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Der kleinste Fisch im Becken

Der kleinste Fisch im Becken
Daniel Müller steht der Ersparniskasse Speicher seit 1991 vor.
Lesezeit: 3 Minuten

In den letzten dreissig Jahren ist der Schweizer Finanzplatz um einige Hundert Institute ärmer geworden – viele davon waren Regionalbanken. Daniel Müller von der Ersparniskasse Speicher weiss, wie man sich als kleinste Bank der Schweiz behaupten kann.

Dutzende von Instituten im ganzen Land liessen sich in den späten 1980er-Jahren vom damaligen Immobilienboom verleiten. Heillos überbewertete Liegenschaften wurden en masse als Sicherheiten für grosszügige Hypothekarkredite akzeptiert. Regional- und Kantonalbanken verliessen ihre Reviere, um in anderen Landesteilen nach Beute (Kreditgeschäften) zu jagen. Die Folgen des Goldrausches liessen nicht lange auf sich warten: Hunderte von kleineren und mittleren Finanzinstituten verschwanden von der Landkarte. Eine Bank, die allen Stürmen in ihrer 203-jährigen Geschichte getrotzt hat, ist die Ersparniskasse Speicher. Mit einer Bilanzsumme von 77 Millionen und einem Jahresgewinn von 100 000 Franken ist sie die kleinste Bank der Schweiz.

«Die kurzen Wege und Bearbeitungszeiten sind eine grosse Stärke.»

Keine EC- und Kreditkarten

Das Kerngeschäft dieses Individuums in der Bankenlandschaft sind das Hypothekargeschäft und die Sparkonten der 1650 Kunden. «Bei uns legen vor allem Privatpersonen aus dem Dorf und der näheren Umgebung ihr Vermögen an. KMU-Konten verwalten wir lediglich eine Handvoll», sagt Daniel Müller, der seit 1991 Geschäftsleiter der Ersparniskasse Speicher ist. Für das Gros der Kunden seien sie eine Zweitbank. Debit- oder Kreditkarten händigt die Kasse keine aus, zu gross wäre der finanzielle Initialaufwand. Seit 15 Jahren besteht für die Bankensoftware ein Lizenzpartnervertrag mit der Hypothekarbank Lenzburg. «Dank diesem Abkommen können auch wir Mobil- und E-Banking anbieten. Die Software, welche die Aargauer Regionalbank anbietet, ist die einzige, die für uns erschwinglich ist», so Müller.

Stiftung, Einzahlungsscheine und Schalter

Die Ersparniskasse Speicher ist nicht nur die kleinste Bank des Landes, sondern auch die einzige, die als Stiftung agiert. Die erarbeiteten Gewinne aus dem klassischen Zinsdifferenzgeschäft werden vollumfänglich den Reserven zugewiesen. Und laut Statuten müssten bei einer allfälligen Liquidation die überschüssigen Gelder einer lokalen, gemeinnützigen Institution zugeführt werden. «Im Dorf und fürs Dorf» ist das Credo, das Daniel Müller und seine zwei Mitarbeiterinnen verinnerlicht haben. Einmal wöchentlich trifft sich Müller mit dem Stiftungsratspräsidenten sowie dessen Stellvertreter und entscheidet über vorliegende Hypothekaranträge. «Wenn es eilt, erhält man so bei uns innerhalb von zwei Werktagen einen Entscheid. Bei uns kann jemand am Schalter neue Einzahlungsscheine verlangen und diese sogleich mit nach Hause nehmen. Die kurzen Wege und Bearbeitungszeiten sind eine grosse Stärke», betont der Bankleiter. Viele ältere Menschen, die Mühe mit digitalisierten Angeboten haben, fühlen sich bei der Ersparniskasse gut aufgehoben und beraten. Mittlerweile ist sie die einzige Schalterbank in der 4400-Seelen-Gemeinde.

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Lokale Verankerung

Stirbt der Ersparniskasse als Nischenbank für Ältere nicht sukzessive die Kundschaft weg? «Dieser Rückschluss liegt nahe, trifft aber nur bedingt zu. Gerade bei Nachlässen beobachten wir häufig, dass Erben die Sparkonten unter neuem Namen weiterführen. Durch unsere starke lokale Verankerung geniessen wir einen Sympathiebonus, den grössere und anonymere Banken nicht haben», resümiert Daniel Müller. Verlockungen wie verheissungsvollen Kreditgeschäften gab die Bank nie nach. Investiert wird in Immobilien, die durch die Ersparniskasse selbst geschätzt werden und deren Besitzer der Stiftungsrat und die Bankleitung meist persönlich kennen. Kunden mit ausländischem Wohnsitz sucht man bei der Ersparniskasse vergebens: Wer ausser Landes zieht, muss sein Konto zwingend auflösen.

Hoher Deckungsgrad

Die Ersparniskasse Speicher existiert seit über zwei Jahrhunderten und musste laut Daniel Müller noch nie einen Franken abschreiben. Seine Kunden sind an Zuverlässigkeit kaum zu überbieten: «Bei den halbjährlich fälligen Hypothekarzinsen hatten wir noch nie einen Zinsausstand, der über 30 Tage hinaus ging.» Diese Reliabilität auf beiden Seiten ist wohl einer der Hauptgründe, weshalb die Ersparniskasse nicht längst von einem grossen Fisch geschluckt wurde. Bankleitung und Stiftungsrat geben sich auch keinen spekulativen Geschäften hin; nur in Ausnahmefällen werden Zweithypotheken gewährt. «Das mag manchen zu konservativ und zu behäbig sein. Für viele unserer Kunden verkörpert die Ersparniskasse Werte und Sicherheiten, die sie bei anderen Instituten vermissen», betont Müller.

«Bei uns legen vor allem Privatpersonen aus dem Dorf und der näheren Umgebung ihr Vermögen an.»

Ob diesem konstanten und zuverlässigen Kundenportfolio und dem überdurchschnittlichen Deckungsgrad von 110 Prozent erstaunt es nicht, dass grössere Mitbewerber auf die Ausserrhoder Dorfbank aufmerksam werden. «Wir erhalten immer mal wieder Übernahmeangebote. Solange aber die Zinsmarge nicht unter 0,8 Prozent sinkt und die regulatorischen Kosten jährlich 50 000 Franken nicht übersteigen, haben wir nach wie vor reelle Chancen, unsere Eigenständigkeit bewahren zu können», so der Geschäftsleiter, der in vier Jahren in Pension geht.

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