Nachhaltiger Tourismus zahlt sich aus
In der modernen Gesellschaft haben die meisten Menschen so viel Freizeit wie nie zuvor. Der Drang, diese Freizeit mit Erlebnissen aufzufüllen, ist ungebrochen. Die Coronapandemie hat dazu viel Anschauungsunterricht geliefert: Zwar wurde der globale Tourismus durch Ängste der Reisenden, vor allem aber durch Auflagen und Beschränkungen der Behörden, ziemlich über den Haufen geworfen. Schweizer aber lebten ihren Bewegungsdrang innerhalb der Landesgrenzen aus. Und brachten in der Regel zwei Erkenntnisse mit nach Hause: Helvetien ist ein nahes, aber nicht gerade das günstigste Reiseziel, und: Es ist eigentlich ziemlich schön hier.
Zumindest dort, wo der Massentourismus nicht seine hässlichen Spuren hinterlassen hat. Im Berner Oberland etwa, einer Urzelle des Tourismus in der Schweiz, kann man diese Entwicklung sehen. Gäste aus aller Welt, insbesondere aber aus ganz Asien, kommen in Heerscharen – weshalb der Höhepunkt, eine Fahrt aufs Jungfraujoch, minutiös geplant werden muss, sonst bleibt das Ziel unerreicht. Interlaken als zentrale Tourismus-Drehscheibe ist auch eine Abfolge von Läden für Schmuck und Luxus-Uhren, doch gleich neben Fünf-Sterne-Hotels sind auch ganze Strassenzüge zu schmuddeligen Billigrestaurants-Meilen verkommen.
Die Macht der schönen Bilder
Wer als Tourist viel Geld für eine Reise ausgegeben hat, blendet dies vielleicht aus, sicher ist: Auf Instagram posten Touristen nur schönste Klischee-Bilder. Bekannte Influencer, die auf Einladung und bezahlt durch die Schweiz reisen, wissen ohnehin, was sie ihren Auftraggebern schuldig sind. Manchmal haben eindrückliche Bilder fast schon absurde Folgen. Eine Szene in einer koreanischen Netflix-Serie spielt auf einem an sich unspektakulären Bootssteg in Iseltwald am Brienzersee. Seither reisen unzählige Koreaner in das Dörfchen mit knapp über 400 Einwohnern, um auf dem Steg ein Selfie zu machen. So viele, dass die Parkplätze für Reisecars knapp wurden und Postauto zusätzliche Kurse anbietet. Vor dem Bootssteg bilden sich Warteschlangen. Dieses Phänomen kennt man auch in der Ostschweiz: Unzählige Bilder auf Social Media haben das Berggasthaus Aescher und das Wildkirchli in der Welt bekannt gemacht, und spätestens seit «National Geographic» das Sujet vom an der Felswand angeschmiegten Gasthaus aufs Titelbild hievte, wurde dieser Hotspot vollends überrannt.
Overtourism nimmt zu
Grundsätzlich ist Tourismus überall begehrt, denn Gäste bringen erst einmal Einnahmen. Je erfolgreicher Tourismus an einem bestimmten Ort wird, desto mehr wird er aber auch zur Last. Insbesondere dann, wenn es sich um Tagestouristen handelt, die proportional viel Verkehr auslösen, die in grossen Massen einfallen, gezwungenermassen oft kreativ parkieren, die Abfall hinterlassen und dann schnell wieder weg sind. Damit Billig-Tourismus rentiert, müssen viele Leute angelockt werden: viel Zirkus, aber mit überschaubarer Wertschöpfung. In der Ostschweiz sind solche durch Overtourism geschaffene Unorte noch selten; der Rheinfall ist ein Beispiel, das sich leider in diese Richtung entwickelt. Viel lieber gesehen sind Touristen, die länger als ein paar Stunden bleiben. Allerdings sollte man ihnen dann auch die Chance geben, Geld auszugeben. Touristen, die sich sonntags in die Stadt St.Gallen verirren, wähnen sich oft in einer toten Kulisse; die Türen von Geschäften und Restaurants scheinen alle verrammelt. Die Appenzeller sind da etwas gewitzter. Der namengebende Hauptort von Appenzell Innerrhoden ist gerade am Sonntag eine pulsierende Flaniermeile, das Dorf lebt. Das hat vielleicht auch mit einer Haltung zu tun. Der Präsident von Appenzellerland Tourismus AI, Sepp Manser, hat es im Geschäftsbericht 2021 so formuliert: «So wird es auch in Zukunft zu unseren Pflichten gehören, nicht nur die Kosten zu optimieren, nicht alles zu digitalisieren und zu automatisieren, sondern uns auch bewusst Zeit für den Gast zunehmen, ihm zuzuhören und in die Augen zu schauen. Verlieren wir diese Tugenden, verlieren wir unser Gesicht.»
Nachhaltigkeit lohnt sich
Etwas weniger poetisch kann gesagt werden: Nachhaltiger, qualitativ hochstehender Tourismus zahlt sich früher oder später aus. Daran müssen sich nicht zuletzt jene Destinationen orientieren, die gezwungenermassen ihr Geschäftsmodell ganz oder zumindest teilweise überdenken müssen – tiefer gelegene Wintersportorte. Der Winter 2022/2023, der lange keiner sein wollte, ist nicht der erste Schuss vor den Bug. Wer nur schon in mittleren Lagen einen Skibetrieb in der Hauptsaison sicherstellen will, wird nicht darum herumkommen, dem natürlichen Schnee etwas nachzuhelfen. Aber auch hier ist Nachhaltigkeit ein Kriterium, Wasser und Energie können nicht unlimitiert eingesetzt werden. Künstliche Beschneiung per se abzulehnen wäre freilich kurzsichtig, denn es ist auch nicht nachhaltig, ein Skigebiet nach einem meteorologischen Zufallsprinzip zu betreiben. Die ganze Infrastruktur und die Arbeitsplätze müssen sich refinanzieren lassen. Deshalb kommen die klassischen Wintersportgebiete auch nicht darum herum, sich weitere, schneeunabhängige Standbeine aufzubauen.
Text: Philipp Landmark
Bild: Thomas Hary