm unter Johnson, der American Recovery and Reinvestment Act unter Obama oder der American Rescue Plan unter Biden, welche Transferleistungen an die Bevölkerung beinhalteten. Republikanische Pakete setzen – beispielsweise unter Reagan, Bush und Trump – bei der Unternehmensbesteuerung an.
In der Tendenz sind Fiskalausgaben konjunktursensitiver als Steuerpakete, insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche. Fiskalausgaben haben oft schnellere und unmittelbare Auswirkungen auf die Nachfrage und die Beschäftigung, während Steuerpakete eine verzögerte und indirekte Wirkung haben können. Dadurch haben Fiskalausgaben auch den direkteren Effekt auf die Entwicklung am Aktienmarkt.
Die offene Schuldenfrage
Ob durch eine Erhöhung der Fiskalausgaben durch die Demokraten oder Steuerkürzungen durch die Republikaner, die Folge bliebe in den USA langfristig dieselbe: ein defizitärer Staatshaushalt. Mittlerweile beträgt die Staatsverschuldung über 120% der Wertschöpfung. Diese Quote ist für die Finanzmärkte von Relevanz. Die Total Assets der US-Notenbank bestehen derzeit zu rund 60% aus US-Staatsanleihen. Dies wirkt sich negativ auf die US-Inflation sowie den US-Dollar aus.
Doch das Risiko beschränkt sich hierbei nicht nur auf den US-amerikanischen Markt, denn rund 40% der im Ausland gehaltenen US-Staatsanleihen werden in Japan, China, Grossbritannien, Luxemburg und Kanada gehalten, wodurch sich das Risiko auch auf den europäischen und asiatischen Raum ausdehnt.
Weder im Wahlprogramm der Republikaner noch in jenem der Demokraten finden sich Anhaltspunkte, die auf eine Senkung der Staatsverschuldung hindeuten würden, was das Risiko einer wieder aufflammenden Inflation erhöht und die Notenbank stark herausfordert, die Balance zwischen Preisstabilität und positiver wirtschaftlicher Entwicklung zu halten.
Unabhängig vom Ausgang der Wahlen am 5. November 2024 werden sich Anleger mit dem Währungs- und Inflationsrisiko des US-Dollars abfinden müssen. Für Anleger bedeutet dies, dass sie ihre Anlagestrategien gut diversifizieren sollten, um sich gegen mögliche Schwankungen vorzubereiten. Es ist ratsam, auf Anlageformen zurückzugreifen, die einen gewissen Inflationsschutz bieten. Hierzu gehören Realwerte wie Aktien, Immobilien und Edelmetall.
Obwohl Wahlen wichtige Wendepunkte darstellen können, sind es die langfristigen strukturellen Trends, die den Weg der Märkte bestimmen. Anleger, die dies im Blick behalten, sind gut aufgestellt, um nicht nur durch turbulente politische Zeiten zu navigieren, sondern langfristig von starken strukturellen Entwicklungen zu profitieren.
Der Schlüssel liegt darin, Unternehmen im Portfolio zu halten, die dank eines hervorragenden Geschäftsmodells und hoher Innovationskraft in der Lage sind, die relevanten Entwicklungen mit ihrem Angebot an Produkten und Dienstleistungen erfolgreich an den Markt zu bringen.